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HINTERGRUND/136: Katastrophenvorsorge in Mittelamerika


die zeitung - terre des hommes, 1. Quartal 2008

Der reiche Mann und der arme Onkel
Katastrophenvorsorge in Mittelamerika

Von Matthias Knecht


Mittelamerika und die Karibik werden regelmäßig von schweren Naturkatastrophen heimgesucht. Auch im Jahr 2007 wurde die Region von Stürmen und Unwettern getroffen. Im September forderte der Hurrikan "Felix" in Nicaragua rund 450 Tote. Mehr als 50.000 Menschen verloren Haus und Hof. Währenddessen brachte der Tropensturm "Noel" der Karibik Tod und Zerstörung. Ganz ungewöhnlich formierte sich dort im Dezember, bereits außerhalb der Saison, ein weiterer Tropensturm und traf die Dominikanische Republik. Dabei sind die Wunden, die Hurrikan "Mitch" 1998 und Sturm "Stan" 2005 verursachten, noch immer nicht verheilt.
Seit einigen Jahren setzt terre des hommes in Mittelamerika einen seiner Schwerpunkte auf die Katastrophenprävention. Das Beispiel El Salvador zeigt, wie Bildung der armen Bevölkerung hilft, sich vor künftigen Katastrophen zu schützen.


"In unserem Dorf in Santo Tomas gibt es einen Hügel, der war einmal bewaldet. Da kam ein reicher Mann, hat alles abgeholzt und den Hang terrassiert. Hundert Lastcontainer hat er dort abgestellt. Am Fuß des Hanges stand das Haus meines Onkels. Da kam eines Nachts ein Unwetter. Nach einer Stunde Regen rutschten Hang und Container nach unten und begruben das Haus unter sich. Fünf Personen schliefen dort. Eine davon ist umgekommen. Es war meine Cousine. Das Bett des Kindes stand an der Wand, die vom Schlamm eingedrückt wurde."

Im Kloster Maria Eugenia, einer idyllischen Oase hoch über dem lärmigen San Salvador, findet ein Workshop statt. Einer der rund 50 Teilnehmer ist Jorge Ramos (22). Was er aus einem der Vororte der Hauptstadt berichtet, ist in El Salvador kein Einzelfall. Denn wie kaum ein anderes Land leidet der mittelamerikanische Kleinstaat unter Naturkatastrophen und Unwettern, unter Überschwemmungen und Erdbeben. Jeder in der Gruppe kann von Unglücken wie dem von Jorges Familie berichten. Da ist zum Beispiel Transito Lopez (50). Unter Tränen berichtet die Hausfrau, wie sie ihr Haus und all ihr Hab und Gut in einem Erdrutsch verlor.

Veranstalter des Workshops ist "Equipo Maíz". Die Organisation betreibt Seit 25 Jahren Bildungsarbeit mit armen Salvadorianern. "Katastrophen sind nicht naturgegeben. Sie sind von Menschen gemacht", erklärt Denyse Brunet, Direktorin und Mitbegründerin von Equipo Maíz. Verantwortlich für viele Unglücksfälle seien Abholzung, das Bauen an gefährdeten Stellen oder die oftmals fehlende Katastrophenvorsorge.

Mit Aufklärung will Equipo Maíz die Frauen und Männer in die Lage versetzen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Die Menschen lernen hier, dass sie beispielsweise selbst dafür verantwortlich sind, ihr Haus katastrophensicher zu bauen und im Ernstfall rechtzeitig zu flüchten und nicht auszuharren. Was banal klingt, ist in El Salvador, wo das Sozialverhalten vieler Menschen von einer Art Schicksalsergebenheit und Unwissen geprägt ist, keine Selbstverständlichkeit. Hier setzt die aufklärende Arbeit des Equipo Maíz an: Weg vom apathischen Aussitzen all der Dinge, die von außen kommen, hin zum vorausschauenden und selbstbestimmten Handeln.

Doch Bildungsarbeit ist nicht einfach in einem Land, wo jeder Sechste Analphabet ist, und wo die Mehrheit nur wenige Jahre Grundschule absolviert hat. Mit Vorträgen und Erklärungen kommt man da nicht weit. Die Kursleiterin arbeitet darum spielerisch: Gruppenspiele, Pantomimen und improvisierte Theaterszenen aus dem Alltag holen die schulunerfahrenen Teilnehmer aus der Reserve. Bald schon diskutieren sie lebhaft über Umweltschutz, Gemeindepolitik und den fehlenden Zivilschutz. "Die Menschen lernen schneller, wenn man alle Sinne anspricht", erläutert Brunet. Finanziell unterstützt wird die Arbeit von Equipo Maíz in einem gemeinsamen Projekt von terre des hommes und dem Auswärtigen Amt. 800 Erwachsene werden jährlich geschult. Davon profitieren auch Jorge oder Transito. Gemeinsam ist ihnen eines: Sie wollen die regelmäßigen Katastrophen nicht mehr einfach hinnehmen, sondern an ihren Wohnorten etwas dagegen unternehmen. Begeistert sagt Jorge: "Mit dem Training von Equipo Maíz bin in der Lage, in den Dörfern mit den Leuten zu arbeiten."

"Die Workshops von Equipo Maíz dienen der Stärkung lokaler Kapazitäten", erklärt Dorothee Mölders, terre des hommes-Koordinatorin für El Salvador. "Wichtig ist die Selbstorganisation auf lokaler Ebene. Denn vom Staat kommt die Hilfe gar nicht oder viel zu spät. Darum müssen die Bewohner der Gemeinden lernen, ihre Bedrohungslage selbst einzuschätzen." Doch um in der Katastrophenvorsorge glaubwürdig auftreten zu können, müsse man auch in der Lage sein, etwa Schutzbauten oder Frühwarnsysteme zu realisieren sowie im Ernstfall schnell Nothilfe leisten zu können. Mit derzeit knapp 300.000 Euro Jahresbudget pro Land, mit denen sämtliche Hilfsprojekte finanziert werden, und nur wenigen Mitarbeitern in ganz Mittelamerika würde terre des hommes aber schnell an seine Grenzen stoßen. Deswegen arbeitet terre des hommes im Bündnis "Entwicklung hilft" mit anderen Organisationen zusammen (siehe Kasten). Der Beitrag von terre des hommes zur Katastrophenvorsorge sei die "Aufklärungs- und Erziehungsarbeit".

Fließend ist dabei die Grenze zwischen Aufklärung und politischer Lobbyarbeit. Denn El Salvadors Demokratie ist jung und die Folgen des vor 16 Jahren beendeten Bürgerkrieges sind allgegenwärtig. Immer noch dominieren wenige Unternehmerfamilien und das Militär die Politik. Die Interessen der Armen und der Minderheiten finden da kein Gehör. Beispielsweise ist es in der Verantwortung der Gemeinden, Siedlungspläne zu erstellen oder Bauvorschriften zu erlassen. Doch die Bürgermeister sind oft korrupt und beeinflussen die örtlichen Gerichte und Polizei. Deswegen lernen die Kursteilnehmer, wie sie sich in den Dörfern organisieren und für ihre Rechte einsetzen können. Equipo Maíz hilft den Menschen, den notwendigen Druck von unten aufzubauen - sich hinzustellen und vom Bürgermeister Rechte einzufordern.

Wie wenig Rechte einfache Bürger haben, musste auch Jorge Ramos in Santo Tomas erfahren. Nachdem der Erdrutsch das Haus seines Onkels begraben hatte, konnte er zwar die Gemeinde dazu bewegen, ein Zivilschutzkomitee ins Leben zu rufen. Doch den Verantwortlichen des Unglücks konnte Jorge bis heute nicht zu Rechenschaft ziehen. "Er hat Beziehungen nach ganz oben", erklärt Jorge achselzuckend. Der Hangrutsch in Santo Tomas bleibt damit strafrechtlich folgenlos, die Familie erhält keinerlei Entschädigung. Und keine Behörde wird verhindern, dass wieder einmal ein "reicher Mann" den Hang über dem Haus eines armen Onkels abholzt - es sei denn, die Menschen wissen sich zu wehren.


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"Wenn nichts passiert, ist viel erreicht"

Warum Katastrophenvorsorge immer wichtiger wird

Der Klimawandel und die vermehrte Katastrophenanfälligkeit der Ärmsten ist eines der Themen, die die fünf Hilfsorganisationen terre des hommes, medico international, Deutsche Welthungerhilfe, Brot für die Welt und Misereor gemeinsam betreffen. Darum engagieren sie sich zusammen im "Bündnis Entwicklung hilft" für eine verstärkte Katastrophenvorsorge in der Entwicklungsarbeit. "Wenn nichts passiert, ist viel erreicht", fasst Bündnis-Sprecherin Kerstin Reisdorf das gemeinsame Ziel zusammen. Denn "jede Katastrophe macht erreichte Fortschritte zunichte und wirft gerade die Entwicklungsländer noch weiter zurück".

Im besonders katastrophenanfälligen Mittelamerika unterstützt jede der fünf Hilfsorganisationen verschiedene Vorsorgeprojekte. Auf Aufklärung und Bildung setzen terre des hommes (siehe Haupttext) und medico international. Auf die lokale Vernetzung zielt ein Pilotprojekt der Deutschen Welthungerhilfe. Das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt hat an der hurrikangefährdeten Atlantikregion Nicaraguas ein lokales Frühwarnsystem finanziert. Erdbebensicheres Bauen ist der Schwerpunkt der Vorsorgearbeit von Misereor.

Gemeinsam ist den Vorsorgeprojekten eines: Sie stärken die örtlichen Strukturen, denn um sich besser zu schützen, müssen die Menschen zusammenarbeiten. Sie sind dann besser in der Lage, ihre Anliegen gegen die oftmals korrupten Zentralregierungen durchzusetzen. Damit dient die Katastrophenvorsorge auch der "nachhaltigen Entwicklung", betont Bündnis-Sprecherin Reisdorf.

Matthias Knecht (matthias.periodista@gmail.com) lebt in Mexiko und ist freier Korrespondent für Lateinamerika. Auf Einladung des "Bündnis Entwicklung hilft" besuchte er Projekte in Nicaragua und El Salvador.


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Quelle:
die zeitung, 1. Quartal 2008, S. 3
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
E-Mail: info@tdh.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2008