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HINTERGRUND/152: Nahrungsmittelkrise bedroht Millionen


die zeitung - terre des hommes, 3. Quartal 2009

Zocken mit dem Hunger
Nahrungsmittelkrise bedroht Millionen

von Michael Heuer


Auf ihrem jüngsten Treffen in Italien haben die G8-Staaten ein Maßnahmenpaket gegen die Krise beschlossen. Darin enthalten ist auch ein 15 Milliarden Euro umfassendes Programm zur Bekämpfung des Hungers in der Welt. Die Weltkonjunktur soll durch Handelsliberalisierung und Produktionssteigerungen auf Trab gebracht werden. Das Programm überrascht, denn trotz Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion und Wirtschaftsliberalisierungen ist die Zahl der Hungernden in den vergangenen Jahren dramatisch angestiegen. Welt paradox: Während sich europäische Supermarktketten mit Dumpingangeboten für Lebensmittel unterbieten, droht Millionen Menschen der Hungertod. Die Ernteerträge steigen kontinuierlich, im vergangen Jahr sogar um mehr als fünf Prozent. Das Lebensmittelangebot nahm im gleichen Zeitraum hingegen nur um 0,1 Prozent zu. Denn nur die Hälfte des gesamten Getreideanbaus wird zu Lebensmitteln verarbeitet. Der Großteil landet in der Produktion von Futtermitteln und Biosprit. Viele Bauern verlieren sogar ihr Land oder werden, wie in Indonesien, gewaltsam vertrieben, weil Großkonzerne die Flächen zum Anbau von Zuckerrohr und Palmöl, Basisstoff für den Agrarsprit, nutzen wollen. Und so ist es kein Wunder, dass die meisten Hungernden genau dort leben, wo die Grundnahrungsmittel eigentlich angebaut werden: auf dem Land.


Genmanipulierte Sorten

Lateinamerika produziert drei Mal mehr Ernährungskalorien, als die eigene Bevölkerung verbrauchen kann. Trotzdem verarmen immer mehr Bauern. In anderen Ländern hungern Menschen, weil ein Großteil der Ernte exportiert wird, denn auf dem Weltmarkt können bessere Preise erzielt werden. Umgekehrt sorgen genau die G8-Staaten, die sich jetzt wegen der zugesagten Milliarden gegen den Hunger feiern lassen, mit Exportsubventionen dafür, dass Bauern in der Dritten Welt nicht mehr konkurrenzfähig sind.

Erfolge im Kampf gegen den Hunger versprechen sich Agrarexperten vom Einsatz gentechnisch veränderter Sorten. Kritiker weisen aber darauf hin, dass diese Pflanzen in manchen Regionen traditionelle Sorten und Anbaumethoden, die die Versorgung der Bevölkerung sichern, verdrängen könnten. Der Nutzen dürfte vor allem aber bei den Agro-Konzernen liegen, denn sie machen die Bauern abhängig von teurem und patentrechtlich geschütztem Saatgut.

Ob sich die Nahrungsmittelkrise aufgrund leicht fallender Preise in den vergangenen Monaten entspannt, ist fraglich. Durch Abwertung der nationalen Währungen sind Lebensmittelimporte in manchen Ländern für Arme unerschwinglich geworden. Und auch die Bankenkrise könnte schon bald wieder zur Verschärfung des Problems führen. Weil Aktiengeschäfte für zahlreiche Anleger momentan zu riskant sind, wird immer mehr Kapital in Geschäfte an den Warenterminbörsen gelenkt Dort wird unter anderem auf künftige Preisschwankungen bei Getreide und anderen Lebensmitteln spekuliert. Auch das Geschäft mit Biosprit verspricht stabile Wachstumsraten in den kommenden Jahren und weckt das Interesse der Spekulanten. Und sie sind optimistisch, dass sich die Weltwirtschaft bald erholen wird. Denn dann wird auch die Nachfrage nach Fleisch und anderen Lebensmitteln in den Wachstumsregionen von China bis Brasilien steigen.


Das große Milliardenrätsel

Von Michael Heuer

Was ist eine Milliarde? Eine Zahl mit neun Nullen? Das hilft der Vorstellungskraft aber auch nicht weiter. Man braucht Vergleiche. Nehmen wir zum Beispiel ein Einfamilienhaus zum Preis von 350.000 Euro und einen Mittelklassewagen für 20.000 Euro. Für eine Milliarde Euro könnte man 2.857 Einfamilienhäuser oder 50.000 Autos kaufen.

Bei den Rettungspaketen geht es aber nicht um eine Milliarde, sondern um viel mehr. Von den 87 Milliarden Euro, die von der Bundesregierung allein für die Rettung der Hypo Real Estate Bank zur Verfügung gestellt wurden, könnte man 248.571 Häuser oder 4.350.000 neue Autos kaufen.

Würde man das Geld an die Bevölkerung auszahlen, so bekäme jeder Bundesbürger 1.059,69 Euro. Leider ist es umgekehrt.

terre des hommes nahm im Jahr 2008 insgesamt gut 13 Millionen Euro an Spenden ein. Der Schutzschirm der Real Estate Bank würde reichen, um die Arbeit der nächsten 6.692 Jahre zu finanzieren.

Statistisch gesehen kostet die Erziehung eines Kindes von der Geburt bis zum 18. Lebensjahr in Deutschland durchschnittlich 120.000 Euro. Die Erziehung von 725.000 Kindern wäre mit dem Rettungspaket gesichert.

Diese Beispiele lassen erahnen, um welche Dimensionen es sich handelt. Bei anderen versagt unsere Vorstellungskraft. Würde man nämlich mit dem Real-Estate-Geld auf dem indischen Markt Reis kaufen (Preis 0,36 Euro/Kilo), so bekäme man dafür 31.320.000.000 Kilo.


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Quelle:
die zeitung, 3. Quartal 2009, S. 5
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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abgegolten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2009