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LÄNDERBERICHT/066: Burkina Faso - Kinderbeteiligung in traditionellen Landgemeinden


die zeitung - terre des hommes, 1. Quartal 2008

Alle sind wichtig
Burkina Faso: Kinderbeteiligung in traditionellen Landgemeinden

Von Ruth Hilbert / Peter Strack


"Wuro Yire" heißt "Gott ist groß". So nennt sich eine Initiative in Dafinso. Dass es in dieser ländlichen Gemeinde in Burkina Faso jetzt eine Internatsgrundschule für ältere Kinder gibt, die in den staatlichen Schulen auf Grund ihres fortgeschrittenen Einschulungsalters keine Chance hatten, liegt jedoch weniger an göttlicher Eingebung. Ursprünglich hatte Wuro Yire im Jahr 1994 in Dafinso landwirtschaftliche Maßnahmen und Alphabetisierungskurse geplant. Eine Befragung der Kinder und Jugendlichen ergab jedoch, dass ein Schulabschluss ganz oben auf der Prioritätenliste stand. Diese Beteiligung der Schülerinnen und Schüler an Entscheidungen ist noch heute selbstverständlich im Projekt. Sei es, dass auf Wunsch der Mädchen eine Mauer zwischen ihren und den Schlafräumen der Jungen gebaut wird, eine Bibliothek eingerichtet, das Essen um proteinhaltige Nahrungsmittel bereichert oder die Auswahl für berufliche Ausbildungsaktivitäten getroffen wird.


Besser als ihr Ruf

Afrikanische ländliche Gemeinschaften haben den Ruf, dass Kinder - und insbesondere Mädchen - nicht viel zu sagen haben. Tatsächlich ist der Vater, Stiefvater oder Onkel der "Herr der Familie". Er trifft die letzten Entscheidungen und vertritt die Familie nach außen.

Bei genauerem Hinsehen wird die Meinung der Kinder im Familienalltag in vielen Fällen jedoch sehr ernst genommen: Für alle auswärtigen Bewerber um eine Stelle im terre des hommes-Büro in dieser Region war es zum Beispiel völlig normal, nach erteilter Zusage zunächst das Einverständnis ihrer Kinder einzuholen, bevor sie die Stelle wirklich annahmen. Schließlich würden sie nur am Wochenende zu Hause oder wochenlang weg sein und ihre Sprösslinge nicht sehen können. Auch in traditionellen Dorfgemeinschaften ist das Recht, in eigenen Belangen angehört zu werden, Bestandteil der Kultur. Einige Volksgruppen haben hierfür einen speziellen "Minister", einen Erwachsenen, der Sprachrohr und Berater für Kinderangelegenheiten am Hofe des Chefs oder Königs ist und die Kleinen vor seinem Rat zunächst befragt. Respekt drückt sich auch in der Sprache aus: Keine besonderen "kindgerechten" Formulierungen und keinen verniedlichenden Tonfall zu verwenden, stärkt dabei das Selbstbewusstsein der Angesprochenen und das Gefühl, ernst genommen zu werden. Auch bei Gemeinschaftsarbeiten sind Kinder wie selbstverständlich beteiligt. Der Nachteil: Bisweilen wird vergessen, dass Kinder tatsächlich auf Grund ihrer körperlichen Entwicklung noch einen stärkeren Bedarf an Schutz und Förderung haben und eben nicht nur kleine Erwachsene sind.


Den eigenen Weg finden

Überhaupt zählen in den traditionellen Gemeinschaften weniger die individuellen Bedürfnisse; sondern jung und alt, Mann und Frau haben feste Rollen. Gerade junge Frauen, deren zugeschriebene Rolle ihnen besonders wenig Mit- und Selbstbestimmung zulässt, haben damit in der Konfrontation mit der modernen Welt mehr und mehr Probleme. Einfach die stärker individualistischen städtischen oder gar europäischen Rollenmuster anstelle zu setzen, würde ihre Konflikte nicht lösen. Projekte sind deshalb gut beraten, ihre eigenen Wege zur gleichberechtigten Mitbestimmung aller zu finden. Dafür muss das Rad nicht neu erfunden werden. So klären bei Wuro Yire Mädchen die Bevölkerung in den umliegenden Dörfern mit traditionellen Rhythmen und Melodien über Kinderrechte und auch kritische Themen wie die Mädchenbeschneidung auf. Und dabei beeindrucken sie mit ihrem Selbstbewusstsein und sogar dem Spiel des Balaphons, einer Art Xylophon, das traditionell den Jungen vorbehalten war.


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Quelle:
die zeitung, 1. Quartal 2008, S. 5
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
Ruppenkampstraße 11a, 49084 Osnabrück,
Tel.: 0541/71 01-0, Fax: 05 41/70 72 33
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2008