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BERICHT/008: Kafka's Liebe zur literarischen Komik (JOGU Uni Mainz)


[JOGU] Nr. 206, November 2008
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Das Lachen des Mythos
Kafka's Liebe zur literarischen Komik

Von Peter Thomas


Kafka hatte Sinn für Humor, im Leben wie im Werk. Dieser im öffentlichen Bewusstsein oft ausgeblendeten Facette seiner Biografie ging eine Tagung zum 125. Geburtstag des Schriftstellers an der Johannes Gutenberg-Universität auf den Grund.

Da sitzt Franz Kafka nun also in der Schreibschule, müht sich ab am Kursus "Creative Writing" und bekommt einfach nicht jenen "Knallersatz" hin, den der Dozent von ihm einfordert. Hanns Josef Ortheil lässt in seinem Text "Warum ich mit Franz Kafka so meine Schwierigkeiten habe..." den Autor als literarische Figur durch eine ganze Reihe solcher Szenen stolpern. Die feine, kleine Satire kommt als Drahtseilakt zwischen skurriler Komik, tiefer Zuneigung zum dem Schriftsteller und seinem Werk sowie einer kleinen Prise literaturgeschichtlicher Majestätsbeleidigung daher.

Den melancholischen Mythos Kafka holte der Hildesheimer Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus mit diesem Text während der Tagung "Franz Kafka - Ein Klassiker?" an der Universität Mainz von seinem Podest. Ortheil rückte Kafka so in menschliche Augenhöhe - wo dieser auch hingehört. Denn der Autor, der vor 125 Jahren in Prag geboren wurde, ist keineswegs jener dunkle, überhöhte Schmerzensmann der Literatur, als welcher er im kollektiven Bewusstsein verankert scheint. Das zeigte die Tagung, die Junior-Professorin Dr. Sandra Poppe vom Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft gemeinsam mit Prof. Dr. Dieter Lamping am 3. Juli, dem Geburtstag des Autors ausrichtete. Rund 80 Gäste kamen zu der Veranstaltung in der Alten Mensa.

An der "legende vom Heiligen Franz" - verbreitet von Max Brod - rüttelte auch Dr. Fabian Lampart, der in Vertretung von Professor Dr. Dieter Lamping in die Tagung einführte. Stattdessen sollten wir Kafka heute vor allem als jenen eigensinnigen, listigen, faszinierenden Erzähler sehen, der aus den Geschichten zu uns spricht.

Auch Ortheil zeigte in seiner Vision diese Facette des Franz Kafka: Da sitzt er zusammen mit dem Freund Brod im Zug und beide notieren die Sätze des anderen, auf der Suche nach dem literarischen Genie. Der Bahnhof, ganz Prag, ja die Welt werden zum literarischen Wartesaal, während die beiden Autoren die Worte des Gegenübers belauern und zwischendurch in einen Streit über die Ökonomie des Notierens ausbrechen. Das ist fiktive Literaturgeschichte, die man sich als Buddy-Film mit Walter Matthau und Jack Lemmon auf die Kinoleinwand wünscht.

Den spielerischen Charakter Kafkas hat Ortheil aber gar nicht erfunden. Denn der Schriftsteller war tatsächlich nicht nur ein kraftvoller, mitreißender Erzähler, sondern auch ein ausdrücklich humorvoller Mensch. Seinem "leichten, hyperbolischen Ton" folgte der Freiburger Literaturwissenschaftler Werner Frick in dem Vortrag "Der 'Schwarze Kaffee': Hommage an Kafkas 'friendly losers'". Von Pointe zu Pointe führte Frick sein Publikum - einem oft kaffeeschwarzen, aber umso lebendigeren, schrägen Witz auf der Spur. "Das sind virtuose, völlig zu Ende ausgeführte übertreibungen", würdigte Frick die Konstruktionen.

Diese Fähigkeit, ja Liebe zur literarischen Komik im eigenen Werk, öffnete einen neuen Blick auf Franz Kafka. Viel leichter zu durchdringen ist seine Persönlichkeit deshalb aber nicht. Das unterstrich Ritchie Robertson im Gespräch mit Sandra Poppe: "Ein kleiner, unerklärbarer Rest Kafka wird immer zurückbleiben", sagte der Germanist des St. John's College der Universität Oxford in der Diskussion über Kafkas Rolle als Klassiker. Dabei hat es an Versuchen nie gefehlt, sich Kafka und das Kafkaeske anzueignen - das zeigte Robertson am Vormittag mit seinem Vortrag "Kafka als Weltautor: Zu seiner Aufnahme in der englischsprachigen Welt".

In seiner phantastischen Kafka-Geschichte ließ Ortheil derweil Kafka nicht nur mit der Literatur der ganzen Welt zusammentreffen, sondern auch mit den modernen Medien: Kafka im Motel der Familie Bates aus "Psycho". Kafka beim Techtelmechtel mit Romy Schneider im Cabrio auf einer Breitbildleinwand vor der Cote d'Azur. Dann landet Franz nach "Kafkawarten" und "Kafkasitzen" im Bahnhof endlich zusammen mit Max Brod in der Eisenbahn. Ortheil hatte sichtliches Vergnügen daran, seine Geschichte vorzutragen - Kafka füttert darin mittlerweile Brod und dessen Notizbuch ganz bewusst mit echten Kafka-Sätzen, die der treue Chronist auch brav aufschreibt. So entsteht der Stoff für literaturwissenschaftliche Dispute der Zukunft.

Wie aber hielt es der wirkliche Kafka mit der Zukunftsfähigkeit seiner Texte? Auf die Deutungshoheit von Literatur aus der Vergangenheit für die Gegenwart habe Kafka jedenfalls nie gesetzt, sagte Manfred Engel. Der Professor für Deutsche Literaturwissenschaft am Queen's College der Universität Oxford beleuchtete dieses Verhältnis in seinem Beitrag "Franz Kafka und der Glaube an die Literatur". Trotzdem sei Kafka "ein Autor, der immerwährend Literatur produziert". Damit spielte Engel auf literarische Bezugnahmen moderner Autoren auf Kafka ebenso an wie auf Zeitungsartikel oder Texte der Sekundärliteratur. Allgemein jedoch scheine der Glaube an die Literatur in der Gegenwart nicht sonderlich ausgeprägt zu sein. Das liege wohl auch am "grausamen Darwinismus der Medienvielfalt, in dem die Literatur ihre Führungsposition eingebüßt hat."

Natürlich ist Kafka ein Klassiker. Das war Konsens des Podiums bei der Antwort auf die Frage, die Sandra Poppe als Titel und Leitthema der Tagung vorgegeben hatte. "Klassiker", das meinte dabei nicht nur die Kanonisierung von Autor und Text, sondern auch die Rolle als Klassiker, "weil er immer wieder lesenswert ist und neue Erkenntnisse bietet", sagte Ritchie Robertson.

Nach dem Zweiten Weltkrieg habe Kafka geradezu als "Generalschlüssel der Literaturwissenschaft gedient", sagte Martin Lüdke. Das habe sich bis heute allerdings grundlegend verändert, betonte der Literaturredakteur des Südwest-Rundfunks aus Mainz in seinem Vortrag "Die Laufrichtung hat sich geändert. Eine Befürchtung, Kafka betreffend": An den literarischen Klassiker Kafka hätten sich jüngere Autoren wie Martin Walser und Wolfgang Hildesheimer in den 1950er Jahren sehr deutlich angelehnt, sagte Lüdke - "davon haben sie sich erst später freigeschrieben."

Parallel zu dieser Abnabelung hat sich offenbar auch die Rolle Kafkas in der öffentlichen Auseinandersetzung mit Literatur verändert. Den übermächtigen Deutungsanspruch hätten Autor und Werk jedenfalls verloren, fasste Lüdke das "evolutionslogische Pech Kafkas" in der Rezeption des 20. Jahrhunderts zusammen. Chancen für eine produktive, spannende Auseinandersetzung mit dem Autor sah der SWR-Kritiker darin, das Verständnis von Kafka als "einem, der über sich selbst lachen konnte und auch über sich selbst lachte" zu stärken. Im Kontext von Zeitgenossen wie Peter Altenberg und Robert Walser entstehe so ein neues Kafka-Bild. Dazu müssten aber noch immer Vorurteile in der literarischen Welt abgebaut werden: Lüdke erinnerte an die Weigerung der Medien, Fotos aus der Sammlung Wagenbach zu zeigen, auf denen ein herzlich lachender Franz Kafka abgebildet ist. Der fröhliche Autor passte einfach nicht ins Bild vom literarischen Schmerzensmann und blieb deshalb unveröffentlicht.

Neue Aspekte in der Kafka-Forschung erhoffte sich Sandra Poppe auch vom intermedialen Ansatz: Das betreffe zunächst Kafkas eigenen Kinoblick und seine Bildbeschreibungen im Subtext. Umgekehrt böte aber auch die Adaption von Kafka und seinem Werk in Medien vom Film bis zum Comic reiches Material. Das Lesepublikum solle Kafka ebenfalls unter diesem Blickwinkel wieder für sich entdecken, machte die Organisatorin der Tagung und Mitherausgeberin der Kafka-Ausgabe von Artemis & Winkler in ihrem Schlusswort Mut: Noch sei der "Mythos vom einsamen Kafka" zwar präsent, aber selbst die Publikumsmedien nähmen im Jahr seines 125. Geburtstages die neue Sicht auf den Autor auf und trügen dazu bei, das Stereotyp aufzulösen.

Nur Ortheils Schreibtrainer hat noch immer etwas an dem Autor auszusetzen: "Du bist mit Deinen Phantasien nicht bei der Sache", rügt er den Schüler Franz, "das ist richtig schlimm." Hätte Kafka die Geschichte gehört, wahrscheinlich hätte er sich zusammen mit Referenten und Gästen von "Franz Kafka - Ein Klassiker?" gut darüber amüsiert.


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Quelle:
[JOGU] - Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nr. 206, November 2008, Seite 20-21
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 06131/39-223 69, -205 93; Fax: 06131/39-241 39
E-Mail: AnetteSpohn@verwaltung.uni-mainz.de

Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
Sie wird kostenlos an Studierende und Angehörige
der Johannes Gutenberg-Universität sowie an die
Mitglieder der Vereinigung "Freunde der Universität
Mainz e.V." verteilt.


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2009