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FRAGEN/002: Gespräch mit Harpprecht - "Die Andere Bibliothek" (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 10/2007

Gespräch mit Klaus Harpprecht
"Wir drucken, was uns gefällt"
"Die Andere Bibliothek" mit neuen Herausgebern

Die Fragen stellte Hanjo Kesting.


NG/FH: Der erste Band der 'Anderen Bibliothek' erschien, herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger, im Januar 1985. Niemand hätte es damals für möglich gehalten, dass die Buchreihe über 20 Jahre Bestand haben würde. Nun hat Enzensberger die Herausgeberschaft abgegeben, und Sie beide - Klaus Harpprecht und Michael Naumann - nehmen die Reihe in Ihre Hände. Was war das Hauptmotiv, die 'Andere Bibliothek' weiterführen zu wollen?

KLAUS HARPPRECHT: Als ich in der Zeitung las, dass Hans Magnus Enzensberger den Prozess gegen Eichborn verloren hat und dass es ihm untersagt wurde, ein ähnliches Projekt bei der F.A.Z. oder auch anderswo zu beginnen, dachte ich, dass die in der Tat schönste Buchreihe nicht nur der deutschen Literatur auf keinen Fall zugrunde gehen dürfe. Sofort schrieb ich ein Briefchen an die Lektorin, Palma Müller-Scherf, in dem ich vorschlug, die Weiterführung in Anlehnung an die Wochenzeitung DIE ZEIT zu versuchen. Natürlich klopfte ich auch ohne Aufenthalt bei meinem Freund und früheren Verleger Michael Naumann an. So kams zu unserer Herausgabe, die Werbung für die Andere Bibliothek wird sich vom Herbst an vor allem auf DIE ZEIT stützen. Das klare Ziel: Wir wollen vor allem die Zahl der Abonnenten - es sind nun 2.800 - durch lockendere Angebote und einfachere Verfahren auf 4.000, wenn es denn angeht 5.000 steigern. Dann gäbe es für jedes Buch eine tragbare Kalkulation. Ähnlich verfährt übrigens die klassische Serie Pléiade von GALLIMARD in Paris.

NG/FH: Was wird sich konzeptionell verändern? Enzensberger hat mit Lukians 'Lügengeschichten' begonnen, einem antiken Schriftsteller. Die neuen Herausgeber starten gleichfalls mit einem Klassiker, auch wenn der Autor nicht ganz so lange tot ist: Georg Forsters 'Reise um die Welt', in einer aufwendigen Prachtausgabe, wie es sie auch schon bei Enzensberger gegeben hat - man denke an Montaignes 'Essais' oder Alexander von Humboldts 'Kosmos'. Das deutet eher auf Kontinuität als auf Veränderung hin.

KLAUS HARPPRECHT: Georg Forster, der verkannte Klassiker, soll in der Tat in gleichem Rang (und ähnlicher Aufmachung) neben Humboldts Kosmos treten. Das hat seine Logik. Meine Liebe zum Werk Forsters hat mir vor mehr als zwei Jahrzehnten eine Biografie diktiert. Nun soll er auch durch seine wunderbaren eigenen Illustrationen, die er von der Weltreise mit Captain Cook nach London zurück brachte, ins Bewusstsein gerückt werden. Hier deutet sich in der Tat eine Kontinuität an, auf die wir stolz sind.

NG/FH: Wird es in der 'Anderen Bibliothek' neue Akzente geben?

KLAUS HARPPRECHT: Das ist unser Bestreben: Nicht nur dank Michael Naumanns souveräner Kenntnis der amerikanischen Literatur, der zeitgenössischen wie der klassischen, sondern vor allem auch durch die Themen, die wir den besten Autoren zu vermitteln suchen: Zum Beispiel im zweiten Halbjahr 2008 durch eine Studie über die in jeder Hinsicht ungewöhnlich produktive Ehe von Wilhelm und Caroline von Humboldt aus der Feder von Hazel Rosenstrauch, durch eine Erzählung Eckart Klessmanns über die bemerkenswert emanzipierten Professorentöchter in Göttingen, die man die "Universitätsmamsellen" nannte, unter ihnen Dorothea Schlözer, die erste Doktorandin der Philosophie, oder Caroline Michaelis, spätere Schlegel und Schelling.

Während unter den ersten sechs Publikationen Robert Neumanns bester Roman "Die Kinder von Wien" besondere Aufmerksamkeit verdient - die eindrucksvollste Trümmergeschichte, die je in unserer Sprache geschrieben wurde, atmosphärisch so stark wie Graham Greenes 'Der Dritte Mann' - wird im April oder Mai des kommenden Jahres ein brillanter und - wie könnte es anders sein - ironisch-trauriger, moribund verspielter, absurder und zugleich boshaft-realistischer Wien-Roman von Christine Grän erscheinen, einer der brillantesten Stilistinnen unserer Sprache, die ganz wie Sybille Bedford oder Nancy Mitford den Unterhaltungsroman zur Literatur zu steigern vermag.

NG/FH: Immer wieder wurden in der 'Anderen Bibliothek' Schätze der Literaturgeschichte gehoben: Von dem erwähnten Lukian über einen so entlegenen Autor der Aufklärung wie Fontenelle bis zu Leopardi und Chesterton. Wie wird das Verhältnis von Altem und Neuem, von Ausgrabungen und Erstausgaben, in Zukunft sein? Und wie hoch veranschlagen Sie den Anteil der Belletristik?

KLAUS HARPPRECHT: Dafür gibt es keinen Schlüssel. Unser Vorsatz ist so schlicht wie möglich: Wir drucken, was uns gefällt. Dazu können politische Bücher gehören wie 'Der Putsch', die Geschichte der Staatsstreiche des amerikanischen Geheimdienstes, oder eine Anthologie der deutschen Namensgedichte aus vier Jahrhunderten, die es merkwürdigerweise bis jetzt noch nicht gab - ein ideales Geschenkbuch. Wir graben, mit Hilfe von Jürg Altwegg, das Tagebuch eines ebenso schlichten wie neugierigen französischen Bürgers zur Zeit der französischen Revolution aus ('In Pantoffeln durch den Terror'); lassen durch Bernd-Jürgen Warneken das Leben des großen Schubart nachzeichnen, erinnern durch den amerikanischen Kulturhistoriker James R. Gaines an die Begegnung von Johann Sebastian Bach mit Friedrich dem Großen, entdecken mit Rolf Vollmann Goethe als Leser, für den die Weltliteratur bis hin zu Stendhal und Balzac lebendige Gegenwart war.

NG/FH: Die 'Andere Bibliothek' ist einmal als "die schönste Buchreihe" der Welt bezeichnet worden - das bezog sich nicht zuletzt auf ihre gediegene äußere Gestalt. Wird es hier Veränderungen geben?

KLAUS HARPPRECHT: Die äußere Gestalt wird, mit der Schönheit der Greno-Bände konkurrierend, durch die beiden Grafiker Lisa Neuhalfen und Christian Ide auf originelle Weise leicht modernisiert.

NG/FH: Hans Magnus Enzensberger beendet seine Tätigkeit als Herausgeber mit 78 Jahren - das ist schon aus Altersgründen plausibel. Sie, Klaus Harpprecht, sind im April diesen Jahres achtzig Jahre alt geworden. Das klingt nicht nach Verjüngung, wie bereits in der Presse angemerkt worden ist. Wie lange wollen Sie sich diese Last aufbürden, die ja eine zusätzliche für den fleißigen Journalisten und Kommentator Klaus Harpprecht ist, der auch noch an einer Biografie der Gräfin Dönhoff schreibt?

KLAUS HARPPRECHT: Gegenüber dem achtundsiebzigjährigen Hans Magnus Enzensberger kann der achtzigjährige Klaus Harpprecht nicht einmal behaupten, dass sich die Herausgeberschaft geistig verjünge. Sie versucht so wach zu bleiben, wie der Gründer der Reihe es ist. Michael Naumann war einer der erfolgreichsten deutschen Verleger. Auch ich sammelte als Leiter des S. FISCHER-VERLAGES verlegerische Erfahrungen. Warum soll im fortgerückten Alter nicht noch einmal gewahr werden, dass Bücher zu machen ein fast so großes Vergnügen ist, wie sie selber zu schreiben (vielleicht sogar das größere).


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 10/2007, S. 70-72
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2007