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EIN- UND AUSFÄLLE/004: Die Wahrheit ist einfach - Rainer Luce

Die Wahrheit ist einfach sagt sie den Offenen, Jungen denen, die zu lernen bereit sind, noch nicht verschüttet unter Müll und Gewohnheit denen, die noch heben den Blick zukunftshungrig, zu rühren von Schönheit die fällt - schaut von draußen, vom Weltenraum her auf diese Erde - atemberaubend wie sie sich dreht, ruhig, zugewandt der Wärme, der Sonne, unser heimatlicher Planet bläulich, weiß, ocker und grün wunderbar in sich gerundet Spiel der Kräfte, kreisend, innen wie außen freundlich uns meist, zuträglicher Lebensraum uns seit hunderttausenden Jahren - doch hundert Jahre Zukunft zu denken ist heute ein Wagnis Sind die Systeme, die uns leben lassen noch belastbar? Oder unterwegs bereits zu anderer Gewichtung? Wisst ihr, wie die Welt vor lächerlichen hundertachtzig Jahren war? Achtzehnhundert- zweiunddreißig? Goethes Tod. Unglaublich die Veränderung! Wenn in ein Spiel von Kräften Neues tritt auch nur in winziger Dosierung Neues eintritt, unablässig - ändert sich in kleinsten Schritten auch das Ganze Langsam, aber unausweichlich und irgendwann dann nicht mehr langsam Ist die Dosierung heute winzig? Wenn wir es schneien machten - luftig zierlich, schwerelos die Flocken, einzeln nicht der Rede wert - es Tage, Wochen schneien machten dann könnte schließlich drüber dunkelblau der Himmel stehn wir wüßten doch, was über unsern Köpfen droht. Ein winz'ges Stück, das sich aus den getürmten Wächten löst und fällt und rollt, ein lächerlicher Ball zuerst wir wüssten, dass er rollen wird und säßen wir bei Grog gemütlich tief im Tal und dehnten auch die Zeit fast nach Belieben wir wüssten, dass er fällt und wächst - und die Lawine stürzt Die Erde braucht uns nicht, sie dreht sich weiter der Mensch kein Trauer-, nur ein Zwischenfall (nur ihre Schönheit sähe niemand so wie wir) Viel ist über sie hinweggegangen - spurlos fast Die Selbstvertilgung dieses rabiaten Schädlings brächte Erleichterung für alles, was nach ihm noch lebt Verbrennen wir - tagtäglich - Energie und schicken die Spaltprodukte unbesehen in den Himmel - jede Heizeinheit und jeder Kilometer, den wir fahren, fliegen, zählt - kippt irgendwann das alte Gleichgewicht ein neues kommt, ein anderes Das ist es schon. Alle Stoffe, die wir in den Boden, in die Flüsse in die Meere geben und die dort zuvor nicht waren ändern etwas, Schritt um Schritt. Alles was wir anders machen, als wir's vorgefunden haben ändert etwas - nichts geht verloren, jeder kleinste Akt geht in Millionen andre ein, summiert sich, wächst geduldig, bis der Schwellenwert erreicht ist Sechs Milliarden Menschen machen derzeit Änderung sechs Milliarden hat die Erde nie bisher gesehen bald sind es sieben. Zehn Milliarden? - Alle wollen leben so wie wir. Also weiter so? MaschinenPower und Musik - tagesfröhlich schielend auf den Nachbarn, der ja auch nichts tut...? Kollektive Dummheit wird kollektiv bestraft Wir ändern uns - oder ES ändert uns - das Kommende. Die Wahrheit ist einfach Die Freiheit zu tun, was immer uns einfällt ( die wir in Wirklichkeit nur scheinbar hatten, nur auf Zeit ) diese 'Freiheit' zu entbehren scheint ein Schmerz - das Fallen aus dem Gleichgewicht, wenn die Systeme kippen - wird ungleich schmerzlicher Ihr also, ihr Jungen, innerlich Jungen, ihr lernt? Blickt immer noch auf? Liefert die Hoffnung nicht aus den Vielen, den Maul- würfen hektisch blind gelebter Tage Nehmt die Welt in die Hand, eure zärtliche, harte Hand, tut das Unumgängliche - allen Widerständen zum Trotz ehe Not es endlich erzwingt wenn es - vielleicht schon - zu spät ist Rainer Luce, 1990

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Quelle: © Rainer Luce Mit freundlicher Genehmigung des Autors veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2011