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LITERATURBETRIEB/008: Gesellschaften 1 (SB)


Sprachvereine zur Wahrung geordneter Verhältnisse


Sprachintoleranz, Sprachdogmatismus, unverbesserliche Deutschtümelei wird ihnen vorgeworfen, wenn sie davon sprechen, daß das Zeitalter der Sprachschändung angebrochen ist und sie geordnete Verhältnisse in der deutschen Sprache schaffen wollen. Gemeint sind die öffentlichen Verlautbarungen der sogenannten Sprachschützer, die sich in Institutionen zusammengeschlossen haben, um die "schleichende Zerstörung" der deutschen Sprache zu verhindern.

Doch die Politik der Sprachvereine, die den Sprecher moralisch zum ahnungslosen Sprachzerstörer macht, aber weitreichendere Reflexionen über Sprache und ihre Funktion, die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu festigen, unberücksichtigt läßt, kuriert an den Symptomen und nicht an den Absichten und führt somit zu keiner Veränderung dieser Erscheinungen.

Dessen ungeachtet ist es bedenklich, daß man mit dem Vorwurf der Deutschtümelei dann schon zur Hand ist, wenn sich ein Sprachverbesserer gegen die zunehmenden Anglizismen in der deutschen Sprache wehrt und damit auf seine Weise die Selbstverständlichkeit der Vorherrschaft angloamerikanischer Kultur infrage stellt. Daß diese Entwicklung zum Beispiel noch von den modernisierenden Bildungsvorschlägen Kanzler Schröders gefördert wird, Englisch wegen seiner überragenden Bedeutung für die Globalisierung der Wirtschaft nunmehr nicht als Fremd-, sondern Zweitsprache zu behandeln, weist darauf hin, daß es eigentlich um aggressivste Vereinnahmung durch staatliche Zugriffsmittel mittels Repression kultureller Werte geht. Diese Entwicklung wird vom Verein zur Wahrung der deutschen Sprache, der sich vor allem der Überprüfung der aberwitzigen Fülle von Anglizismen auf ihre nicht durch deutsche Begriffe zu ersetzende Einzigartigkeit widmet, allerdings nicht angegriffen.

Die deutsche Sprache ist nicht einfach austauschbar, ohne dabei zu degenerieren. Das wird nicht nur durch die von der gesellschaftlichen Entwicklung losgelösten Wortuntersuchungen der Sprachvereine bestätigt, sondern auch von den Vertretern der freien Forschung und Lehre im modernen Wissenschaftsbetrieb. Zum Beispiel müssen Philosphiedozenten auch in Seminaren, die in Deutschland abgehalten werden, englisch sprechen oder sie riskieren, ihres Marktwertes verlustig zu gehen, so daß sie sich auf eine starke Einschränkung der sprachlichen Möglichkeiten einlassen müssen. Gerade diese Fachsprache ist, was die inhaltliche Konsistenz angeht, sehr betroffen von einem Übertrag ins Englische.

Das Problem der Verarmung sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten ist also weitreichender anzugehen als zum Beispiel durch die Verkündung des "Sprachpanschers 2000" oder die "Aktion Unwort des Jahres", die mit dem Aufdecken sprachlicher Fehlleistungen ein dahinter vermutetes moralisches Defizit offen legen will, und damit ein national anmutendes Anliegen mit der Forderung nach Reinerhaltung der deutschen Sprache verfolgt. Die Sprachvereine bewirken mit ihren Aktivitäten eher eine Stabilisation der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse.

Im folgenden werden drei Institute vorgestellt, die in letzter Zeit mit diversen Aktionen an die Öffentlichkeit getreten sind, sei es, um der Rechtschreibreform auf die Beine zu helfen, Fremdwörter auszumerzen oder sprachliche Unholde auszumachen und öffentlich bloßzustellen. Die Aufzählung der Vereine ist bei weitem nicht vollständig, zumal es nahezu Mode geworden ist, neue zu gründen.


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Verein deutsche Sprache

Der Dortmunder "Verein Deutsche Sprache", vormals "Verein zur Wahrung der Deutschen Sprache", ernennt regelmäßig den "Sprachpanscher des Jahres". Walter Krämer - Begründer des mittlerweile 9000 Mitglieder umfassenden Vereins - ist Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Universität Dortmund. Er wertet zum Beispiel das in der Computerbranche übliche Sprachgewirr von Fremdwörtern, Abkürzungen und englischen Vokabeln als "Massenselbstmord einer in Tausenden von Jahren gewachsenen Wörter- und Regelgemeinschaft namens deutsche Sprache".

Übrigens hat Herr Krämer mächtige Unterstützung: Seinem Kulturpessimismus stimmt Goethe-Institut-Präsident Hilmar Hoffmann zu. Das Goethe-Institut ist ein Riesenapparat mit über 3000 Mitarbeitern in aller Welt. Geplant ist die Fusion des Instituts mit Inter Nationes, einer konkurrierenden Mittlerorganisation für auswärtige Kulturpolitik.


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Institut für deutsche Sprache in Mannheim

"Sturm im Wasserglas" nennt das Institut für Deutsche Sprache (IDS) die Diskussion um die Rücknahme der Rechtschreibreform. Die in Mannheim angesiedelte Einrichtung wird jeweils zur Hälfte vom Land Baden-Württemberg und vom Bund finanziert und ist das größte außeruniversitäre Sprachforschungsinstitut in Deutschland.

Schwerpunkt des IDS ist die gesprochene Sprache (damit unterscheidet es sich von der "Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung", die sich hauptsächlich mit der Schriftsprache befaßt). Es arbeitet in drei Abteilungen: Grammatik, Lexik (betrifft den Wortschatz und seine Veränderungen z.B. durch neue Medien) und Pragmatik (dort wird unter anderem die Entwicklung des Sprachverhaltens untersucht).

Das Spracharchiv des IDS umfaßt 15.000 Bandaufnahmen von Dialekten und unterschiedlichsten Formen der Umgangssprache; es ist damit das größte Spracharchiv der Welt.

Zwei der 65 hauptamtlichen wissenschaftlichen Mitarbeiter des IDS arbeiten an der Rechtschreibreform mit. IDS-Mitglied Klaus Heller ist Geschäftsführer der Zwischenstaatlichen Kommission für Deutsche Rechtschreibung, die die umstrittene Rechtschreibreform entwickelt hat.


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Henning-Kaufmann-Stiftung zur Pflege der Reinheit
der deutschen Sprache

Die Stiftung, im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, vergibt jährlich den "Deutschen Sprachpreis" und würdigt damit die "Verdienste um die deutsche Sprache". Die Stiftung legt Wert auf Analyse, Aufklärung und Reflexion und ist in der Linguistik verankert. Ihr Schwerpunkt ist Sprachgeschichte, die "im Kern Teil der Gesellschaftsgeschichte" ist.


Erstveröffentlichung am 26. Oktober 2000

29. Dezember 2006