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LITERATURBETRIEB/037: Medien 7 (SB)


Vorsicht Buchzentrum -

"subversives Zeug" nur noch im stillen Kämmerlein lesen?


Eine bemerkenswerte und gleichzeitig alarmierende Entwicklung im Literaturbetrieb läßt sich an aktuellen Veränderungen im Buchhandel ablesen. Um die neueren Trends und ihre Folgen in Deutschland darzustellen, empfiehlt sich - wie so oft, wenn es um den kulturellen Kurs geht - zunächst ein Blick auf den Buchmarkt in den Vereinigten Staaten.

Die Bewohner vieler Kleinstädte in den USA können sich in den letzten zehn Jahren über eine Erweiterung ihres Freizeitangebots freuen: Jazz-Abende, Schachclubs, Kochkurse, Fremdsprachenkonversation oder Märchenstunden für Kinder - alles findet gratis und am selben Ort statt, in den kräftig exandierenden sogenannten Super Bookstores. Die Brüder Tom und Louis Borders haben dieses Marktkonzept schon in den 70er Jahren entwickelt, sie begannen 1971 in Ann Arbor im Bundesstaat Michigan mit einem kleinen Bookshop auf dem Campus der University of Michigan. Zwischen den Vorlesungen konnten die Studenten auf ausrangierten Sofas der Borders-Brüder lesend ihre Zeit verbringen, und was bot sich besser an, als diese zusätzlich mit Musik und Essen zu bereichern. Also erweiterten Tom und Louis das Angebot zunächst um Kaffee, Kuchen und Schallplatten.

Heute ist Borders nach Barnes & Noble und vor Books-A-Million die zweitgrößte Buchhandelskette der Vereinigten Staaten mit 346 Niederlassungen, die ihrem Konzept folgend nicht in den Metropolen versammelt sind - wie bei großen Buchhandlungen üblich -, sondern sich gleichmäßig übers Land verteilen. In diesen Buchriesen stehen Regalreihen mit durchschnittlich 150.000 Titeln, in der Mitte befindet sich ein Café mit Tischen, Stühlen und vier Capuccino-Varianten im Angebot, Sessel und Sofas, klassische Musik aus Lautsprechern. Weitere Merkmale sind ein kulantes Rückgaberecht, Öffnungszeiten bis Mitternacht und saubere Toiletten, das ganze ist also eine Mischung aus Buchhandlung, Bibliothek und Kaffeehaus. In den Sitzecken schreiben nicht nur nach wie vor Studenten ihre Seminararbeiten, auch Rentner kommen zum Kaffeetrinken und Lesen, junge Mütter parken ihre Kinder auf dem Schaukelpferd im "Kids` Korner" und treffen sich ein paar Meter weiter zu einem Capuccino.

Schon bald wurden auch Autoren zu Lesungen und Signierstunden eingeladen und diese Abende wurden so beliebt, daß die Autoren nicht mehr reichten. Inzwischen vereinbaren 72 "Area Marketing Managers" und "Community Relations Coordinators" und elf "National Event Specialists" jeweils am Ort Termine mit Autoren, Sängern, Künstlern und Dozenten; die Filialen sind längst Ersatz- Volkshochschulen nach der Devise, wo ein Teilnehmer oder Zuschauer ist, ist auch ein potenzieller Buchkunde. Die Honorare werden über die Buchpreise mitfinanziert, aber meistens sind die Veranstaltungen kostenlos, so zum Beispiel, wenn eine lokale Band auftritt und ihr dadurch ermöglicht wird, sich und ihre CDs vorzustellen oder wenn ein Masseur die Gelegenheit bekommt, sein Können zu präsentieren. Borders unterhält inzwischen 18 Niederlassungen in Großbritannien, Australien, Neuseeland, Puerto Rico und Singapur.

Man kann nach dem gesunden Überstehen auch der letzten wirtschaftlichen Krisenmonate in den USA und nach den argwöhnischen Voraussagen der Intellektuellen Elite, die Qualität der verkauften Literatur leide und neue Autoren und kleine Verlage hätten kaum noch eine Chance, ins Sortiment zu gelangen, getrost behaupten, daß die Vielfalt der Literatur bestehen geblieben ist, denn es gibt zum Beispiel eine Abteilung zum Auffinden vergriffener Titel und eigene Programme für junge, unbekannte Autoren; wegen ihrer großen Stellflächen haben die Bookstores auch Platz für Titel jenseits des Massengeschmacks.


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Auch in Deutschland haben inzwischen die Großen des Buchhandels entsprechende neue Marktstrategien verwirklicht: Sie eröffnen Filiale auf Filiale - allerdings in den Innenstädten - und erweitern radikal die Verkaufsflächen um die bewährte Kombination aus Gastronomie, Buchhandlung und Veranstaltungsräumen. An das Vorbild der amerikanischen Super Bookstores reichen die Geschäfte im deutschsprachigen Raum noch nicht heran, aber Ladenflächen zwischen zwei- und sechstausend Quadratmetern sind keine Seltenheit mehr. Sie entwickeln sich, zusammen mit Bibliotheken und Literaturhäusern, auch hier zu neuen Zentren literarischen Lebens.

Solche Riesen haben allerdings auch Macht genug, Titel zu blockieren und bis in die Programmplanung der Verlage hineinzuwirken. Und auf weitere Möglichkeiten, die in diesen zentrierten Kulturbetrieben liegen, sind die Sicherheitsorgane in den USA schon längst gekommen. Was bei erster Betrachtung als ein überlegenswerter und im Trend liegender Versuch der Buchläden und Verleger erscheint, den Bürger wieder zum Lesen zu verführen, erweist sich als Kontrollmöglichkeit der subtilsten Art für das FBI. Schon müssen Kunden von Buchhandlungen und Bibliotheksbesucher befürchten, daß der Kauf oder das Ausleihen eines Buches in der Datei einer Sicherheitsbehörde registriert wird, auch Kurse und Veranstaltungen sollen schon gestrichen worden sein.

Die Weitergabe entsprechender Informationen, d.h. die Auskunftspflicht, erfolgt im Rahmen des bereits am 26. Oktober von Bush unterzeichneten "Anti-Terror"-Gesetzes namens "Patriot Act 2001", das sofort in Kraft trat und in den USA zu einem massiven Abbau bislang gewährter Bürgerrechte und demokratischer Prinzipien führt. "Patriot Act 2001" bedeutet, daß die Überwachungskompentenzen von Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten sowie deren Informationsaustausch massiv ausgeweitet werden. Der Begriff "Terrorismus" erweist sich dabei als Angelpunkt für verschärfte Strafverfolgung und Überwachung unbequemer Menschen.

Ähnliche Maßnahmen sind auch im Rahmen der Durchsetzung neuer Sicherheitsgesetze in Deutschland zu befürchten, die Sondervollmachten für die Polizei beinhalten und eine Bedrohung für die bisherigen bürgerlichen Freiheiten darstellen. Man kann sagen, daß der Staat sich darauf vorbereitet, jede Form des inneren Widerstands gegen Repressionen zu unterdrücken. Wer heute Lektüre öffentlich mit sich herumträgt (zum Beispiel im Reisegepäck auf Flughäfen) oder in Bibliotheken oder besagten Buchzentren noch arglos in der Öffentlichkeit liest, läuft Gefahr in Verdacht zu geraten, "subversives Zeug" zu lesen - die Buchtitel als Beweis. Ein Lied davon weiß der Journalist und Filmemacher Tariq Ali zu singen, der Entsprechendes in seinem Artikel "Wie ich festgenommen wurde - Seit dem 11. September ist es schwieriger geworden, mit Literatur im Gepäck die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen" berichtet (Süddeutsche Zeitung vom 31.10.2001).


Erstveröffentlichung am 28. Februar 2002

29. Dezember 2006