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BERICHT/007: Erich Fried zum 90. Geburtstag - Plädoyer für politische Dichtkunst (SB)


"Wer will, daß die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, daß sie bleibt"

Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin am 5. Mai 2011

Filmaufnahme von Erich Fried - Foto: © 2011 by Schattenblick

Erich Fried in zeitloser Projektion
Foto: © 2011 by Schattenblick

Einen Dichter von eminenter politischer Wirkung wie Erich Fried diesseits ritualisierter Gedenkkultur als Menschen zu würdigen, der den Nachgeborenen etwas zu sagen hat, weil seine Worte von ungeminderter Bedeutung für die Bewältigung drängender und schmerzender Widersprüche sind, kann aus dem Blick distanzierter Betrachtung nicht gelingen. Dieser bricht sich am Problem jeglicher geschichtspolitischen Verarbeitung, die Rechtfertigungszwänge und Legitimationserfordernisse heutiger Vergesellschaftung auf Konflikte und Kämpfe anzuwenden, deren Schärfe und Kompromißlosigkeit eine entschiedene Positionierung zugrundelag. Im restaurativen Klima einer Berliner Republik, in der es zur Dämonisierung linker Radikalität kaum mehr als der vordergründigen, jeder inhaltlichen Debatte entleerten Stigmatisierung des Begriffs "Kommunismus" bedarf, scheint ein Humanist und Marxist wie Erich Fried auch zu seinem 90. Geburtstag am 6. Mai 2011 kaum der Erwähnung, geschweige denn der Würdigung als Vorbild für die Jugend, wert zu sein. Obwohl zu seiner Zeit ein weit über den Kreis an Poesie als literarische Kunstform interessierter Menschen hinaus bekannter Dichter scheinen seit seinem Tod am 22. November 1988 weit mehr als nur 23 Jahre vergangen zu sein.

Im Unterschied zu den Feuilletons, in denen Verweise auf Erich Fried und sein Werk auch am heutigen Tag sehr dünn gesät sind, lud die Rosa-Luxemburg-Stiftung am Vorabend zum 90. Geburtstag zu einem Abend über den Dichter ein, der unter dem von ihm geprägten Motto "Wer will, daß die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, daß sie bleibt" stand. Das umfassende Programm versprach eine gründliche Auseinandersetzung mit Leben und Wirken Frieds, forderte auf zum Nachdenken "über eine Dichtung im Widerstand". [1]

Auftritt Barbara Thalheim und Jean Pacalet - Foto: © 2011 by Schattenblick Auftritt Barbara Thalheim und Jean Pacalet - Foto: © 2011 by Schattenblick Auftritt Barbara Thalheim und Jean Pacalet - Foto: © 2011 by Schattenblick Auftritt Barbara Thalheim und Jean Pacalet - Foto: © 2011 by Schattenblick

Barbara Thalheim und Jean Pacalet
Foto: © 2011 by Schattenblick

Eröffnet wurde der Abend in den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Berliner Franz-Mehring-Platz mit einer musikalischen Darbietung, die alles andere als bloßes Rahmenprogramm war. Was Barbara Thalheim, eine der renommiertesten Chansonsängerinnen Deutschlands, und der Komponist und Akkordeonist Jean Pacalet eigens zu diesem Anlaß vorbereitet hatten, wurde der empathischen Authentizität Erich Frieds allemal gerecht. Die beiden Künstler hatten mehrere seiner Gedichte vertont, die in Liedform oder auch als musikalisch untermalter Sprechtext zur Aufführung gebracht wurden. Während Thalheim ihren Gesang bisweilen mit der Gitarre unterstützte und das einzige ihrer eigenen, als Zugabe dargebotenen Lieder mit einem mechanischen Glockenspiel begleitete, brillierte Pacalet mit einem Akkordeonspiel, das, zwischen feinen, genau gesetzten Akzenten und großer klanglicher Bewegung changierend, allein einen Konzertsaal hätte füllen können. Daß Thalheim und Pacalet schon seit vielen Jahren zusammenarbeiten, zeigte sich in einer Form des Dialogs, der Musik sprechen läßt und Worte mit dem ganzen Reichtum klanglicher Intonation in Schwingung versetzt.

Auftritt Barbara Thalheim und Jean Pacalet - Foto: © 2011 by Schattenblick  Auftritt Barbara Thalheim und Jean Pacalet - Foto: © 2011 by Schattenblick

Der thematische Bogen spannte sich von einer antimilitaristischen Stellungnahme Frieds, deren Aktualität unter besonderem Verweis auf die NATO nichts zu wünschen übrig läßt, über an die sogenannten Volksparteien CDU und SPD adressierte Spottverse, bei denen die Grünen, wie Thalheim anmerkte, nur deshalb nicht genannt wurden, weil das Gedicht vor ihrer Zeit entstand, bis hin zu jenen widrigen menschlichen Befindlichkeiten, die der Dichter so ergreifend ins Versmaß setzen konnte, weil er aus dem Vollen eigener Subjektivität schöpfte. Thalheim verwandelte den von ihr zitierten Ausspruch eines Kritikers, Fried habe "die Tinte nicht halten können", in ein musikalisches Bekenntnis zur übergreifenden Qualität einer mit dichterischen Mitteln zum Ausdruck gebrachten Positionierung gegen jedes Verächtlichmachen des Menschen.

Auftritt Barbara Thalheim und Jean Pacalet - Foto: © 2011 by Schattenblick Auftritt Barbara Thalheim und Jean Pacalet - Foto: © 2011 by Schattenblick Auftritt Barbara Thalheim und Jean Pacalet - Foto: © 2011 by Schattenblick Auftritt Barbara Thalheim und Jean Pacalet - Foto: © 2011 by Schattenblick

Impressionen eines einmaligen Konzerts
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Erich Frieds Gedichte haben zu seiner Zeit zahllose Menschen berührt, die in seinen Worten ihr Bedürfnis wiedererkannten, dem Aufbegehren gegen die sie beherrschenden Zwänge und Nöte eine Stimme zu verleihen. Seine fast vollständige Ausblendung aus dem aktuellen Kulturleben und politischen Diskurs könnte zu dem Fehlschluß verleiten, er habe uns heute nichts mehr zu sagen. Ruft man jedoch in Erinnerung zurück, an welchen Fronten aufbrechender Widersprüche er seinerzeit in die Bresche gesprungen ist, stellt man fest, daß die von ihm thematisierten Konflikte mehr als zwei Jahrzehnte nach seinem Tod virulenter nicht sein könnten. Der Verdacht drängt sich auf, Frieds Werk sei vor allem deshalb dem Vergessen überantwortet worden, weil das Wagnis, sich dem Diktat doktrinärer Denkschablonen zu verweigern und Partei für die Verworfenen zu ergreifen, seither vollends zugundegerichtet zu werden droht.

Will man die Kultur für die Linke zurückgewinnen, wie es Thomas Flierl in seiner Begrüßung zum Auftakt des Abends programmatisch formulierte, wäre es geboten, insbesondere jene Tabuzone zu erschließen, die Erich Fried mutig betrat, um als Dichter und Mensch Berührung mit den Opfern übermächtiger Willkür zu suchen. Man denke nur an seine Teilnahme am Vietnam-Kongreß in der TU Berlin im Februar 1968 oder an der Kundgebung gegen die Notstandsgesetze im Bonner Hofgarten, die vorübergehende Aufnahme Gretchen Dutschkes in seiner Londoner Wohnung wie auch die Unterstützung der Einreisegenehmigung für Rudi Dutschke nach Großbritannien und den Protest gegen dessen spätere Ausweisung. Dann 1974 der Hamburger Prozeß wegen angeblicher Beleidigung der Berliner Polizei in einem Leserbrief an den Spiegel, der mit einem Freispruch endete, und mehr noch sein Engagement für die Gefangenen der RAF. Im März 1977 der öffentliche Protest gegen die behördliche Verfolgung des Hamburger Rechtanwalts und Verteidigers im Stammheim-Prozeß Kurt Groenewold und schließlich die heftige Kontroverse um Frieds Gedicht auf den Tod des Generalbundesanwaltes Siegfried Buback.

Dies und vieles mehr wäre zu nennen, stellte man die Frage, was Erich Fried zu heutigen sozialen Kämpfen und imperialistischen Kriegen zu sagen hätte, sofern er nicht wie so viele damalige AktivistInnen vermeintlichen Jugendsünden abgeschworen und sich auf die Seite der gesellschaftlichen Gewinner geschlagen hätte, was man sich in seinem Fall nur schwer vorstellen kann. Nicht den Vertreibern, sondern den Vertriebenen gelte seine Solidarität, ergriff er für die PalästinenserInnen Partei und hielt als Jude den Zionisten vor, sie nähmen sich an ihren Teufeln ein Vorbild. Dies erfuhr das Publikum in dem auf den musikalischen Beginn folgenden Dokumentarfilm "Die ganze Welt soll bleiben. Erich Fried. Ein Porträt". Das halbstündige Werk wurde 1988 in den DEFA-Studios produziert und kam erst zwei Monate nach dem Tod Frieds in die Kinos der DDR. Indem Regisseur Roland Steiner den an Krebs erkrankten Dichter in seinem letzten Lebensjahr zeigt, nimmt die Dokumentation ohne jedes Pathos den Charakter eines Vermächtnisses an. Erich Fried konfrontiert sich in seiner literarischen Arbeit mit der finalen Krankheit und den Schmerzen, die mit der gebotenen Vorsicht ins Bild zu setzen der Film keineswegs vermeidet. Fried weiß, daß seine Tage gezählt sind und besteht zugleich darauf, daß "Zorn bleibt und Widerstand". Er stellt sein persönliches Schicksal zurück und spricht statt dessen über seine Wünsche für die Menschen, die ihm nahestehen, doch gleichmaßen für jene, die fern sind.

Das Porträt begleitet einen lebensbejahenden Menschen bei Lesungen und auf Reisen ebenso wie bei der Arbeit mit seiner alten Schreibmaschine, deren Tücken mit kuriosen Hilfsmitteln gebändigt werden. Man sieht Erich Fried am Küchentisch im Kreis seiner Familie und bei der Dankesrede zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises, in der er die Stadt Darmstadt als "Roma-rein" bezeichnet, um auf die weithin ausgeblendete Drangsalierung dieser Gruppe von NS-Opfern hinzuweisen. Man erfährt manches über sein Emigrantenschicksal, die Zeit bei der BBC, seine befristete Sympathie für den Titoismus und seine Kritik an der Sowjetunion, die ihn jedoch keineswegs veranlaßte, sich ins antikommunistische Lager zu schlagen. Er besteht darauf, Menschen kennenzulernen, die feindliche Absichten haben, und besucht einen jungen Neonazi im Gefängnis. Toleranz könne nicht nach Gefühl gewährt werden, spricht er einer Humanität das Wort, deren Weigerung zu ideologischer Selektion durchaus im Widerspruch zu den Werten stehen konnte, die Fried vertrat. Nicht jedes Gedicht müsse politisch sein, verweigert sich Fried der Schubladenmentalität, doch fügt er hinzu, daß Dichtung seines Erachtens gegen Entfremdung Partei ergreifen müsse. All das regt dazu an, auf neuen Vektoren der Frage nachzugehen, in welchem Ausmaß Fried seinem Anliegen treu geblieben ist und dies insbesondere in einer Phase seines Lebens, in der die fortschreitende Krankheit seinen Spielraum an persönlichen Hoffnungen und Perspektiven auffraß.

Frank Hörnigk  - Foto: © 2011 by Schattenblick

Frank Hörnigk
Foto: © 2011 by Schattenblick

Der nun vortragende Frank Hörnigk sprach denn auch zu Recht von einem bewegenden Porträtfilm. Der Germanist, der an der Berliner Humboldt-Universität Deutsche Literatur und Theatergeschichte lehrte, zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts publiziert und Herausgeber der Werke Arnold Zweigs und Heiner Müllers ist, würdigte Fried als engagierten Dichter und bekennenden Marxisten, der zu den Gerechten gezählt werde. Getragen von der Sehnsucht nach einer anderen Welt sei die Realität zum Resonanzraum seiner dichterischen Entwürfe geworden. Fried zeichne eine erinnerte Zeitgenossenschaft aus, die sich von Faschismus und Weltkrieg über den kalten Krieg in Europa und dessen Folgen auf anderen Kontinenten bis hin zum spezifisch deutschen Verlauf des Kampfes der Systeme erstreckte.

Habe man ihn im Osten schon früher wertgeschätzt als im Westen, so trübte doch seine Kritik am Stalinismus die ungeteilte Zustimmung in der DDR beträchtlich. In jedem Falle hätten Bezüge zu Autoren der DDR-Literatur bestanden, kam Hörnigk auf das Verhältnis Frieds zu Heiner Müller zu sprechen. Für ihn als Experten bot sich diese Herangehensweise in seinem Vortrag sicher an, zumal die Gespräche der beiden auch ihren Niederschlag in der Literatur gefunden haben. Als Zuhörer hätte man sich jedoch ganz im Sinne Frieds einen ergreifenderen Beitrag gewünscht, ging es doch nicht zuletzt darum, den einst von weiten Teilen der Linken und dem linksbürgerlichen Flügel gefeierten, heute jedoch geradezu ignorierten Dichter für eine jüngere Generation wiederzubeleben.

Erst in seinem Schlußsatz kam Hörnigk auf die Gutheißung der extralegalen Tötung eines Menschen durch die Bundeskanzlerin zu sprechen, die er als Rückfall in die Barbarei verurteilte. Auch Schiller und Shakespeare gehörten nicht unserer Zeit an und hätten uns doch etwas zu sagen, argumentierte Frank Hörnigk an späterer Stelle im Rahmen des Podiumsgesprächs. So sehr das auch für Erich Fried zutreffen mag, kann dessen Wirkung doch erst wieder Raum greifen, wenn dem Übertrag seiner Worte der Boden in aktuellen Bezügen bereitet ist.

Gerrit-Jan Berendse - Foto: © 2011 by Schattenblick

Gerrit-Jan Berendse
Foto: © 2011 by Schattenblick

In seinem Referat "Vom Aushalten der Extreme" stellte der Germanist Gerrit-Jan Berendse eine These auf, in der sich die Distanznahme des bloßen Betrachters auf geradezu prototypische Weise artikulierte. Fried habe einer politischen Ambivalenz gefrönt, die auf der einen Seite darin gipfelte, in der Bundesrepublik das Aufkommen eines neuen Staatsterrorismus zu vermuten und ihrem politischen System die Aufweichung der Grenze zum NS-Faschismus zu unterstellen. Auf der anderen Seite habe Fried sich strikt gegen jede Verherrlichung der politischen Gewaltanwendung verwahrt, was ihn in eine schwierige Position zwischen den dominanten ideologischen Lagern manövriert habe. Diese Verortung Frieds zwischen allen Stühlen läßt Berendse als Ergebnis eines Kokettierens mit der radikalen Linken erscheinen, die allerdings nicht so weit gegangen wäre, daß der Dichter Partei für die RAF ergriffen habe. Fried habe seine Position, so etwa im Gedicht "Die Anfrage", niemals offengelegt und gerade damit "provoziert".

Berendse hält Fried zugute, mit seinem Nachtrag "Klage um eine Klage" zu seinem mehrere Jahre zuvor verfaßten Gedicht "Auf den Tod des Generalbundesanwalts Siegfried Buback" seine Absicht, deeskalierend wirken zu wollen, unmißverständlich klar gemacht zu haben. Fried sei ohnehin nicht daran interessiert gewesen, im Rahmen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem "Linksterrorismus" eine "antagonistische Debatte" anzustoßen, sondern habe bereits mit seinem skandalumwitterten Text zur Ermordung Bubacks informieren und die politische Debatte beeinflussen wollen. Zwar habe er in der "Klage um eine Klage" die "Legitimation eines Tyrannenmords" reflektiert, doch sei es Fried in seinen politischen Gedichten niemals darum gegangen, Partei zu ergreifen, sondern ausgleichend zu wirken im nämlichen Sinne eines "Aushaltens der Extreme".

Dies zu versuchen überführt den Urheber dieses moralischen Imperativs der Aporie, läßt sich doch nichts aushalten, was mit einem selbst gar keine Berührung hat. Sehr wohl könnte man die Forderung erheben, Zweifel an der eigenen politischen Positionierung, am Widerspruch zwischen persönlicher Lebensführung und politischem Anspruch und ähnlichem auszuhalten, ist eine widerspruchsfreie Existenz in dieser Welt doch ein Ding der Unmöglichkeit. Extreme hingegen sind Postulate eines fremden, stets relativen, da vom Auge des Betrachters abhängigen Abstraktums, das in diesem Fall den antiextremistischen Diskurs reproduziert. So wird Heraushalten nicht nur moralisch legitimiert, sondern als Apologie gegen diejenigen gewendet, die sich streitbar und damit natürlich auch angreifbar und verletzbar zeigen. Dies ist denn auch der ganze Ertrag dieser von Berendse als Titel seines nächsten Buches angekündigten Formel für ein Leben in der sicheren politischen Mitte der Gesellschaft.

Der niederländische Germanist, der sich mit Publikationen wie "Schreiben im Terrordrom: Gewaltcodierung, kulturelle Erinnerung und das Bedingungsverhältnis zwischen Literatur und RAF-Terrorismus" oder "Baader-Meinhof Returns. Cultural Memory of German Left-Wing Terrorism" einen Namen in der kulturtheoretischen Verarbeitung linker Militanz der 1970er Jahre gemacht hat, bezichtigt Erich Fried implizit, im Kontext damaliger Kämpfe auf übertriebene und ungerechtfertigte Weise Kritik am westdeutschen Staat geübt zu haben, während er ihm andererseits zugesteht, dies doch nur aus besten Motiven, nämlich der Befriedung des Konflikts zwischen radikaler Linker und BRD-Führung getan zu haben.

Damit legt der niederländische Germanist vor allem Zeugnis der eigenen Ambivalenz im Umgang mit gesellschaftlichen Widersprüchen ab. Zugespitzt könnte man auch sagen, daß er Fried die Bedingtheit der eigenen Vergesellschaftung auflastet. Eine gebrochene Konsequenz in der dichterischen Radikalität Frieds, der eben nicht nur aus sicherer Distanz provozierte, wie es heutzutage einem Sarrazin zugutegehalten wird, der blanken Sozialrassismus aus der Immanenz der Stärke propagiert, sondern der sich als prominente Figur des Kulturbetriebs mit seiner Kritik in einige Schwierigkeiten brachte, zu unterstellen bedarf über die Textexegese hinaus eigener Radikalität. Davon kann bei einem Literaturwissenschaftler, der sein Sujet in der politischen Bewertung aus extremismustheoretischer Sicht untersucht, keine Rede sein. In seinem inkonsistenten, da Fried in seiner politischen Urteilskraft disqualifizierenden, ihn jedoch gleichzeitig als Mediator hervorhebenden Vortrag sollte dessen politischer Dichtung der Zahn einer Widerständigkeit gezogen werden, die sich gerade daraus ergab, daß Fried die intensive, von der Subjektivität eigener Verfolgung als Jude bestimmte Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Entwicklung im kapitalistischen System der Nachkriegszeit suchte.

Münzenberg-Saal der Rosa-Luxemburg-Stiftung - Foto: © 2011 by Schattenblick

Podiumsdiskussion im Münzenberg-Saal der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Foto: © 2011 by Schattenblick

Thomas Flierl, von 2002 bis 2006 Kultursenator Berlins, eröffnete die Podiumsdiskussion im Namen der Stiftung unter Verweis auf die angebliche Unübersichtlichkeit linker Politik nach dem "Jahrhundert der Extreme". Seine Frage, woraus eigentlich die seit der Zeit Erich Frieds erfolgte Schwächung der Linken zu erklären sei, hätte zu einer spannenden Diskussion führen können, doch verebbte diese Anregung weitgehend im fachwissenschaftlichen Diskurs um die literarische Relevanz Frieds und des ihm als Konterpart gegenübergestellten Heiner Müller.

Während Berendse eröffnete, daß er Frieds Lyrik aufgrund ihres sich strukturell wiederholenden Charakters gar nicht möge, fand Hörnigk wenigstens einige ermutigende Worte für dessen politische Dichtkunst, die wie die Heiner Müllers "nicht aus der Zeit" wäre. Er entdecke beim Wiederlesen dieser Gedichte eine "große Anrührung", bekannte der Germanist und betonte die Gültigkeit großer poetischer Werke gerade auch "in einer Zeit, in der revolutionäre Geschichte sich scheinbar gar nicht mehr bewegt und wir Zeugen sind einer bleiernen Zeit". Die von ihm kundgetane "Sehnsucht nach einer politisch-literarischen Sprache, die sich einmischt, die sich einbringt", findet für Hörnigk in Fried als einem "Politsänger für die Massen" auch heute noch einen glaubwürdigen Exponenten.

Gerrit-Jan Berendse, Frank Hörnigk - Foto: © 2011 by Schattenblick

Hörnigk wirbt für die zeitlose Relevanz politischer Dichtung
Foto: © 2011 by Schattenblick

Die im Veranstaltungsprogramm für die Podiumsdiskussion nicht vorgesehene Barbara Thalheim brach eine Lanze für Fried, den sie gerade aus dem Grund schätze, aus dem Berendse seine Dichtkunst ablehne. Die Sängerin hob das Anrührende an seinen Texten hervor und zeigte sich davon angetan, daß Frieds Gedichte eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Menschen ansprechen. Es sei ein ganz seltenes Phänomen, einen Künstler in der großen Masse eindeutig an seinem Werk wiedererkennen zu können, zumal dann, wenn er, wie Fried, viele seiner Leser zu Tränen rühre. Obwohl Barbara Thalheim mit ihrem musikalischen Vortrag ein überzeugendes Beispiel für das empathische Potential des Werks Erich Frieds abgelegt hatte, kam sie in der Diskussion kaum zum Zuge. Es wirkte ein wenig so, als seien sich die Herren trotz aller inhaltlichen Differenzen im Großen und Ganzen einig darin, die Dame nicht auf eine Weise in ihr Gespräch einzubeziehen, die die Gewißheit ihrer Expertise mit ihrer emotionalen Präsenz konterkariert hätte.

So blieb die Frage nach dem produktiven Zusammenwirken von Poesie und Politik denn auch auf der Strecke abwägender ästhetischer Differenzierung und, im Sinne besagter "Unübersichtlichkeit", deskriptiver Mutmaßungen. Publikumsmeldungen unter anderem der SB-Redakteure zum Vorwurf der Positionslosigkeit Frieds stießen auf eine Bereitschaft zur Relativierung notwendiger Streitbarkeit, die von selbst beantwortet, warum so viele linke Theoretiker Zuflucht in der Diaspora intellektueller Wirkungslosigkeit nehmen, während die Durchgriffsgewalt des exekutiven Maßnahmestaats die Fesseln legitimatorischer Rückbindung abwirft. Berendse kommentierte den Vergleich, den Erich Fried zur Beisetzung Ulrike Meinhofs zog, indem er sie in einem Telegramm als "größte Frau seit Rosa Luxemburg" bezeichnete, mit der Behauptung, Fried habe damit gerade vermeiden wollen, Partei für die "Terroristin Ulrike Meinhof" zu ergreifen. Statt dessen habe er sie als Journalistin und kritische Zeitgenossin würdigen wollen, so der Germanist im dissoziativen Modus postmoderner Identitätseinschreibungen und in offensichtlicher Verkennung der Rolle Luxemburgs als aktive Revolutionärin.

Gerrit-Jan Berendse - Foto: © 2011 by Schattenblick

Antiextremismus in emanzipatorischer Pose
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Selbstverständlich würde weder Fried noch jemand anders einen "Terroristen" in irgendeiner Weise wertschätzen, hieße dies doch, den Inbegriff der Verwerflichkeit und Inhumanität gutheißen zu müssen. Die Schwarzweißmalerei der antiterroristischen Rhetorik als solche versperrt den freien Blick auf das, was der Dichter mit seiner Meinhof gegenüber zum Ausdruck gebrachten Hochachtung und der in seinem Gedicht "Ulrike Meinhofs Selbstmord" an fundamentaler Staatskritik gemeint haben könnte. Dieses ausschließlich auf dem Konto der "Vermittlung" zu verbuchen, wie Berendse insistierte, und Fried als ein über den Wolken des politischen Handgemenges schwebendes Neutrum zu entsorgen, dementiert den streitbaren und im bürgerlichen Sinne zweifellos radikalen Charakter der politischen Kritik, die zahlreichen Gedichten Frieds zu entnehmen ist.

Das war auch Ansicht einer Zuhörerin, die Fried persönlich erlebt hatte und bestätigte, daß er sich stets "angesichts des Todes für das Leben entschieden hat, und das in jedem Detail und bei jedem Menschen", was sie als konsequente Parteilichkeit begriffen habe. So erlebte die Veranstaltung zuguterletzt noch den Ansatz einer Debatte, die jedoch nur ein schwacher Widerschein verlorengegangener Erinnerung an das kämpferische Potential einer Linken sein kann, der Kritikfähigkeit nicht nur ein Accessoire im performativen Maskentanz war.

Barbara Thalheim, Thomas Flierl, Gerrit-Jan Berendse, Frank Hörnigk - Foto: © 2011 by Schattenblick

Barbara Thalheim, Thomas Flierl, Gerrit-Jan Berendse, Frank Hörnigk
Foto: © 2011 by Schattenblick

Bis auf den Auftritt Barbara Thalheims und Jean Pacalets, die seiner Empathie treu blieben und einen neuen Weg zur Verbreitung seiner Gedichte aufzeigten, wirkte die begrüßenswerte Veranstaltung zum Gedenken an Erich Fried eher wie ein resignativer Abgesang auf erlittenes Schicksal denn ein streitbares Forum für dessen prinzipielle Zuwendung zum Menschen. Wenn das Ankommen im Kapitalismus so viel Kraft kostet, daß an seine Überwindung nicht mehr zu denken ist, dann läuft die kulturelle Aufladung linker Programmatik Gefahr, nicht zu neuen Ufern unbescheidener Befreiung zu mobilisieren, sondern in die Verwaltung des Status quo mit berufständischer und existenzsichernder Perspektive zu münden. Zweifellos hätte man ehemalige MitstreiterInnen Erich Frieds, selbst betroffene ZeitzeugInnen, für die der Dichter sein Wort erhob, oder AktivistInnen, die den Kampf um Humanität in seinem Namen weiterführen, einladen können, um seiner andauernden gesellschaftlichen Wirkung und dem übergreifenden Charakter seiner politischen Botschaft gerecht zu werden. Im eher beiläufig und pflichtgemäß organisierten Ablauf des Abends kam jedoch der Eindruck auf, er sei weniger der politischen Streitbarkeit, die Frieds Werk innewohnt, denn der taktischen Scheinkompetenz seiner kulturadministrativen Musealisierung gewidmet. Diese Art linker Gedenkkultur muß sich den Vorwurf gefallen lassen, historische Vorbilder für künftige Kämpfe in institutionalisierten Kulturnischen ein weiteres Mal zu Grabe zu tragen.

Fußnote:

[1] http://www.rosalux.de/event/43457/wer-will-dass-die-welt-so-bleibt-wie-sie-ist-der-will-nicht-dass-sie-bleibt.html

Veranstaltungsort am Franz-Mehring-Platz 1 - Foto: © 2011 by Schattenblick

Veranstaltungsort ... eine feste Größe im Osten Berlins
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6. Mai 2011