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INTERVIEW/062: Leipzig, das Buch und die Messe - den Banken auf die Finger ...    Herdolor Lorenz im Gespräch (SB)


Eindruck, Ausdruck, Buchdruck - Impressionen
Leipziger Buchmesse, 17. bis 20. März 2016

Der Filmemacher Herdolor Lorenz über das Buch und den gleichnamigen Film "Wer Rettet Wen?", die verheerenden sozialen Folgen der Finanzkrise und notwendige Gegenmaßnahmen zur vorherrschenden Krisenregulation


Aus der Finanzkrise, die in den Jahren 2007, 2008 begann und bis heute nicht bewältigt ist, sind die vorübergehend in Bedrängnis geratenen Banken gestärkt hervorgegangen. Bezahlt haben das die Steuerzahler. Das ist verkürzt eine Kernaussage des Films "Wer Rettet Wen?" von Herdolor Lorenz und Leslie Franke. Bekannt geworden ist das Gespann mit Filmen wie "Water Makes Money" (2011) über die Privatisierung der Wasserversorgung [1] und "Bahn Unterm Hammer" (2007) über den Börsengang der Bahn. Bei "Wer Rettet Wen?", der über Crowdfunding finanziert wurde und am 15. Februar 2015 Premiere feierte, haben sich die beiden Hamburger mit der früheren NDR-Redakteurin Gabriele Koppel und dem VSA-Verlag zusammengetan und ein Buch mit dem Titel "Wer Rettet Wen? Die Krise als Geschäftsmodell" (Mai 2015) herausgegeben. In dessen Vorwort heißt es:

"Wir haben angefangen, uns mit dem Filmprojekt 'Wer Rettet Wen?' zu befassen, als Anfang 2011 das erste Rettungspaket für Griechenland geschnürt wurde. Begleitet war dies von einer Propagandaschlacht von 'Bild' bis Angela Merkel, in der die 'faulen Griechen' mit ihren 'undenkbar hohen Renten' angeprangert wurden. Dies machte uns fassungslos wie schon lange nichts mehr. Eine solch koordinierte perfide Lüge! Schon damals war allen Experten klar, dass es natürlich nicht um die Rettung der Griechen ging. Die Banken, Hedgefonds und Versicherungen, die griechische Staatsanleihen hielten, hatten um Hilfe gerufen. Der Wert ihrer Anleihen war ins Bodenlose gefallen. Herbe Verluste standen bevor."

Auf 180 Seiten wird geschildert, wie die Finanzinstitutionen gerettet wurden und wie das mit dem Abbau der Sozialsysteme, der Absenkung des Lohnniveaus und einer hohen Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland, Spanien und anderen Ländern erkauft wurde. In dem Buch kommen auch der ehemalige Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine und der frühere Banker Satyajit Das ausführlich zu Wort. Letzterer hat an der Entwicklung von Derivaten mitgearbeitet, ist darüber zum Millionär geworden, und hat sein Tun inzwischen kritisch aufgearbeitet. Mit dem Schreiben von Büchern und Artikeln sowie Vorträgen versucht Das, über die folgenschweren Finanzgeschäftspraktiken aufzuklären. Bei einem Interview, das die Filmemacher mit ihm in seiner Heimatstadt Sydney geführt haben, berichtete dieser, er sei beschämt gewesen, als die Bank, bei der er damals gearbeitet hatte, mit ihrem ersten Swap [2] mehr verdient habe als sein Vater, ein Ingenieur, in seinem ganzen Leben.

Heute machten Derivate das 22fache dessen aus, was die Realwirtschaft in einem Jahr erwirtschafte, veranschaulichte Lorenz das Geschäft mit den Finanzkonstruktionen, die eigentlich eher "Wetten oder Versicherungen" seien. Im Anschluß an die Buchpräsentation stellte sich der Filmemacher dem Schattenblick für einige Fragen zur Verfügung.


Bei der Buchpräsentation - Foto: © 2016 by Schattenblick

Herdolor Lorenz
Foto: © 2016 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Gibt es etwas, was das Buch "Wer Rettet Wen?" besser kann als der gleichnamige Film?

Herdolor Lorenz (HL): Ja, das Buch kann als Lektüre für die stillen Stunden mehr Informationen vermitteln. Wenn man sich die Zeit zum Lesen nimmt, ist das Buch eindeutig die bessere Informationsquelle.

SB: Und wie ist es umgekehrt, was kann der Film besser?

HL: Der Film kann zunächst einmal ganz gut die Grundinformationen liefern und dazu auch Emotionen auslösen. Das Kino hat außerdem den Vorteil des gemeinschaftlichen Erlebens, was eine tiefere Betroffenheit erzeugt. Aber je nach Phantasie könnte man das natürlich auch durch ein Buch schaffen. In der Hinsicht sind die Menschen sehr verschieden.

SB: War es für Sie bereits ein bewährtes Konzept, Film und Buch zusammen herauszugeben? Gibt es beispielsweise zu "Water Makes Money" ein Buch?

HL: Nein, dazu gibt es kein Buch, was ich schade finde. Wir waren damals noch nicht auf die Idee gekommen. Das Konzept, von zwei Medien her auf das gleiche Thema zu schauen, hat sich unbedingt bewährt. Ich glaube, auch für den VSA-Verlag ist es eine positive Erfahrung. Wir sind jetzt schon in der zweiten Auflage. Da wir so ein Thema wie die Bankenkrise ziemlich detailliert ausrecherchieren, ist das eigentlich eine gute Basis, um auch ein Buch dazu zu schreiben. Jedenfalls haben wir vor, das beim nächsten Projekt erneut zu machen.

SB: Haben Sie schon ein Thema im Backofen, was als nächstes kommt?

HL: Ja, wir sind beim Recherchieren und Zusammenstellen.

SB: Verraten Sie uns schon das Thema?

HL: Nein, es fehlt noch der Name und in welche Richtung das gehen soll. Es ist breiter angelegt.

SB: Wird es wieder ein sozialkritisch-politisches Thema werden?

HL: Auf jeden Fall wird es eine Fortsetzung aus der Reihe "Water Makes Money" und "Wer Rettet Wen?" werden.

SB: Wurden diese beiden Filme im Fernsehen gezeigt?

HL: Zumindest "Water Makes Money" und andere Filme von uns wurden gesendet. Mit "Wer rettet wen?" haben wir uns jedoch politisch weiter vorgewagt. "Water Makes Money" hatte viele Menschen angesprochen, die dem Neoliberalismus nicht unbedingt kritisch gegenüberstehen, aber die es einfach für unmöglich halten, wie mit dem Lebenselexier Wasser umgegangen wird. Viele Menschen haben also einen ganz anderen Zugang zu dem Thema, das mit Politik und Ökonomie erst einmal nichts zu tun hat. So konnten wir mit "Water Makes Money" ein viel breiteres Publikum erreichen und haben auch nicht allzu sehr gegen die herrschende Contenance verstoßen.

Während bei "Wer Rettet Wen?" ganz eindeutig Fragen aufgeworfen wie: Wem nutzt das alles? Wer muß für die Bankenkrise bezahlen? So etwas mag man in den höheren Chargen der TV-Anstalten nicht. Mehr noch als bei "Water Makes Money" haben ganz viele Redakteure dafür gekämpft, daß der Film "Wer Rettet Wen?" in ihren Sendern gezeigt wird. Doch das wurde immer von ganz oben gestoppt.

SB: Eine Begründung dafür haben Sie vermutlich nicht erhalten?

HL: Nein, so etwas wird nicht weitergereicht.

SB: Sie sprachen eben in Ihrer Präsentation davon, daß Europa gespalten ist. Wo entlang verläuft der Spalt? Entlang nationaler Grenzen?

HL: Ja, dort auch, aber grundsätzlich gibt es erst einmal die Abspaltung der nord- und mitteleuropäischen Länder, die erfolgreich sind oder sich im Neoliberalismus als erfolgreich wähnen. Sie haben die anderen zuvor zur Schuldenaufnahme und nachher zur Austeritätspolitik gezwungen. Eigentlich hat Deutschland mit der Verarmungspolitik angefangen. Jetzt zwingt es Länder wie Griechenland - neuerdings auch Italien und Spanien - dazu, bei der Arbeitsderegulierung und der Verarmung der Bevölkerung noch viel weiter zu gehen. Auch die Modelle der Kranken- und der Rentenversicherung laufen auf die Verarmung der gewöhnlichen Bevölkerung hinaus. Um das durchzusetzen, wurden diese Länder massiv unter Druck gesetzt.

Beispielsweise besaß Spanien einmal das effektivste Gesundheitssystem Europas. Es war kostengünstiger und medizinisch auch erfolgreicher als das deutsche. Man hat im Bunde mit den Herrschenden in Spanien dafür gesorgt, daß dieses Modell abserviert und das deutsche Versicherungswesen eingeführt wurde.

SB: Was war so besonders am spanischen Gesundheitssystem?

HL: Das wurde über die Mehrwertsteuer finanziert, so war jeder daran beteiligt und hatte auch Anspruch darauf. Keiner wurde ausgeschlossen. Im ganzen Land gibt es Gesundheitsstationen mit acht, neun Ärzten verschiedener Disziplinen. Es handelt sich um angestellte Ärzte, die viel flexibler und günstiger waren und nicht in die eigene Tasche gearbeitet haben. Außerdem gibt es Fachkliniken und darüber hinaus noch die großen Kliniken. Auf allen Ebenen sind die Leute angestellt. Dieses effektive System wurde abgeschafft.

Aber in Spanien finden gegenwärtig Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung statt. Wer weiß, was dabei herauskommt. Ich halte nicht viel von Podemos [3], aber immerhin fordert sie die Reregulierung der Arbeit und die Rückführung der Krankenversicherungen in den ursprünglichen Zustand. Wenn sie das im Regierungsprogramm durchsetzen kann, dann umarme ich sie.

SB: Haben Sie bei Ihren Recherchen Beispiele für Kapitalflucht feststellen können, die zur Folge hat, daß die reichen Leute eigentlich gar nicht von den Sparmaßnahmen betroffen sind?

HL: In Griechenland sieht man das an den Häfen. In denen liegen unglaublich viele Yachten. Und die ganzen TV-Sender gehören Reedern, die keine Steuern zahlen. Die reichen Griechen haben an der Krise überhaupt keinen Schaden genommen. Der IWF, der eine zwiegespaltene, sehr interessante Institution ist, hatte Griechenland eine Liste der Steuersünder übergeben. Doch die wurde dort einfach die ganze Zeit nicht wahrgenommen. Warum nicht? Weil man den Reichen nicht auf den Schlips treten wollte.

Eigentlich ist das sogar ein Modell, das überall angewendet wird: Man will für Investoren Vertrauen schaffen. Und dann, wenn die die größten Sauereien machen und wir ihnen dann ihre Spekulationen retten müssen, dürfen keine Maßnahmen ergriffen werden, durch die sie vergrault werden könnten. Das ist die Politik seit dem Jahr 2000.

SB: Sie sprachen bei der Buchvorstellung davon, daß die Derivate reguliert werden müßten. Haben Sie dazu konkrete Vorstellungen?

HL: Ja, dazu gibt es konkrete Vorstellungen von namhaften Experten, beispielsweise von Herrn Das und auch von Neel Kashkari, dem Präsidenten der Fed von Minneapolis. Es gibt ja auch fruchtbare Derivate, nur hat man sie früher nicht so genannt, beispielsweise wenn man einen Bauern versichern möchte, so daß er später für seine Erzeugnisse einen bestimmten Preis erhalten wird. Denn der Bauer muß erst ansäen und geht damit ein großes finanzielles Risiko ein, da er nicht weiß, welchen Preis er für seine Ernte erhalten wird. Das ist ein Fall, bei dem er mit einem Swap versichert werden kann. Das ist ganz normal. Es gibt noch einige andere Grundmodelle, die wichtig und richtig sind. So etwas sollte man grundsätzlich weiterhin erlauben. Doch sobald es auf die nächste Stufe geht, wenn Wetten auf Derivate oder sogar Wetten auf Wetten abgeschlossen werden, sollte es verboten werden.

SB: Was halten Sie von der Idee, eine sogenannte Tobin-Steuer [4] einzuführen, wie es unter anderem von der Bewegung attac gefordert wird?

HL: Das halte ich für sehr gut. Diese Idee wurde ansatzweise schon von der EU übernommen, nur daß sie dann so verwässert wurde, daß fast nichts mehr davon übriggeblieben ist. Ich halte es für sehr wichtig, an diesem Punkt weiterzukämpfen, damit sie ernsthaft durchgesetzt wird. Allerdings muß man auch dazu sagen, daß man die Tobin-Steuer immer wird umgehen können, solange die Derivate nicht reguliert und die Schlupflöcher der vielen unregulierten Steueroasen nicht verschlossen sind.

SB: Herr Lorenz, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] Eine Filmrezension zu "Water Makes Money" finden Sie im Schattenblick unter INFOPOOL → MEDIEN → REDAKTION:
http://schattenblick.de/infopool/medien/redakt/mrrz0021.html

[2] Swap kommt von engl. "Tausch", "Austausch". In der Wirtschaft wird damit eine Tauschvereinbarung zwischen zwei Akteuren bezeichnet.

[3] Podemos (auf deutsch: "Wir können") entstand im Januar 2014 als politische Bewegung und trat bei den letzten Parlamentswahlen als Partei an. Sie erreichte 20,66 Prozent der Stimmen und erhielt 69 Mandate. Damit ist sie die drittstärkste Fraktion im Parlament.

[4] Tobin-Steuer - eine Finanztransaktionssteuer auf internationale Devisengeschäfte. Benannt wurde sie nach dem US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler James Tobin, der sie bereits 1972 vorgeschlagen hatte.


Die Berichterstattung des Schattenblick zur Leipziger Buchmesse finden Sie unter INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT:

BERICHT/041: Leipzig, das Buch und die Messe - alte Animositäten ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbrb0041.html

BERICHT/042: Leipzig, das Buch und die Messe - es wächst zusammen, was nie verschieden war ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbrb0042.html

INTERVIEW/048: Leipzig, das Buch und die Messe - der rote Faden Lesespaß ...    Kerstin Libuschewski und Julia Lücke im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/049: Leipzig, das Buch und die Messe - zielgeführt und aufgeklärt ...    Christian Linker im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0049.html

INTERVIEW/050: Leipzig, das Buch und die Messe - fast nach zwölf ...    Prof. Hans Joachim Schellnhuber im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/051: Leipzig, das Buch und die Messe - Klassenbesinnung ...    David North im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/052: Leipzig, das Buch und die Messe - Renaissance und Verjüngung ...    Steffen Haselbach im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/053: Leipzig, das Buch und die Messe - an der Oberfläche ...    Torsten Casimir im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/054: Leipzig, das Buch und die Messe - Koloniale Karten neu gemischt ...    Gerd Schumann im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/055: Leipzig, das Buch und die Messe - bündeln, leiten, messen ...    Thierry Chervel im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/056: Leipzig, das Buch und die Messe - Alter Wein ...    Wolfgang Tischer im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/057: Leipzig, das Buch und die Messe - Erfolg, Irrtum und Selbsteinschätzung ...    Markus Heitz im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0057.html

INTERVIEW/059: Leipzig, das Buch und die Messe - nicht bis in die letzte Konsequenz ...    Antje Belke im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/060: Leipzig, das Buch und die Messe - offener Empfang, fesselfreier Gang ...    Constantin Schreiber im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/061: Leipzig, das Buch und die Messe - textinszenierte Bühnenshows ...    Bas Böttcher im Gespräch (SB)
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19. April 2016


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