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SCHULE/030: Uni Lüneburg - Wie bringt man Jugendliche zum Lesen? (idw)


Leuphana Universität Lüneburg - 28.03.2007

Leuphana Universität Lüneburg: Wie bringt man Jugendliche zum Lesen?


Alle Wege führten am 6. März an Rom vorbei - nach Aquila, der Hauptstadt der Abruzzen. Dort trafen sich zwölf europäische Partner zur ersten internationalen Tagung des Lüneburger EU-Projekts "ADORE" zum Thema "Leseförderung von jugendlichen Risikogruppen". Der Projektname ADORE beruht auf dem englischen Terminus für "leseschwache Jugendliche", "struggling adolescent readers". Das zweijährige Projekt von Prof. Dr. Christine Garbe, Prof. Dr. Swantje Weinhold und Dr. Karl Holle (Leuphana Universität Lüneburg) hat das Ziel, Leseforscher und Lehrende im Bereich der "adoleszenten Leseschwäche" europaweit zu vernetzen und Beispiele guter Leseförderung zu dokumentieren. Im Rahmen des EU-Sokrates-Programms soll ein Überblick zur "Europäischen Leseförderung von jugendlichen Risikogruppen" erarbeitet werden.

Die PISA-Studie 2000 hat gezeigt, dass in vielen europäischen und außereuropäischen Ländern bis zu 25 Prozent der Jugendlichen den elementaren Anforderungen an die Lesekompetenz in einer postindustriellen Wissensgesellschaft nicht gewachsen sind. "Dieser Befund ist von außerordentlicher gesellschaftlicher Brisanz, da Lesekompetenz die Basiskompetenz für Wissenserwerb und lebenslanges Lernen darstellt", sagt Professor Dr. Swantje Weinhold vom Institut für Deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik der Leuphana Universität Lüneburg.

Hier setzt das Projekt der Lüneburger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an: Es erkundet, welche Maßnahmen die beteiligten Länder eingeleitet haben, um die Lesekompetenz besonders leseferner Jugendlicher zu erhöhen. Dazu werden sich internationale Forscher-Teams gegenseitig besuchen und in verschiedenen Schulen Beispiele besonders guter Leseförderpraxis aus der Nähe betrachten. Swantje Weinhold: "Solche Schulen und Klassen auch in der näheren und weiteren Umgebung Lüneburgs zu finden, wird die Aufgabe der nächsten Monate sein."

Parallel zu dieser praxisorientierten Recherche findet im Gesamtprojekt ein intensiver theoretisch-wissenschaftlicher Austausch statt. Dabei geht es um Fragen wie "Was verstehen die beteiligten Länder unter 'Lesekompetenz'?", "Welche nationalen Erkenntnisse liegen dazu vor?", "Welche Rahmenbedingungen für guten Leseunterricht sind durch die jeweiligen Bildungssysteme und nationalen Curricula gegeben?" und vor allem: "Was können die beteiligten Länder voneinander lernen?".

"Das ist eine große Chance für die Uni Lüneburg, in diesem gesellschaftspolitisch relevanten Bereich zu einer der maßgeblichen Universitäten in Europa zu werden", sagt die Leiterin des Gesamtprojektes, Prof. Christine Garbe. "Eine nennenswerte Vernetzung europäischer Wissenschaftler und Praktiker in der Erforschung und Bekämpfung jugendlicher Leseschwäche hat es so bislang nicht gegeben." Umso neugieriger war das Lüneburger Team auf die erste Begegnung mit den elf Partnerteams aus anderen europäischen Ländern und der amerikanischen Evaluatorin, Prof. Dr. Donna Alvermann.

"Dieser erste Workshop war hoch interessant und ist sehr gut gelaufen", so die einhellige Meinung aller Beteiligten. So konnten sich die Teilnehmer aus allen Teilen Europas, unter anderem aus dem PISA-"Musterland" Finnland, aus Belgien, Norwegen, der Schweiz, Estland, Polen, Ungarn, Rumänien, Deutschland und Amerika gut kennen lernen und in die inhaltliche Diskussion einsteigen.

Doch ganz so einfach und vor allem schnell geht das nicht: "Schwierig macht die inhaltliche Arbeit unter anderem die Tatsache, dass es in den einzelnen Ländern unterschiedliche Bildungstraditionen und Forschungsstände in Sachen Lesekompetenz gibt", sagt Projekt-Mitinitiator Dr. Karl Holle. "Unsere Zielgruppe, Jugendliche mit erheblichen Leseproblemen, sind in den einzelnen Partnerländern in ganz unterschiedlichen Schulformen und -stufen. In einigen Ländern geht die Grundschule bis zur 4. Klasse, in anderen dagegen bis zur 8., 9. oder 10. Klasse, nach der dann zum Beispiel eine 'lower high school' für alle Kinder folgt oder eine Differenzierung nach Leistung." Einige der ADORE-Partnerländer, wie etwa Deutschland, Rumänien und Polen, hätten verstärkt mit so genannten "school drop outs" zu tun - Jugendliche, die die Schule abbrechen und daher in besonderem Maße zur Gruppe potenziell schwacher Leser gehören. Norwegen und Finnland dagegen kennen dieses Phänomen nicht. Andere Beispiele:

o Alle Partnerländer mit Ausnahme von Deutschland und Rumänien setzen jährlich landesweite Lesetests ein, um den Stand der Kompetenzentwicklung ihrer Schüler genau zu ermitteln.

o Die Mehrheit der Nationen verzichtet auf Noten bis Klasse 9 oder 10 ganz; viele unterrichten jahrgangsübergreifend.

o Sozioökonomische Faktoren, die die Leseentwicklung negativ beeinflussen, wie etwa niedriges Einkommen der Eltern oder wenige Bücher zuhause, werden besonders in Finnland von Schule und anderen Bildungsinstitutionen kompensiert.

o Die ADORE-Partnerländer haben unterschiedliche Konzepte für den Begriff "Didaktik": So steht er in Polen oder den USA für einen Unterricht, in dem die Lehrer ganz genau vorgeben, was die Schüler machen sollen, und nicht wie in Belgien, Ungarn oder Deutschland für die Wissenschaft und Konzeption vom Lehren und Lernen.

Auf Basis dieser und weiterer Ergebnisse wurde in der Abschlussdiskussion erörtert, ob sich ein gemeinsames Rahmenmodell zur Beschreibung der Probleme von "adolescent struggling readers" definieren ließe und ob man bereits Kriterien zur Beurteilung von "good practice" in diesem Bereich angeben könnte. Auch hier gab es Unterschiede und Kontroversen, die sich vor allem um die Frage drehten, welche Komponenten Lesekompetenz beinhaltet und wie sich ein "leseschwacher Leser" definieren lässt. Besonders spannend war die Diskussion um die Frage, ob mangelnde oder fehlende Motivation eine Ursache, eine Folge oder ein wesentliches Merkmal von Leseschwierigkeiten ist. Darum verständigten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zunächst auf ein Basismodell, das genügend Raum für nationale Modifikationen gibt. Das nächste Treffen ist für Ende September in Ungarn geplant.

Im Rahmen der Konferenz wurde auch eine neu-geschaffene Internet-Plattform für das Gesamtprojekt vorgestellt, die zur europaweiten Kommunikationsplattform für alle Forscher und Praktiker im Bereich jugendlicher Leseförderung werden soll. Doch da führt der Weg weder nach Rom noch nach Aquila, sondern nach Lüneburg, denn: Entwickelt und betrieben wird das Internet-Portal www.adore-project.eu von einer Lüneburger Firma - gegründet von Studierenden der Leuphana Universität Lüneburg. Diese Plattform soll künftig auch zur Darstellung der organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen des Projekts dienen, insbesondere der arbeitsaufwändigen und komplizierten Fördermodalitäten eines solchen EU-Projektes, und der transparenten Verwendung der Projektfinanzen.

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Christine Garbe
Tel.: 04131/677-2784
e-mail: garbe@uni-lueneburg.de

Prof. Dr. Swantje Weinhold
Tel.: 04131/677-2621
e-mail: weinhold@uni-lueneburg.de

Dr. Karl Holle
Tel.: 04131/677- 2625
e-mail: holle@uni-lueneburg.de

Weitere Informationen unter:
http://www.adore-project.eu - Projekthomepage

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution136


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leuphana Universität Lüneburg, Karen Schierhorn M.A., 28.03.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2007