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GENFRUCHT/013: Vorsicht Gentechnik! (PROVIEH)


PROVIEH Ausgabe 04/2013
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Vorsicht Gentechnik!

von Sabine Ohm



Im Umgang mit gentechnisch veränderten Pflanzen (Gv-Pflanzen) erweist sich die europäische Politik als ebenso fahrlässig wie in den übrigen Bereichen des Tier- und Umweltschutzes (siehe Bericht in diesem Heft). Eigentlich gilt laut EU-Recht das "Vorsichtsprinzip", so dass bei Risiken für die Umwelt oder die Gesundheit von Menschen und Tieren keine Zulassung erfolgen dürfte.


Neue Gv-Zulassungen trotz ungeklärter Risiken

Im November 2013 erteilte die EU-Kommission trotz massiver Proteste aus einer Reihe von Mitgliedsstaaten eine Zulassung für die Genmais-Sorte "SmartStax" als Lebens- und Futtermittel. Dieser Mais produziert sechs Insektengifte und ist gegen zwei Unkrautvernichtungsmittel resistent. Die EU-Lebensmittelaufsichtsbehörde EFSA hat weder die Kombinationseffekte zwischen den Insektengiften und den Rückständen der Spritzmittel geprüft, noch Fütterungsversuche mit SmartStax-Mais zur Untersuchung der gesundheitlichen Risiken für Menschen und Tiere gefordert oder durchgeführt.

Dieses Vorgehen ist alles andere als seriös, es ist vielmehr ein Verstoß gegen das Vorsichtsprinzip. Das gleiche gilt für die Gentech-Maissorte 1507, deren Anbau-Zulassung im Dezember 2013 wahrscheinlich ist (siehe Infobox). Die EU-Kommission beruft sich bei ihrer Zulassung ausschließlich auf die Zulassungsempfehlung der EFSA. Diese Institution ist aber nachweislich von Lobbyisten der Gentech-Industrie unterwandert: Laut der Nichtregierungsorganisation "Corporate Europe Observatory" (CEO) haben fast 60 Prozent der 209 EFSA-Experten direkte oder indirekte Verbindungen zu den Wirtschaftszweigen, die sie eigentlich unabhängig überprüfen sollten - viele auch zu Gentechnik-Unternehmen.


Gentech-Pflanzen - bisher ein Fluch, kein Segen

Die zuständigen Entscheidungsträger ignorieren Praxiserfahrungen und unabhängige Studien, die die angeblichen Segnungen der Gv-Pflanzen (Unschädlichkeit, höhere Erträge, weniger Spritzmittel) als pure Lügen entlarven. Ohne Gentechnik stiegen in Westeuropa die Hektarerträge, und die Pestizideinsätze sanken. Mit den seit 1996 zum kommerziellen Anbau freigegebenen Gv-Pflanzen geschieht in den USA, dem Gentech-Anbauland Nr. 1, das genaue Gegenteil (siehe Studie der Universität Canterbury, Neuseeland, Juni 2013): Die Hektarerträge sanken, die Pestizideinsätze stiegen.

Laut einer Fütterungsstudie von australischen und US-Wissenschaftlern aus dem Jahr 2013 litten ganz normale Mastschweine nach einer kompletten Mastperiode von 22 Wochen bei Fütterung mit gentechnisch verändertem Mais und Soja fast dreimal so häufig unter "ernsthaften Magenentzündungen" (32 Prozent) wie Artgenossen, die GVO-freies Futter bekamen (12 Prozent).

Ein Autorenteam mit Forschern der ungarischen Akademie der Wissenschaften, der Harvard Medical School und der Technischen Universität Dänemarks untersuchte 1000 Blutproben von Menschen und fand 2013 heraus, dass komplette Gene aus Nahrungsmitteln (zum Beispiel von Tomaten) vom Verdauungstrakt ins Blut gelangen können. Also wäre es möglich, dass auch gentechnisch modifizierte DNA-Abschnitte ins Blut gelangen können - mit unabsehbaren Folgen für die Gesundheit.


Ein Moratorium ist nötig

Wenn der Anbau von Gv-Pflanzen in der EU nicht gestoppt wird, wird dies auch schwerwiegende Folgen für jene Landwirte und Imker haben, die selbst auf Gentechnik verzichten möchten. Denn eine Koexistenz von Gv-Pflanzen und konventionell gezüchteten Pflanzen ist praktisch nicht möglich, weil Gv-Pflanzen weder Acker- noch Landesgrenzen respektieren und sich durch Auskreuzung unkontrolliert verbreiten können. Also könnten Landwirte die Gentechnikfreiheit ihrer Produkte nicht mehr garantieren und wären nach derzeitiger Rechtsprechung nicht einmal schutz- noch schadensersatzberechtigt. Das zeigte eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts anlässlich einer Klage über unfreiwillig mit Genmaispollen (MON 810) verunreinigten Honig im Oktober 2013.

Anbau und Import von Gv-Pflanzen und deren Saatgut müssen deshalb dringend durch ein Moratorium unterbunden werden. Die Wiener Ärztekammer kritisierte jüngst öffentlich und auf das schärfste die Zulassungspraxis der EU für Gv-Pflanzen und forderte einen Genehmigungsstopp für diese Pflanzen bis zur Durchführung und Auswertung von unabhängigen Langzeitstudien über alle Folgen (30 Jahre).

PROVIEH schließt sich dieser Forderung an. Sonst brauchen gentechnikfreundliche Parteien (wie CDU und FDP) wegen der bereits zunehmenden schleichenden Verbreitung von Gv-Pflanzen nur zu warten, bis die international gehandelten Lebensmittel und die Äcker hinreichend kontaminiert wurden, um die Bürger (wie jüngst beim NSA-Abhörskandal) vor vollendete Tatsachen zu stellen: Dann hätten wir keine andere Wahl als: Friss oder stirb!


INFOBOX
Die EU-Kommission scheiterte im November 2013 zwar mit dem Versuch, das Anbau-Genehmigungsrecht auf die Mitgliedsstaaten zu übertragen. Allerdings ist dies kein wirklicher Erfolg. Denn im Umwelt-Ministerrat, der für Gentech-Entscheidungen zuständig ist, gab es bisher - auch wegen der systematischen Enthaltungen Deutschlands - nie die erforderliche qualifizierte Mehrheit für oder gegen Gentech-Zulassungen. Und bei Pattsituationen entscheidet die Kommission, die bisher immer für die GVO-Genehmigungen stimmte. Somit treibt Deutschland GVO-Zulassungen durch seine Enthaltungen de facto voran.

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Quelle:
PROVIEH Ausgabe 04/2013, Seite 12-13
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2014