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FRAGEN/001: Nordirland - Martin McGuinness trifft englische Königin (Info Nordirland)


Info Nordirland - Juni 2012

Martin McGuinness trifft englische Königin

Interview mit Sinn Féin Präsident Gerry Adams, 22. Juni 2012



Martin McGuinness, Mitglied der Sinn Féin Führung und derzeit stellvertretender First Minister der nordirischen Regionalregierung wird am nächsten Mittwoch Queen Elizabeth in Nordirland treffen. Er ist damit das erste Führungsmitglied von Sinn Féin, das sich mit einer britischen Monarchin trifft. Für viele in der irisch-republikanischen Bewegung ist ein solches Treffen schwer zu verdauen. Wir veröffentlichen im folgenden die deutsche Übersetzung eines Interviews mit Sinn Féin Präsident Gerry Adams, das die Zeitung An Phoblacht am vergangenen Freitag führte.


Frage: Gerry, Martin McGuinness, ein langjähriges Mitglied der Sinn Féin Führung, trifft die britische Monarchin. Warum ist das so ein schwieriger Schritt für (irische) Republikaner?

Gerry Adams: Es ist ein schwieriger Schritt, weil unsere Insel immer noch geteilt ist. Trotz aller Fortschritte, die es gegeben hat, haben wir ein ausgeprägtes Gefühl des Leids, das dieser Insel und seinen Bewohnern durch englische Einmischung in irische Angelegenheiten zugefügt wurde. Auch meiner Generation in den letzten 40 Jahren. Alle Familien, die Angehörige verloren haben, die vielen, die durch englische Sicherheitskräfte und durch staatliche Gewalt Großbritanniens verletzt wurden. Ich bin mir sehr bewusst und respektiere, dass Menschen vor diesem Hintergrund Schwierigkeiten haben, eine Initiative wie diese zu verstehen.

Aber ich glaube, dass es gute Gründe gibt. Es ist die richtige Initiative zur richtigen Zeit. Wir hatten gerade eine Sitzung des Ard Comhairle (Sinn Féin Führungsgremium) und das hier ist mein erstes Interview nach diesem Treffen. Der Sitzung des Ard Comhairle vorausgegangen waren 40 Versammlungen in ganz Irland, die gut besucht waren und auf denen offen und umfassend diskutiert wurde. Die Versammlungen spiegelten die Stimmung in der Bevölkerung wieder. Es gab diejenigen, die klar dafür oder klar dagegen waren. Dann gab es die in der Mitte. Was mich auf der Versammlung, die ich in meinem eigenen Wahlkreis besuchte, besonders beeindruckte, war der gemeinsame Wille, etwas zu bewegen. Trotz der unterschiedlichen Meinungen existiert das Gefühl der Einheit und des Miteinander.

Auf dieser Grundlage hat der Ard Comhairle seine Entscheidung getroffen. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass das Treffen nicht Teil der Jubiläumsfeierlichkeiten der Königin von England ist, sondern ein separates Treffen. Es wurde von einer gesamtirischen NGO organisiert, findet an einem neutralen Ort statt und der irische Präsident wird ebenfalls anwesend sein. Das ist übrigens ein Zeichen dafür, wie weitgehend sich Dinge hier bereits geändert haben (Unionisten, so nennen sich die Verfechter einer Union zwischen Nordirland und Großbritanniennoch, hätten noch vor wenigen Jahren die Teilnahme eines irischen Ministerpräsidenten als unglaublichen Skandal und Angriff auf ihre Identität gewertet).

Damit haben wir die Königin von England, den irischen Präsidenten, sowie Martin McGuinness und Peter Robinson, die uns gemeinsam in Nordirland im Office des stellvertretenden First Minister und des First Minister repräsentieren.

Frage: Warum findet das Treffen zum jetzigen Zeitpunkt statt?

Gerry Adams: Nun, manche argumentieren, dass das Treffen ja auch nicht stattgefunden hat, als die Königin von England vor einem Jahr diesen Staat hier besuchte (den irischen Süden). Ich möchte betonen, dass das die richtige Entscheidung war. Denn im damaligen Treffen ging es um die Normalisierung der Beziehungen zwischen diesem Staat und dem englischen Staat, dessen Establishment und seiner Monarchie. Das war in Ordnung, und wir haben Einiges, was damals in Dublin gesagt wurde, sehr begrüßt.

Diese aktuelle Initiative kommt, weil sie diesmal den Norden besucht. Und hier bemühen wir uns um demokratische Verhältnisse, eine unabdingbare Grundlage für ein Ende der Teilung Irlands, für ein vereinigtes Irland. Wir wollen einen bestimmten Typ eines vereinigten Irlands, eine Republik, in der alle Bürger gleich behandelt werden. Unionisten müssen wir für diese Konzepte gewinnen. Wir hören den Unionisten zu, wir reden mit ihnen, sie reden über ihr Verständnis von Identität. Wir müssen uns gegenseitig verstehen. Wir sind nicht viele, die Unionisten sind ein bedeutender Teil von uns. Ist es möglich, Ire und Unionist zu sein? Ist es möglich, Brite zu sein, und sich unter seinen Nachbarn trotzdem wohlzufühlen? Wir versuchen, auf sie zuzugehen.

Hier haben wir nun Martin McGuinnes. Er ist ganz klar ein überzeugter, langjähriger Republikaner, klar in seiner Haltung gegen die Teilung Irlands. Er kämpfte sein Leben lang im Widerstand. Und er ist bereit, jemandem, den wir nicht als Oberhaupt unseres Staates akzeptieren, aber den einige unserer unionistischen Nachbarn als solches akzeptieren, - im Kontext von alledem - die Hand zu reichen. Damit ist das eine Geste, symbolisch, die etwas Raum schafft und zeigt, dass wir ernsthaft tun, was wir über Konfliktlösung sagen, über den Aufbau unserer Nation, über den ganzen Prozess der nationalen Versöhnung. Ohne diesen Versöhnungsprozess, der die Menschen zusammenbringt, ist Einheit ist unmöglich.

Deshalb ist das eine sehr bedeutende Initiative and ich hoffe, dass sie die Entwicklung hin zu dem Tag beschleunigt, an dem sich Orange und Grün vereinen. Und ich rufe alle Sinn Féin Mitglieder und Aktivisten, sowie alle Republikaner auf, diese Initiative zu unterstützen. Jeder, der der Überzeugung ist, dass wir selbst unsere Zukunft gestalten müssen, sollte die Möglichkeiten nutzen, die sich aus dieser Initiative ergeben, um sich für eine bessere Gesellschaft zu engagieren. Denn alle Menschen auf dieser Insel verdienen eine bessere Gesellschaft als die, die wir gegenwärtig haben. (Orange und Grün: die zwei Farben der irischen Fahne werden oft als Ausdruck der beiden Traditionen interpretiert: "Orange" steht für den Unionismus, "Green" für den irischen Republikanismus)

Frage: Was würdest Du gerne als Weiterentwicklung dieser Begegnung sehen?

Gerry Adams: Wir haben unsere eigenen Projekte. Als politische Partei kämpfen wir gegen die Austeritätspolitik (gegen den Fiskalpakt und die entsprechende Politik) im Norden und im Süden, wir arbeiten am weiteren Aufbau unserer Partei, wir entwickeln unsere Strukturen, wir werben Mitglieder, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern leisten wir Widerstand gegen die Sozialpolitik und die Wirtschaftspolitik, die uns aufgezwungen wird. Gleichzeitig arbeiten wir daran, die kritische Masse an Unterstützung aufzubauen, damit wir unsere Angelegenheiten in Eigenverantwortung kontrollieren können. Das ist nicht möglich, solange die Insel geteilt ist. Eigene Kontrolle ist nicht möglich, solange Großbritannien die Kontrolle eines Teils der Insel beansprucht.

Deshalb arbeiten wir nach dem Treffen weiter an unserem Projekt. Aber ich würde mir wünschen, dass wir durch das Treffen eine neue Phase initiiert haben. Denn dies geht über den Friedensprozess hinaus, es ist eine Weiterentwicklung des Friedensprozesses, es ist Teil dessen, was wir als Aufbau unserer Nation verstehen. Es sendet eine spezielle Botschaft an Unionisten: unabhängig von unserer klaren Haltung zur Monarchie und zu Herrschaftsansprüchen (von Großbritannien) in Irland, wollen wir Eure Sicht der Dinge respektieren.

Klar, dass diejenigen, die Sinn Féin feindlich gesinnt sind und diejenigen, die keinen Fortschritt im Friedensprozess sehen wollen, gegen das Treffen Stimmung machen werden.

Ich bin mir sehr bewusst, dass es für die Familien, die Angehörige im Konflikt verloren haben, Angehörige unserer patriotischen Toten und anderer Familien in republikanischen Vierteln, die Tote zu beklagen haben oder Verwundete, ein schwerer Schritt ist. Und wir alle müssen aufeinander Rücksicht nehmen.

Frage: Abschliessend, wie sollten Deiner Meinung nach Menschen außerhalb von Sinn Féin diese Initiative sehen?

Gerry Adams: Es ist eine ehrliche Initiative, schwierig für uns, aber die richtige Initiative zur richtigen Zeit. Es zeigt uns von Sinn Féin als modern und selbstbewußt, dass wir uns den Aufgaben dieser Zeit stellen. Die Menschen sollen verstehen, dass wir eine neue Form der Politik entwickeln, in sozialen und wirtschaftlichen Fragen, im ländlichen Raum, bezüglich eines vereinigten Irlands und des Typs von Irland, den wir sehen wollen, aber ganz speziell, um die jahrhundertealte Spaltung zwischen Orange und Grün zu überwinden, und sie durch gegenseitiges Verständnis und Einheit zu ersetzen.


Erstveröffentlichung:
An Phoblacht, 22.6.2012
http://www.anphoblacht.com/contents/21966

Deutsche Übersetzung:
Uschi Grandel, 24.6.2012, Erläuterungen in Klammern

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Quelle:
Info Nordirland / Baskenland
c/o Dr. Uschi Grandel
Holzhaussiedlung 15, 84069 Schierling
Telefon: 0049.(0)9451.949859
E-Mail: info@info-nordirland.de
Internet: www.info-nordirland.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2012