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GRENZEN/138: Ertrunkene Flüchtlinge durch libysche Küstenwache (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Ertrunkene Flüchtlinge durch libysche Küstenwache

Meldung von Sea-Watch, 06.11.2017



Flüchtlinge steigen vom sinkenden Schlauchboot auf ein Rettungsschiff um. Weiter hinten ein weiteres Schiff - Bild: © Lisa Hoffmann / Sea-Watch

Bild: © Lisa Hoffmann / Sea-Watch

Berlin - 06.11.2017. Sea-Watch ist eine ehrenamtliche Organisation, die 2014 angesichts der moralischen Schieflage Europas zu den Mittelmeertoten entstanden ist, um aktiv etwas zu tun, um die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer zu retten. Das tut sie seither mit einer wachsenden Zahl an ehrenamtlichen HelferInnen und SpenderInnen. Sie gerät damit in das Feuer der politischen Auseinandersetzung um das Türkeiabkommen und den Deal mit Libyen, generell um die Militarisierung der Flüchtlingsabwehr. Immer häufiger berichten sie in letzter Zeit von dramatischen Ereignissen, in denen die libysche Küstenwache Flüchtlingsboote in Seenot bringt. Seit November ist das dritte Sea-Watch Schiff in See gestochen ... und hat seine erste Feuertaufe bekommen. Hier der Bericht der Sea-Watch 3:

Auf dem zentralen Mittelmeer ist es durch das brutale und unbesonnene Vorgehen der sogenannten libyschen Küstenwache während der ersten Rettung durch die Sea-Watch 3 zu mindestens fünf Toten gekommen. Ein Hubschrauber der italienischen Marine musste eingreifen, um weitere Tote zu verhindern. 58 Menschen befinden sich derzeit sicher an Bord der Sea-Watch 3, ein Kleinkind konnte trotz größter Anstrengungen unseres medizinischen Teams nicht wiederbelebt werden. Weitere Schiffbrüchige wurden von der sogenannten libyschen Küstenwache verschleppt. Der Einsatz fand auf hoher See, weit außerhalb libyscher Territorialgewässer statt, der Eingriff der Libyer stellt einen schweren Völkerrechtsverstoß dar.

Gegen 7 Uhr erreichte die Crew der Sea-Watch 3 heute ein Notruf der Rettungsleitstelle in Rom. Nördlich von Tripoli hatte ein sinkendes Schlauchboot in internationalen Gewässern einen Notruf abgesetzt. Die Crew der Sea-Watch 3 kam etwa zeitgleich mit einem Patrouillenboot der libyschen Küstenwache bei dem Seenotfall an und begann, die Schiffbrüchigen an Bord zu nehmen.

Die libysche Küstenwache fuhr ebenfalls an das Schlauchboot heran und nahm Menschen an Bord, die jedoch von Mitgliedern der libyschen Küstenwache geschlagen und bedroht wurden. Auf dem Schlauchboot brach Panik aus und zahlreiche Flüchtende fielen ins Wasser. Das libysche Schiff fuhr dann mit großer Geschwindigkeit los, obwohl sich noch Menschen von außen am Boot festklammerten und so mitgeschleift wurden. Ein Hubschrauber der italienischen Marine musste eingreifen und stoppte das libysche Schiff kurzzeitig, um weitere Tote zu verhindern, nachdem Sea-Watch die Libyer mehrfach über Funk auf die lebensbedrohliche Situation hingewiesen hatte. Mindestens fünf Menschen kamen bei der Havarie des Schlauchbootes ums Leben, darunter ein Kind, das trotz größter Anstrengungen der medizinischen Crew der Sea-Watch 3 nicht wiederbelebt werden konnte.

"Es hätte heute sehr wahrscheinlich niemand sterben müssen, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, den Rettungseinsatz ruhig und besonnen durchzuführen. Anstatt die Rettung mit den anwesenden Schiffen zu koordinieren, zu denen auch ein französisches Kriegsschiff gehört, haben die Libyer versucht, möglichst viele Menschen zurück nach Libyen zu verschleppen und dabei Tote in Kauf genommen", sagt Sea-Watch Einsatzleiter Johannes Bayer. "Diese Toten gehen auf das Konto der sogenannten libyschen Küstenwache, die durch ihr brutales Vorgehen eine sichere Bergung der Schiffbrüchigen verhindert hat. Die Verantwortung trägt jedoch die Europäische Union, die die Libyer ausbildet und ausstattet und in deren Sinne diese Truppe handelt. Die Bundesregierung muss aus dieser weiteren Tragödie endlich Konsequenzen ziehen und die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache auf Eis legen. Die Europäische Union muss damit aufhören, Migrationsabwehr vor die Wahrung von Menschenrechten zu stellen." Die Verschleppung und mutmaßliche Rückführung einer bisher unbekannten Zahl Flüchtender nach Libyen stellt einen schweren Völkerrechtsverstoß dar: "Wir befanden uns auf hoher See, außerhalb der libyschen Territorialgewässer, etwa 30 Seemeilen nördlich von Tripoli, also auch außerhalb der Anschlusszone. Die Libyer haben dort keinerlei Hoheitsrechte", sagt Pia Klemp, Kapitänin der Sea-Watch 3.

Bereits am 21. Oktober 2016 war es zu einem ähnlichen Vorfall mit vielen Toten gekommen, als die libysche Küstenwache während einer laufenden Rettung inmitten der Nacht versuchte, Menschen aus internationalen Gewässern zurück nach Libyen zu bringen.

Seit dem 24. Oktober wird im Rahmen der EU-Militäroperation EUNAVFOR Med die libysche Küstenwache ausgebildet.


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Johanna Heuveling
E-Mail: johanna.heuveling@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2017

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