Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → FINANZEN

SCHULDEN/038: Europäischer Stabilitätsmechanismus - Ermächtigungsvertrag (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 33 vom 17. August 2012
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Ermächtigungsvertrag
ESM - es ist nicht einmal der Versuch erkennbar die bürgerlich-parlamentarische Fassade zu wahren

von Klaus Wagener



"Der ESM ist im nationalen Interesse Deutschlands. Entgegen anderslautender Behauptungen gibt es keinen unbegrenzten Haftungsautomatismus, der Rettungsfonds hat keine 'Banklizenz' und er vergibt auch keine 'Eurobonds'". Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter hatte sich in der FAZ bemüht, die Kritik an der schwarz-gelben Euro-Rettungsstrategie, speziell dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu entkräften. FAZ.net veröffentlichte innerhalb von zwei Tagen 286 Lesermeinungen. Das durchgängige Urteil: Vernichtend. Zuvor hatte der Hannoveraner Finanzwissenschaftler Stefan Homburg am selben Ort die kritischen Passagen des ESM-Vertrages diskutiert. Homburg fungiert als Berater der klageführenden Seite beim Bundesverfassungsgericht. Kampeters Chef, Wolfgang Schäuble, vertritt die Gegenseite. Die Kritik Homburgs berührt im Kern zwei Punkte. Zum einen könne sich die aus dem ESM resultierende Haftungspflicht auf weit mehr als die von der Regierung behaupteten 190 Mrd. Euro hinaus erstrecken. "In Tat und Wahrheit enthält der ESM-Vertrag keine Belastungsobergrenze." Zum anderen entstehe mit der Etablierung der ESM-Strukturen ein "jeder administrativen, gerichtlichen oder gesetzlichen Kontrolle" entzogener "rechtsfreier Raum". "Im ESM-Vertrag ist ein zutiefst korruptes Begünstigungssystem angelegt (...) ein auf ewig angelegtes Herrschaftsinstrument der Exekutive". Liest man den Vertrag, so sind Homburgs Argumente nicht von der Hand zu weisen und anhand der einschlägigen Artikel sowie der bisherigen "Rettungs"-Praxis hinreichend begründet. So ist die Möglichkeit festgeschrieben die Haftung der Bundesrepublik durch Nachschusspflicht (Art. 25,2) und Veränderung des Ausgabekurses (Art. 8,2) im Zweifel weit über die von der Regierung behaupteten 190 Mrd. Euro hinaus auszuweiten. Dazu ist, bei entsprechendem politischen Willen, auch die Kreditfähigkeit des ESM (Art.32,9, Art. 21) gegeben. Die eher technische Debatte um die in Abrede gestellte "Banklizenz" dürfte da ebenso, wie die angebliche "absolute Haftungsobergrenze", in den Bereich "Nebelkerze" zu verorten sein. Dazu kann der Gouverneursrat des ESM jederzeit die "vorgesehene Liste der Finanzinstrumente überprüfen und beschließen sie zu ändern." (Art. 19)

Immunität und Geheimhaltung verankert

Lesenswert sind weiterhin die Artikel 32, 34 und 35. Dort ist die Immunität des ESM "von gerichtlichen Verfahren jeglicher Art" festgeschrieben. Das Eigentum und die Vermögenswerte des ESM genießen "Immunität von Durchsuchung, Beschlagnahme, Einziehung, Enteignung und jeder sonstigen Form des Zugriffs durch vollziehende, gerichtliche, administrative oder gesetzgeberische Maßnahmen". Entsprechendes gilt für die Unverletzlichkeit der Räume, Archive und Unterlagen, sowie die Befreiung des "gesamten Eigentums, der gesamten Mittelausstattung und aller Vermögenswerte des ESM von Beschränkungen, Verwaltungsvorschriften, Kontrollen und Moratorien jeder Art".

Weiter gilt absolute Geheimhaltung: "Die Mitglieder und früheren Mitglieder des Gouverneursrats und des Direktoriums sowie alle anderen Personen, die für den ESM oder in Zusammenhang damit tätig sind oder tätig waren, geben keine der beruflichen Schweigepflicht unterliegenden Informationen weiter."

Auch persönlich ist der ESM-Stab nicht zu belangen: "Im Interesse des ESM genießen der Vorsitzende des Gouverneursrats, die Mitglieder des Gouverneursrats, die stellvertretenden Mitglieder des Gouverneursrats, die Mitglieder des Direktoriums, die stellvertretenden Mitglieder des Direktoriums sowie der Geschäftsführende Direktor und die anderen Bediensteten des ESM Immunität von der Gerichtsbarkeit hinsichtlich ihrer in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen und Unverletzlichkeit hinsichtlich ihrer amtlichen Schriftstücke und Unterlagen." Das dürfte an Deutlichkeit kaum zu überbieten sein.

Einmal etabliert, trifft der Gouverneursrat souverän alle relevanten finanz- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen des ESM. Das betrifft, wie der Krisenverlauf zeigt, alle ESM-Mitgliedsstaaten. Insbesondere aber jener wachsenden Gruppe, die von Hilfsmaßnahmen abhängig sind oder werden. Die nationalen Parlamente werden die Dringlichkeitsbeschlüsse (Art 4,4), falls sie überhaupt befasst werden, allenfalls noch abnicken dürfen. Neben die ebenfalls autonome EZB tritt nun ein kaum zu kontrollierendes, unter Geheimhaltung tagendes und mit Immunität ausgestattetes Machtorgan des Finanzkapitals. Bemerkenswert ist, dass selbst dort, wo es um die angebliche Kernkompetenz des bürgerlichen Parlamentarismus, das Budgetrecht geht, nicht einmal der Versuch erkennbar ist, die bürgerlich-parlamentarische Fassade zu wahren.


Deutscher Machtzuwachs erkauft

Die Berlin/Brüsseler Austeritätsstrategie hat den spektakulären deutschen Machtzuwachs einerseits sowie den immens steigenden Kooperations- und Unterwerfungsdruck andererseits durch eine massive Ausweitung der Krisenpotentiale erkauft. Krisenpotentiale, für die auch die Bundesrepublik selbst mit rapide wachsenden, hohen Summen ins Risiko gehen muss. Wie schon bei den zwei vorangegangenen Versuchen (1914/1939) hoffen die Profiteure dieser erneuerten deutsch-dominierten Europa-Strategie zuversichtlich, dass letztlich andere die von ihnen eingegangenen Risiken tragen. Zunächst die den Austeritätsdiktaten Unterworfenen im Ausland, und danach, eben auch die eigene Bevölkerung.

Entsprechend ist, zur ideologisch-emotionalen Aufrüstung, der welsche Erbfeind über den slawischen Untermenschen zum südeuropäischen Tagedieb mutiert. Das national-rassistische Feindbild zum national-neoliberalen. "Wir kämpfen für Öl und Eisen, für wogende Weizenfelder, das regt unsere Soldaten an, und dafür fallen sie. Glaube doch keiner, dass wir Deutsche plötzlich von einer neuen Moral erfasst sind. Nein, wir wollen uns erst mal gesund stoßen", triumphierte Joseph Goebbels am 21. Oktober 1942 in Gotenhafen, als er, im vollen Triumph, einem Anfall von Ehrlichkeit erlag. Damals, vor Stalingrad, glaubten ihm viele. Angela Merkel hat es heute mit ihrer Botschaft "Wir wollen gestärkt aus dieser Krise hervorgehen", deutlich schwerer. Ein positiver Ausgang aus den gigantischen Risiken ist auch für den Krisengewinnler Deutschland, zumal bei einer erneut drohenden weltwirtschaftlichen Rezessionsphase, immer weniger vorstellbar. Wieder scheinen, on the long run, die Verhältnisse gegen "uns" zu sein. In dieser Lage hat die tiefen Widersprüchlichkeit des Krisenmanagements sowie die nationalchauvinistisch aufgeladene Furcht vor den bei abermaligem Scheitern anfallenden Kosten zu heftigem Widerstand aus den bürgerlich-konservativen Schichten der Gesellschaft geführt. Etwa 36 000 Bürger sollen sich bislang der Verfassungsklage angeschlossen haben.

Angesichts dieser wachsenden Gegnerschaft versucht die Bundesregierung die Bedeutung des ESM herunter zu spielen, sich sogar als Gegnerin einer "Banklizenz" zu positionieren. Noch verfügt die Merkel-Regierung innenpolitisch dank ihrer rosa-olivgrünen "Opposition" über satte Mehrheiten als auch außenpolitisch über eine hinreichende Ansammlung zögerlich-williger Ausverkäufer. Aber diese Mehrheit bröckelt. Sowohl innen- als auch außenpolitisch. Da wundert es nicht, wenn die Spekulationen über post-demokratische Strukturen ins Kraut schießen. Die Kanzlerin hat sie selbst unter Verhöhnung ihres Amtseides angeheizt. Natürlich ist da weder ein Verfassungsschutz noch ein Verfassungsgericht eingeschritten. Aber jetzt sind diese Vorstellungen in einen völkerrechtlich verbindlichen Vertragstext gegossen. Nun hat verfassungswidriges Vorgehen bei den Allerchristlichen Tradition. Keiner Regierung wie der der Frau Merkel dürfte sooft vom höchsten deutschen Gericht Verfassungswidrigkeit attestiert worden sein. Doch nun heißt es: finanzmarktbasierte, risikomaximierende Europastrategie vs. bürgerlich-demokratischer Verfassungsstaat. Etwas reichlich für die acht Damen und Herren.

*

Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 44. Jahrgang, Nr. 33 vom 17. August 2012, Seite 3
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
Anschrift von Verlag und Redaktion:
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon 0201 / 22 54 47
E-Mail: redaktion@unsere-zeit.de
Internet: www.unsere-zeit.de
 
Die UZ erscheint wöchentlich.
Einzelausgabe: 2,80 Euro
Jahresbezugspreise:
Inland: 126,- Euro, Ausland: 130,-
Ermäßigtes Abo: 72,- Euro
Förder-Abonnement: ab 150 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2012