Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → FINANZEN

SCHULDEN/040: Gemeinschaftswährung mit Kreislaufkollaps (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse

Gemeinschaftswährung mit Kreislaufkollaps
Ohne Kurswechsel hat der Euro keine Chance mehr

von Ulf Meyer-Rix, September 2012



• Am Anfang der Krise des Euroraums stand ein fundamentaler Blickwechsel der Finanzmärkte auf die Währungsgemeinschaft: An die Stelle des integrativen Blicks auf den Währungsraum als Ganzen trat die differenzierende Betrachtung einzelner Länderrisiken.

• Dieser neue Blick erkannte den wirtschaftlichen Keil, den die weltweite Finanzkrise samt nachfolgender Rezession sowie geplatzte Immobilienblasen in den Euroraum getrieben hatten. Folge: Banken und Anleger waren nicht mehr bereit, die Defizite der Südländer zu vertretbaren Zinsen zu finanzieren. Privates Kapital wurde aus dem Süden abgezogen, der private Geldkreislauf im Euroraum brach zusammen. • Diese Störung des Geldkreislaufs wurde durch die Funktionsweise der Währungsunion noch weiter verstärkt: Ohne Transaktionskosten und Wechselkurseffekte konnte das Geld aus den Krisenländern des Südens abgezogen und im Norden in Sicherheit gebracht werden. Der ökonomische Keil innerhalb des Euroraums wurde dadurch aber nur noch größer.

• Eine wirksame Anti-Krisenpolitik muss diese permanente Abwärtsspirale endlich durchbrechen und für die Wiederherstellung des Geldkreislaufs im Euroraum sorgen. Dazu sind grundsätzlich zwei Wege denkbar: Durch eine Gemeinschaftshaftung der EZB oder sämtlicher Eurostaaten, die das Anlegervertrauen wieder herstellt. Oder durch die Schaffung einer echten Fiskal- und Bankenunion, in denen der unterbrochene Geldkreislauf durch Transfers wieder in Gang gebracht wird.


Schon vor dem EU-Gipfel Ende Juni war klar: Auch 2012 würde der Euroraum wieder vor einem Krisensommer stehen. War es im vergangenen Jahr das sichtbare Scheitern des ersten Rettungspakets für Griechenland, so sind die Brandherde inzwischen deutlich zahlreicher geworden: Spanien und Zypern haben noch im Juni die bereits vorab angekündigten Anträge auf Hilfszahlungen gestellt - dem spanischen Antrag hat der Deutsche Bundestag dann in einer Sondersitzung im Juli zugestimmt. Die neue griechische Regierung hat unmittelbar nach ihrem Amtsantritt angekündigt, die Auflagen aus dem zweiten Hilfspaket nachverhandeln zu wollen und die italienische Wirtschaft rutschte in der ersten Jahreshälfte immer tiefer in die Rezession, während gleichzeitig die Anleihezinsen für das Land stiegen und stiegen. Und: Zwischenzeitlich geriet erstmals auch die gemeinsame Währung, der Euro, sichtbar unter Druck.


1. Krisenbekämpfung im Euroraum bisher ohne nachhaltigen Erfolg

Keine der seit dem Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs im Juli vergangenen Jahres unternommenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise hat sich als nachhaltig wirksam erwiesen. Nicht der Schuldenschnitt samt neuem Hilfspaket für Griechenland, nicht die Reform des vorläufigen Rettungsschirms EFSF, nicht die Ankündigung des Vorziehens des permanenten Rettungsschirms ESM samt Fiskalpakt, nicht die Billionen-Liquiditätsspritze der Europäischen Zentralbank für die Banken im Euroraum.

Zuletzt haben die Rettungsmaßnahmen sogar unmittelbar negative Marktreaktionen nach sich gezogen: Die Bereitstellung von bis zu 100 Milliarden Euro an Rettungshilfen für die spanischen Banken hat - wegen der damit verbundenen weiteren Erhöhung der spanischen Schulden - die Refinanzierung des spanischen Staates (und im Geleitzug auch die Refinanzierung Italiens) an den Finanzmärkten nicht etwa erleichtert, sondern weiter erschwert. Beide Länder mussten Rekordzinsen bieten, um an frisches Geld zu kommen.

In einem spektakulären Schritt sah sich daraufhin die Europäische Zentralbank genötigt, ihren Wiedereinstieg in den Ankauf von Staatsanleihen der Krisenländer anzukündigen. Im vergangenen Dezember hatte die EZB das bestehende Ankaufsprogramm (SMP) zugunsten des 1-Billion-Euro-Liquiditätsprogramms für die europäischen Banken (LTRO) zunächst eingestellt. EZB-Chef Draghi versprach zuvor bereits, alles Nötige zu tun, um ein Auseinanderbrechen der Währungsunion zu verhindern.(1)

Erst diese Kehrtwende der Zentralbank vermochte, was selbst die gemeinsame Ankündigung der Ergänzung des Fiskalpakts um ein 130-Milliarden-Euro-Wachstumsprogramm sowie einer Finanztransaktionssteuer durch Bundeskanzlerin Merkel und die Regierungschef Monti, Rajoy, Hollande im Vorfeld des EU-Gipfels Ende Juni nicht schafften: Nämlich den Abwärtstrend der Kurse an den europäischen und internationalen Börsen umzukehren und die Risikoaufschläge für spanische und italienische Anleihen zu senken.

Gleichwohl deutet das Fehlschlagen aller vorherigen Versuche der Kriseneindämmung darauf hin, dass zuvor keine der von den europäischen Regierungen beziehungsweise der EZB ergriffenen Maßnahmen geeignet war, die wirklichen Ursachen der Krise und ihrer ständigen Verschärfung zu beseitigen oder wenigstens spürbar abzumildern. Sowohl die weiter ansteigende Staatsverschuldung in den Krisenländern als auch die Wachstumsschwäche und Bankenprobleme scheinen mehr die - sich gegenseitig verstärkenden - Symptome tiefer liegender Probleme zu sein, als die Krisenursachen selbst.


2. Differenzierend statt integrativ: Die fundamentale Veränderung des Blickwinkels auf den Euroraum

Um zu den wirklich grundlegenden Ursachen der Krise im Euroraum zu gelangen, hilft vielleicht ein Rückblick auf deren Beginn: Das Eingeständnis der Mitte 2009 ins Amt gekommenen griechischen Regierung unter Ministerpräsident Papandreou, dass das Land seit Jahren zu niedrige Defizit- und Verschuldungszahlen angegeben habe und dass es aus eigener Kraft nicht in der Lage sei, aus der tatsächlich vorhandenen Verschuldungsspirale auszubrechen. Genau das war der Moment, an dem sich zwar nicht die Währungsunion selbst, wohl aber der Blick der Anleger auf sie fundamental und bislang unumkehrbar änderte.

Diese fundamentale Veränderung des Blickwinkels auf die Währungsunion und ihre Institutionen nahm ihren Ausgang in der - ebenso fundamentalen - Veränderung der Einschätzung der Angemessenheit der nationalen Zinsniveaus innerhalb des Euroraums. Zuvor war die Absenkung der nationalen Zinsniveaus in der Euro-Peripherie bis in die Nähe der deutschen Benchmark-Zinsen als durchaus erwünschte Begleiterscheinung des Eintritts in die Währungsunion betrachtet worden - völlig in Ordnung, solange sie nicht die Gewährleistung des auf den Euroraum insgesamt bezogenen Inflationsziels der Europäischen Zentralbank in Frage stellte.

Nach dem Eingeständnis der griechischen Defizit-Tricksereien aber wurde der Maßstab gewechselt, der auf den Finanzmärkten an die nationalen Zinsniveaus angelegt wurde: Nicht mehr die Gewährleistung des supranationalen Inflationsziels, sondern die jeweils angenommene nationale Schuldentragfähigkeit wurde jetzt zum entscheidenden Prüfkriterium. Das laufende Staatsdefizit jedes einzelnen Euro-Mitgliedsstaats und seine voraussichtliche Entwicklung wurden dadurch für das aktuelle Marktgeschehen ebenso zu einer zentralen Kennziffer wie die nationalen Wirtschaftsleistungen der einzelnen Euro-Volkswirtschaften und deren Entwicklung.

Aus dem zuvor integrativen Blick der Märkte auf die Ökonomien der Währungsunion wurde also ein differenzierender.


3. Die Finanzkrise und das Versiegen des Geldkreislaufs im Euroraum

Angesichts dieser Veränderung traf es sich nun sehr schlecht, dass die Mitte 2009 einsetzende Erholung der Weltwirtschaft von der Finanz- und Wirtschaftskrise gerade im Hinblick auf die nunmehr relevanten nationalen Wirtschafts- und Schuldenentwicklungen einen riesigen Keil in den Euroraum trieb: Während vor allem Deutschland sich dank seiner Exportstärke an das nun vor allem von den Schwellenländern getragene Wachstum der Weltwirtschaft ankoppeln konnte und eine ebenso rasche wie kräftige Trendwende beim Wachstum von Wirtschaftskraft und Steuereinnahmen hinlegte, blieben die international wettbewerbsschwachen Ökonomien der Europeripherie abgehängt - Wirtschaftskraft und Staatseinnahmen konnten dort nicht wieder an das Niveau der Vorkrisenjahre bis 2007 anknüpfen, in Irland und Spanien platzten zudem riesige Immobilienblasen.

Die Anleger und Banken im wettbewerbsstarken Kern des Euroraums waren nun nicht mehr bereit oder in der Lage, die sich ausweitenden Leistungsbilanz- und Staatsdefizite in den Krisenländern der Peripherie weiterhin zu günstigen Konditionen zu finanzieren. Die Zinssätze für Staatsanleihen der Krisenländer zogen gegenüber den deutschen Benchmark-Anleihen kräftig an, die Geschäftsbanken zogen ihre Interbankenfinanzierung zugunsten der Institute aus den Krisenländern massiv zurück. Es kam zu einer schrittweisen Renationalisierung des innereuropäischen Finanzmarktes. Den Notnagel spielt seither die Europäische Zentralbank, in deren sogenannten »Target-Salden« sich der parallele Prozess der laufenden Neuschaffung von Zentralbankgeld in den Krisenstaaten und dem gleichzeitigen Verzicht auf die Nutzung von Zentralbankgeld in den Überschussländern, insbesondere in Deutschland, abbildet (vgl.: Grafik 1).

Grafik 1: Target-2-Salden, Juni 2012 (in Mrd. €)Quelle: Zentralbanken der jeweiligen Länder

Grafik 1: Target-2-Salden, Juni 2012 (in Mrd. €)



4. Das »Recyclingproblem« und die automatischen Destabilisatoren

Mit dem teilweisen Versiegen des Geldkreislaufs auf dem innereuropäischen Finanzmarkt rückt die institutionelle Konstruktion der Währungsunion auf eine ganz neue Weise in den wirtschaftlichen und politischen Fokus. Insbesondere taucht die Frage auf, ob es innerhalb des Euroraums denn Mechanismen gäbe, die den entstandenen nationalen abwärtsgerichteten Rezessions-Verschuldungs-Spiralen in der Euro Peripherie entgegen wirken könnten. Und die Antwort lautet ganz klar: Nein! Sogar schlimmer noch: Die Konstruktion der Währungsunion selbst wirkt krisenverschärfend. Es wirken sozusagen eingebaute »automatische Destabilisatoren«.

Ursächlich hierfür ist das, was ein hellsichtiger Beobachter einmal als das »Recyclingproblem« beschrieben hat:(2) Dem Euroraum fehlt ein Instrument, das die Zahlungsströme innerhalb der Währungsunion im Kreislauf hält: Geldbeträge und Kapitalanlagen, die verunsicherte Anleger aus den Krisenstaaten der Europeripherie abziehen (vgl. das Beispiel Spanien in Grafik 2), können ohne weiteres für Anlagen oder Käufe in anderen, als sicherer angesehenen Staaten der Währungsunion verwendet werden. Damit werden den Krisenländern aber laufend Kaufkraft und Kreditsicherheiten entzogen, die Abwärtsspiralen werden immer neu befeuert. Gleichzeitig erhalten die Empfänger dieses Geld- und Kapitalflusses immer neue liquide Mittel gleichsam zum Nulltarif, wovon deren Wachstums- und Schuldenentwicklung wiederum positiv profitiert. Der einmal entstandene Keil im gemeinsamen Währungsraum wird immer größer.

Grafik 2: Spanien, Privater Kapitalzu(+)/-abfluss(-) in Mrd. €Quelle: Banco de Espana, Zahlungsbilanzstatistik

Grafik 2: Spanien, Privater Kapitalzu(+)/-abfluss(-) in Mrd. €



Ohne die gemeinsame Währung gäbe es eine stabilisierende, automatisch wirkende Gegenbewegung: Wer sein Geld oder Kapital aus einem der Krisenländer heraus bringen wollte, müsste dafür zunächst die Währung wechseln. Er müsste also jemanden finden, der bereit wäre, die Währung des Krisenlandes zu erwerben. Es ist wahrscheinlich, dass der »Flüchtling« dabei einen gewissen Wertverlust hinnehmen müsste. Der Erwerber wird die Krisenwährung nur unter Anwendung eines Abschlags gegen die Währung eines »sicheren Hafens« eintauschen wollen. Es kommt also zur Abwertung. Für die Volkswirtschaft des Krisenlandes hat dieser mit Abwertung verbundene Umtauschprozess nun einen doppelten Vorteil: Erstens kann auch der neue Erwerber das Geld bzw. die Kapitalanlage in Krisenwährung nur im Krisenland selbst einsetzen. Kaufkraft und Kreditsicherheit werden also nicht entzogen. Zweitens erhöht die Abwertung die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Produzenten im Krisenland - gemessen in ausländischer Währung werden Waren und Dienste des Krisenlandes billiger. Zusätzliche Exporteinnahmen lindern den Druck auf Wachstum und Verschuldung.

Ein solcher automatischer Stabilisierungsmechanismus fehlt im Euroraum. Die einzelnen Mitglieder der Währungsunion sind den Stimmungen der Finanzmärkte und den von diesen getriebenen Zu- und Abflüssen von Kapital daher noch schutzloser ausgeliefert als es Russland und die asiatischen bzw. lateinamerikanischen Schwellenländer in den sie betreffenden regionalen Finanzkrisen der 1990er und frühen 2000er Jahre waren. Ebenso wie die Dollarschulden für jene Schwellenländer, sind Euroschulden für die Mitglieder der Währungsunion faktisch Schulden in einer fremden Währung, denn sie haben national keinen Zugriff auf die diese Währung betreffende Geldpolitik. Und unilaterale Maßnahmen wie etwa eine Anhäufung von Devisenreserven stehen ihnen gegenüber dem Euro logischerweise nicht zur Verfügung.


5. Dem Geldabfluss aus den Krisenländern wirksam entgegen wirken

Die Identifizierung des »Recyclingproblems« als ein fundamentales institutionelles Problem der Eurozone kann erklären, warum alle bisherigen Maßnahmen der Krisenbekämpfung der europäischen Regierungen zu kurz gegriffen haben und was wirklich nötig wäre, um einen nachhaltigen Ausstieg aus den gegenwärtigen Abwärtsspiralen in den Ländern der Europeripherie zu ermöglichen.

Sowohl die bisherigen Hilfszahlungen der übrigen Euro-Partner sowie des IWF an die Krisenländer selbst, als auch die Liquiditätsspritzen der EZB an die Banken der Krisenstaaten wurden geleistet, ohne gleichzeitig ein wirksames Mittel gegen den sofortigen Wiederabfluss aus den Krisenökonomien mit zu liefern. Und so kam, was kommen musste: Die Kapitalabflüsse aus den südeuropäischen Krisenstaaten waren in den letzten Monaten viel höher als die dorthin geflossenen Hilfszahlungen - Rezession und Verschuldung wurden größer anstatt kleiner. Zumeist gingen die Hilfszahlungen selbst im Zuge der termingerechten Ablösung von Altkrediten sogar sofort an ausländische Gläubigerbanken. Und der größte Teil der Liquiditätshilfen der EZB ist trotz des damit verbundenen laufenden Zinsverlustes für die geförderten Geschäftsbanken sofort wieder auf die Einlagekonten der EZB zurück geflossen und bleibt so den Volkswirtschaften der Krisenstaaten entzogen.

Welche Maßnahmen wären nun aber geeignet, den unterbrochenen Finanzkreislauf innerhalb des Euroraums wieder herzustellen? Hierfür sind im Grundsatz zwei unterschiedliche Wege denkbar. Ein erster bestünde in einem institutionellen Arrangement zur Wiederherstellung des Vertrauens in die dauerhafte Fähigkeit von Staaten und Banken in der Europeripherie, aufgenommene Kredite zurück zu zahlen, um so den Geldkreislauf wieder in Gang zu bringen. Der zweite denkbare Weg bestünde darin, den Ausfall des Geldkreislaufs zumindest zunächst als gegeben hinzunehmen, aber die negativen Folgen des Geldabflusses aus der Peripherie durch gemeinschaftliche Anstrengungen zumindest soweit zu begrenzen, dass die Gefahr eines Kollapses der Währungsunion beseitigt würde.

Der am weitesten gehende Ansatz für den ersten Weg wäre die Umgestaltung der EZB zu einem echten lender of last resort für alle Euro-Mitglieder. Die Bedienung von Altschulden der Staaten wäre so in jedem Falle sicher gestellt, eine Neuverschuldung müsste gegebenenfalls nicht mehr zu stabilitätsgefährdenden - und damit für die Gläubiger riskanten - Marktkonditionen erfolgen, sondern könnte über die Zentralbank laufen. Freilich wären strenge Fiskalregeln für alle Länder erforderlich, um die gemeinsame Währung nicht einer ungezügelten Inflationsgefahr auszusetzen. Weniger weitgehend, aber das gleiche Ziel anstrebend, wäre der Einsatz von gemeinsamen Verschuldungsinstrumenten aller Eurostaaten, also sämtliche denkbaren Formen von Eurobonds. Auch hierbei wären natürlich flankierende Fiskalregeln erforderlich. In der Variante des vom deutschen Sachverständigenrat vorgeschlagenen Schuldentilgungsfonds bliebe es dabei sogar bei einer langfristig separaten Haftung der einzelnen Mitgliedstaaten für ihren Anteil an der gemeinschaftlichen Verschuldung.

Auch der zweite Weg würde auf die Schaffung neuer gemeinschaftlicher Institutionen setzen. Bereits diskutiert wird über die Schaffung einer europaweiten Sicherungseinrichtung für Bankeinlagen als Teil einer sogenannten »Bankenunion«. Eine solche Einrichtung würde, wäre ihre Finanzierung durch alle Banken an deren jeweilige Einlagenhöhe gekoppelt, zumindest den durch den Geldabfluss verursachten Verlust an Kreditsicherheiten in den Peripherieländern kompensieren. Letztlich würden sämtliche Einlagen innerhalb des Euroraums, unabhängig vom konkreten Standort der Bank, in der sie gehalten werden, zur Kreditsicherung in den Krisenländern beitragen. Ebenfalls denkbar wäre eine echte Fiskalunion mit gemeinsamer Finanz- und Haushaltspolitik. Die müsste dann aber nicht nur aus gemeinsamen Regeln bestehen, wie im gegenwärtigen deutschen Verständnis dieses Terminus, sondern aus einer echten Übertragung von Steuereinnahmen auf die Gemeinschaftsebene und deren regional differenzierter Verausgabung mit dem klaren Ziel eines mindestens teilweisen Ausgleichs des ständigen Mittelverlustes in den Krisenstaaten. Eine regelhafte Variante dieser Rückverlagerung von Finanzmitteln in die Krisenstaaten würde in der Etablierung eines echten, finanzkraftabhängigen Finanzausgleichs - also einer dauerhaften Transferunion - bestehen.


6. Eine Alternative zum perspektivlosen Merkel-Europa

Gegen den erkennbaren Widerstand Deutschlands, insbesondere der Bundesbank, hat sich Europa inzwischen auf beiden Pfaden vorwärts bewegt:

Bereits für den EU-Gipfel Ende Juni legten EZB-Chef Draghi, Kommissionspräsident Barroso, Ratspräsident van Rompuy und Eurogruppenchef Juncker in einem gemeinsamen Papier(3) erstmals eine grundlegende Alternative zu der bisherigen Krisenbekämpfung à la Merkel vor. Es enthielt viele der oben skizzierten institutionellen Reformansätze in Richtung Bankenunion. Der sofortige Widerstand der Bundeskanzlerin und ihrer Hilfstruppe in der Bundesbank kam ebenso postwendend wie erwartbar.(4) Aber es wurde eben auch klar: Inzwischen kämpft Deutschland ganz allein.

Als durch den ungebremsten Anstieg der Anleihezinsen für Spanien und Italien dann unübersehbar wurde, dass neben diesem eher langfristigen Ansatz auch sehr kurzfristig weitere Maßnahmen zur Marktberuhigung unbedingt erforderlich wären, beschritt EZB-Chef Draghi mit seinem Garantieversprechen für den Zusammenhalt der Eurozone auch den anderen Weg: Die EZB will faktisch als lender of last resort für die Krisenstaaten fungieren - zumindest sofern diese sich zuvor zu verbindlichen Reformzusagen auch im Stützungsfalle bereit erklären.

Die EZB als lender of last resort, Vergemeinschaftung der Einlagensicherung, dauerhafte Transferunion - das alles ist für große Teile der öffentlichen Debatte in Deutschland nach wie vor Teufelswerk.(5) Allein: Ohne die zügige Realisierung zumindest einiger dieser institutionellen Reformen hat der Euro keine Überlebenschance.

Die Zeit, den sich ausweitenden Ungleichgewichten innerhalb des Euroraums durch eine ständig aufwachsende Pyramide von Krediten an die Staaten und Banken in den Krisenländern zu begegnen, ist definitiv an ihr Ende gelangt. Als Merkel-Europa hat Europa keine Perspektive mehr.


Anmerkungen

(1) Handelsblatt vom 27.7.2012: EZB-Chef Draghi verspricht Rettung um jeden Preis.

(2) Milleker, David (2011): Das einfache Recyclingproblem hinter Europas schwieriger Institutionenfrage, in: Financial Times Deutschland vom 2.11.2011.

(3) Van Rompuy, Herman (2012): Towards a genuine Economic and Monetary Union, Report by [the] President of the European Council, Brüssel 26.6.2012.

(4) Weidmann, Jens (2012): So bleibt der Euro stabil, Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung vom 27.6.2012.

(5) Vgl. den Offenen Brief von 172 deutschen Wirtschaftsprofessoren gegen die Gipfelbeschlüsse vom Juni 2012, abgedruckt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 5.7.2012.


Über den Autor

Ulf Meyer-Rix ist stellvertretender Leiter der Planungsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion.

*

Impressum

Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse | Abteilung Internationaler Dialog
Hiroshimastraße 28 | 10785 Berlin | Deutschland
Verantwortlich: Dr. Gero Maaß, Leiter Internationale Politikanalyse
Tel.: ++49-30-269-35-7745 | Fax: ++49-30-269-35-9248
www.fes.de/ipa

Bestellungen/Kontakt hier: info.ipa@fes.de

Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.

ISBN 978-3-86498-253-8

*

Quelle:
Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse | Abteilung Internationaler Dialog
Hiroshimastraße 28 | 10785 Berlin | Deutschland
Verantwortlich: Dr. Gero Maaß, Leiter Internationale Politikanalyse
Tel.: ++49-30-269-35-7745 | Fax: ++49-30-269-35-9248


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. September 2012