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DILJA/022: Portugal - Sozialproteste und Streikeffizienz durch Spaltbarkeit ausgebremst (SB)


Achter Generalstreik nach der Nelkenrevolution - für 24 Stunden

Im ärmsten Land Europas offenbaren sich Gewerkschaften als Bremsklötze


Während in Deutschland kaum jemand weiß, wie das Wort "Generalstreik" überhaupt buchstabiert wird, weil Streiks als probates Kampfmittel all jener Menschen, die ihre eigene Lebenskraft und Körpersubstanz zu Zwecken der Existenzsicherung zu veräußern sich gezwungen sehen, in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik erfolgreich ihrer denkbaren Effizienz entledigt wurden, ist in anderen europäischen, insbesondere südeuropäischen Staaten eine Protest- und Widerstandskultur erhalten geblieben, die sich den politischen Streik inklusive des Generalstreiks als Mittel zur Durchsetzung ihrer Forderungen nicht haben nehmen lassen. In Portugal, dem ärmsten westeuropäischen Land, wurde am vergangenen Donnerstag, dem 22. März, ein allerdings von vornherein auf 24 Stunden befristeter Generalstreik durchgeführt, um gegen die jüngsten Beschlüsse der liberal-konservativen Regierung von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho (PSD) mit Vehemenz zu protestieren.

Bereits am 12. Februar waren rund 100.000 Portugiesen und Portugiesinnen auf die Straße gegangen aus Protest gegen die Spaßmaßnahmen, die die portugiesische Regierung in willfähriger Unterwerfung unter das Diktat der in vielen EU-Staaten der Peripherie bereits sattsam bekannten und verhaßten Troika aus Europäischer Union, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank, beschlossen hatte. Die Sozialkürzungen betreffen diejenigen, die ohnehin schon am allerwenigsten haben und kaum wissen, wie sie ihr tägliches Überleben noch organisieren können. Bereits am 24. November vergangenen Jahres hatten die Gewerkschaften gegen die Haushaltsbeschlüsse der Regierung einen Generalstreik organisiert unter dem Motto "Gegen Ausbeutung und Verarmung". Die Beschlüsse sahen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 25 Prozent vor, während die teilweise verringerte Mehrwertsteuer, die bis dahin den ärmsten Menschen noch eine gewisse Entlastung gebracht hatte, zum Teil abgeschafft werden soll. Den Beschäftigten im öffentlichen Dienst werden Urlaubs- und Weihnachtsgelder gestrichen, während die Arbeitszeit aller abhängig Beschäftigten um täglich eine halbe Stunde verlängert werden soll - ohne Lohnausgleich, versteht sich. Ungeachtet der hohen Arbeitslosigkeit, die im September 2011 bereits bei 12,5 Prozent lag, wurde im November auch beschlossen, die Zeit, in der Arbeitslose Arbeitslosengeld beziehen können, zu halbieren.

Geschätzt wurde, daß durch dieses Maßnahmenpaket die verarmte Bevölkerungsmehrheit weitere finanzielle Einbußen um 20 Prozent und auch die schon recht dünne Mittelschicht einen Kaufkraftverlust um weitere 20 Prozent würden hinnehmen müssen, und das in einem Land, in dem der Durchschnittslohn schon im Jahre 2010 auf 780 Euro gesunken war, wobei rund 40 Prozent der abhängig Beschäftigten weniger als 600 Euro verdienten. Im Juni vergangenen Jahres hatte die PSD unter Pedro Passos Coelho die Wahlen gewinnen und die vorherige Minderheitsregierung unter den Sozialisten (PS) ablösen können, die sich aufgrund ihres strikten Befolgens der "Sparauflagen" mehr und mehr in Mißkredit gebracht hatte. Da Coelho die Wahlen durch das Versprechen gewonnen hatte, diese Sparpläne nicht länger mittragen zu wollen, ist die Wut der Menschen nun umso größer, fühlen sie sich doch von ihm verraten, nun, wo nicht zu bezweifeln steht, daß er nicht minder willig die Forderungen der Troika erfüllt.

Das politische Wechselspiel zwischen den Parteien hat damit jedoch noch nicht sein Ende gefunden, waren es doch nun wieder die Sozialisten (PS), die wie auch die beiden größten Gewerkschaftsverbände des Landes, die als kommunistisch orientiert geltende "Confederação Geral dos Trabalhadores Portugueses" (CGTP) und die sozialdemokratische "União Geral de Trabalhadores" (UGT) zum Generalstreik aufriefen. Das war im November. Dieser Aufruf hatte eine breite Unterstützung und Verankerung in der Gesellschaft. Ihm hatten sich namhafte Politiker wie der frühere Ministerpräsident Mário Soares angeschlossen, die in einem Manifest die Bevölkerung zum Streik aufgerufen hatten mit der Begründung, daß man nicht seelenruhig der Demontage des Sozialstaats zuschauen könne. Auch führende Militärs solidarisierten sich mit dem Generalstreik, riefen das Volk zum Widerstand auf und erklärten, an die Regierung gerichtet, daß diese sich hüten sollte, die Sicherheitskräfte gegen die protestierenden Menschen einzusetzen.

Gefruchtet hat all dies letztlich wenig. Da der Generalstreik von vornherein auf 24 Stunden befristet war, konnte die Regierung Coelho und die hinter ihr Troika ihn mehr oder minder bequem aussitzen. Zwar wurde der Streikaufruf nach Gewerkschaftsangaben von rund drei Millionen Menschen befolgt, so daß das gesellschaftliche Leben inklusive der Produktionsabläufe weitgehend stillgelegt werden konnte, doch mehr als ein solcher Warnschuß war von vornherein nicht beabsichtigt gewesen. Die Regierung ihrerseits unternahm nicht die geringsten Schritte zu einer Beilegung oder doch zumindest Entspannung der hochexplosiven sozialen Konfliktlage. Sie setzte ihren "Spar"-Kurs ungerührt fort, woran auch die weiteren Proteste in den Folgemonaten nichts zu ändern vermochten.

Gegriffen hat allerdings, auf welchen Wegen auch immer dies hat bewerkstelligt werden können, eine stärkere Spaltung der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung. Als jetzt gegen die jüngsten Arbeitsmarktregelungen abermals zum Generalstreik mobilisiert wurde, war es allein der als kommunistisch geltende Gewerkschaftsdachverband CGTP, der zu Aktionen und Protesten aufrief und den Streik organisierte. Der sozialdemokratisch orientierte Gewerschaftsverband UGT, der im November noch mit im Streik-Boot gesessen hatte, war ausgeschert. Er hatte die Arbeitsmarktgesetze akzeptiert und so beteiligten sich nach Angaben der CGTP weniger Menschen als noch im November an dem Streik. Die Auseinandersetzungen zwischen streikenden und protestierenden Menschen auf der einen und den sogenannten Sicherheitskräften auf der anderen Seite wurden zudem ungleich härter als noch im November. An mehreren Orten ging die Polizei gegen Streikposten vor.

Dennoch zeichnete die CGTP ein erfolgreiches Bild dieses Generalstreiks. So war es in 38 Städten während des Ausstands zu Kundgebungen und Demonstrationen gekommen. In der Hauptstadt Lissabon war ein Protestzug mit Zehntausenden Menschen bis zum Parlament gezogen mit Parolen wie "Besetze die Straße, blockiere alles". Derweil ist es um die soziale Lage der meisten Menschen inzwischen noch schlechter bestellt. Die zwischen der Troika und der Regierung vereinbarten Maßnahmen schlagen ungebremst auf die abhängig Beschäftigen, Rentner und Arbeitslosen durch. Es bedarf wohl keiner weiteren Erwähnung, daß die behaupteten Zwecke nicht eintreffen. Die ohnehin seit Jahren rückläufige Wirtschaftsentwicklung wird in diesem Jahr nach Experteneinschätzungen noch weiter, um bis zu 3,3 Prozent, sinken. Es werden nicht nur die Löhne gekürzt bei gleichzeitiger Arbeitszeitverlängerung, auch werden die Mittel für Bildung und Gesundheit noch weiter zusammengestrichen. Mittlerweile sind rund 20 Prozent der Bevölkerung von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung betroffen, der gesetzliche Mindestlohn (432 Euro) liegt inzwischen sogar unter der offiziellen Armutsgrenze.

Die UGT hatte bereits im Januar das von EU, IWF und EZB vorgegebene Paket für, wie es hieß, Reformen am Arbeitsmarkt, mit unterzeichnet und damit einmal mehr einen Schulterschluß vollzogen, wie er für Gewerkschaften keineswegs untypisch oder historisch einmalig ist. Um eine Gegenposition aufzubauen, deren Protagonisten sich nicht im Zweifelsfall gegeneinander ausspielen oder/und mit Lösungsversprechen und Teilangeboten ködern lassen, ist allerdings mehr erforderlich als eine dementsprechende Kritik an gewerkschaftlichen Konzepten, die nicht so attraktiv und vielversprechend und insofern auch erfolgreich sein könnten, würden sie nicht mit der generellen Bereitschaft des Menschen, sich um eines realen oder auch nur vermeintlichen Vorteils willen gegen den anderen zu stellen, korrespondieren.

Und so ist die Frage, ob nicht eine solche Spaltbarkeit in den aktuellen Auseinandersetzungen in Portugal keineswegs nur die sozialdemokratische UGT betrifft, die offenkundig ihren Frieden mit dem vermeintlich stärkeren Gegner gemacht hat, sondern, wenn auch auf einer qualifizierteren Stufe, auch die CGTP, noch keineswegs geklärt. Ihr ist es immerhin zu verdanken, daß die Proteste und Streiks, Demonstrationen und Kundgebungen in "geordneten Bahnen" verlaufen. Der elementaren Wut und Verzweiflung vieler Menschen, die angesichts der Lage nicht mehr ein noch aus wissen, wird ein Betätigungsfeld geboten, das auf einer Verhandlungsposition beruht und darauf abstellt, die Regierung zu einer Kurskorrektur zu bewegen.


27. März 2012