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BEDENKEN/001: Faschisierungsprozesse im Schatten der EU (Gerhard Feldbauer)


Faschisierungsprozesse im Schatten der EU

Nicht nur toleriert, auch gefördert und gutgeheißen

von Gerhard Feldbauer, 15. Oktober 2011


Am 10. Oktober wurde in Lettland eine neue Regierung gebildet, in der die von der neofaschistischen Partei "Alles für Lettland" dominierte "Nationale Allianz" 14 der 56 Parlamentssitze belegt. "Alles für Lettland" ist mit Nazigruppen liiert und beteiligt sich aktiv an der Organisation der alljährlichen Feiern der SS-Veteranen in Lettland.

Es handelt sich hier um kein Einzelbeispiel, sondern um einen sich verschärfenden Prozess, der nicht zufällig mit der sozialistischen Niederlage 1989/90 in Europa einsetzte. Der vom Imperialismus in frenetischem Antikommunismus gefeierte Untergang der Ostblockstaaten gab und gibt bis heute weltweit faschistischen und reaktionärsten Kräften verschiedenster Couleur Auftrieb. Die Faschisten, engste Verbündete des Imperialismus in dessen Kampf gegen den Sozialismus, beanspruchen ihren Platz in der ersten Reihe der vorgeblichen "Sieger der Geschichte". Wie zu Hitlers und Mussolinis Zeiten bildet der Antikommunismus in Politik und Ideologie die tragende Säule. Das war keine ausschließlich auf Italien bezogene Entwicklung und setzte schon lange bevor der faschistoid-autoritäre Mediendiktator Silvio Berlusconi 1994 in Rom das Erste Mal an die Macht gehievt wurde, ein. Auch in der Bundesrepublik wurde der Boden fruchtbar gehalten. Bereits in den 1970er Jahren gab ein CSU-Freundeskreis für alle NPD-Sympathisanten die Parole aus "Wählt CDU/CSU, stärkt die Opposition, verhelft ihr wieder zur Macht! Franz Josef Strauß ist der kommende Mann".


FJ Strauß 1974: dass "von diesen Banditen es keiner mehr wagt, in Deutschland das Maul aufzumachen."

Mit dieser Stoßrichtung trat FJS auf dem Parteitag in Nürnberg 1970 an die Spitze der "Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlandes", die der CSU NPD-Mitglieder zuführte. 1974 stellte er in seiner berüchtigten Sonthofener Rede klar, aufzuräumen, dass "bis zum Rest dieses Jahrhunderts von diesen Banditen es keiner mehr wagt, in Deutschland das Maul aufzumachen." Gemeint waren nicht nur Kommunisten, sondern die SPD und viele andere.(1)
Das war über drei Jahrzehnte bevor Berlusconi 2001 auf einem EU-Gipfel in Göteburg den damals noch mehrheitlich sozialdemokratischen Regierungschefs damit drohte, mit der "Hinterlassenschaft der Linken" aufzuräumen und Italien "von Kommunisten und Ex-Kommunisten (den Linksdemokraten) zu befreien".

Diese Entwicklung wurde in Europa wie in den USA, darunter auch in Regierungen, begrüßt und gefördert. Ebenso bezog sich das auf die EU und ihre Vorläufer.(2)


Faschistische Putschloge brachte Berlusconi an die Macht

In Italien bildete der Mediendiktator Silvio Berlusconi, der seit den 1970er/80er Jahren bekanntermaßen dem Dreierdirektorium der faschistischen Putschloge Propaganda due (P 2) angehörte, im April 1994 mit der faschistischen Partei Alleanza Nazionale (AN), die aus der Mussolininachfolgerpartei Movimento Sociale Italiano (MSI) hervorging, und der offen rassistischen Lega Nord eine Regierung. Die FAZ begrüßte diese erste mit den Faschisten gebildete Regierung als Bruch eines "Tabu des Vergangenheitserbes", feierte Italien als neue "Avantgarde" und frohlockte, das werde "Auswirkungen im ganzen 'westlichen' Europa" haben.(3)

Die FAZ hatte zweifelsohne im Auge, dass Italien nach dem Machtantritt Mussolinis 1922 eine Vorreiterrolle für die Etablierung faschistischer Regimes in Europa (Ungarn, Bulgarien, Portugal, Spanien), und dann vor allem im Januar 1933 unter Hitler in Deutschland gespielt hatte. "Das Braunhemd", so räumte Hitler in seinen "Monologen im Führerhauptquartier" noch 1941 ein, wäre vielleicht nicht entstanden ohne das Schwarzhemd". Er gestand ebenso, dass Mussolini einmal für ihn "eine ganz große Persönlichkeit" darstellte.(4) Besonders aber waren führende Kreise des Industrie- und Finanzkapitals in Deutschland damals beeindruckt, wie es dem "Duce" gelang dem italienischen Imperialismus in Gestalt der faschistischen Partei eine Massenbasis zu verschaffen, über die er vorher nie verfügt hatte. Von da an unterstützten Ruhrschwerindustrielle um Thyssen und Stinnes, Hitler finanziell kräftig, um ihn auf einem ähnlichen Weg an die Macht zu verhelfen.(5)


Italiens Neofaschisten konnten in der Bundesrepublik Parteibüros bilden

In der Bundesrepublik konnte die MSI(6) schon in den 1960er Jahren ein Netz von Auslandsleitungen bilden, die sich zwar verharmlosend Trikolore-Komitees nannten, aber als regelrechte Parteibüros fungierten und unter den Hunderttausenden italienischen Gastarbeitern MSI-Ortsgruppen bildeten, so in München, Stuttgart, Frankfurt am Main, Augsburg, Köln, Wolfsburg und in zahlreichen weiteren Städten. Sie gaben die Monatszeitschrift Oltreconfine (Jenseits der Grenzen) heraus und konnten viele faschistische Propagandamaterialien verbreiteten. Auch die CISNAL-Gewerkschaft der MSI war mit einem Nationalen Verein für sozialen Beistand (Ente Nazionale Assistenza Sociale) vertreten, der 20 Büros unterhielt. 1995 wurden die faschistischen Auslandsorganisationen von der MSI in die AN überführt, ihre Zeitschrift erschien danach als Nuovo Oltreconfine. Vom regen Austausch von Delegationen und Studiengruppen zeugte im September 1977 der offizielle Gastbesuch einer MSI-Delegation auf dem CSU-Parteitag in München. Das MSI-Blatt Secola d'Italia würdigte am 27. September "die Führung von Strauß" bei "der Vereinigung der Rechten Europas im Kampf gegen die kommunistische Gefahr" und hielt fest, die CSU gebe den Rechten Europas "einen starken Anstoß".


Mussolinis Staatssekretär Giorgio Almirante rühmte sich seiner "guten Kontakte zur CSU"

Im April 1979 nahm eine Abordnung der MSI am Bundeskongress der Habsburgischen Paneuropäischen Union in Wiesbaden teil und traf mit deren Vizepräsidenten, dem CSU-Abgeordneten Alfons Goppel, zusammen. Der Vorwärts schrieb, MSI-Leute und CSU-Vertreter stimmten im "allgemeinen antikommunistischen Konsens" überein, "das Netz linksradikaler Systemveränderer auszuschalten". MSI-Chef Giorgio Almirante, unter Mussolini Staatssekretär, der noch kurz vor Kriegsschluss einen Genickschusserlass gegen Partisanen unterzeichnet hatte, konnte im italienischen Fernsehen die "guten Kontakte zur bayerischen CSU" und die Übereinstimmung in "politischen Fragen" würdigen. Gute Beziehungen unterhielt die MSI auch zur Hans Seidel-Stiftung der CSU, die in 76 Ländern Büros unterhielt und Kontakte zur Militärjunta Pinochets, zu anderen diktatorischen Regimes in Südamerika und zu den Rassisten in Südafrika unterhielt. In den Räumen der Stiftung in Rom waren die italienischen Faschisten stets gern gesehene Gäste.


Terroristen fanden in Bad Tölz Unterschlupf

Ein nützliches Bindeglied für die MSI war in der Bundesrepublik die Italienisch-Deutsche Freundschaftsgesellschaft, auf deren Gründung Pino Rauti, die Nummer Zwei der Bewegung und Chef der faschistischen Terrorbanden, persönlich Einfluss genommen hatte. In den 1960er Jahren stand an der Spitze des Vereins der berüchtigte Terrorist Giovanni Ventura, der 1979 in Abwesenheit wegen Teilnahme an dem Bombenanschlag auf die Mailänder Landwirtschaftsbank auf der Piazza Fontana (16 Tote, über 100 Verletzte) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Er war vorher nach Bad Tölz geflohen, von wo aus der über Interpol gesuchte Verbrecher später außer Landes gebracht wurde. "In der Bundesrepublik haben italienische Neofaschisten schon immer den notwendigen Beistand, alle Mittel und auch die Pässe erhalten, um sicher weiterfliegen zu können", kommentierte der römische Messagero am 26. Januar 1979.


Geheimdienstkumpane Hitlers und Mussolinis

Die Kontakte der MSI erstreckten sich ebenso auf Industrielle, die CDU/CSU und nicht zuletzt auf Bundeswehr und BND. Diese Beziehungen hatte der Nazi-General Reinhard Gehlen, als er den BND aufbaute, zum Chef des italienischen Geheimdienstes SID, General Vito Miceli, einem früheren Mussolini-Offizier und späteren MSI-Mann, hergestellt. Es belastete die deutsch-italienische Geheimdienstzusammenarbeit nicht im Geringsten, dass in der Organisation Gehlen (dem Vorläufer des BND) alte Kameraden verwendet wurden wie der SS-Mann Johannes Clemens, der zu dem Kommando gehörte, das im März 1944 in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom 335 Geiseln ermordet hatte.(7)

Von den guten Beziehungen zur Bundeswehr zeugte, dass Rauti zusammen mit dem Terroristenführer und CIA-Agenten Guido Giannettini im Herbst 1969 an einem Lehrgang für psychologische Kriegführung an der Bundeswehrschule in Euskirchen teilnahm. Auf dem Programm stand auch ein Besuch in der Schule der Panzertruppen, wo die Gäste den damals "streng geheimen" Panzertyp "Leopard" besichtigen konnten. Nach dem Studienaufenthalt begab sich Rauti nach Calabria in Süditalien, wo er die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen organisierte, die den Boden für einen von NATO, CIA und Faschisten geplanten Putsch bereiten sollten. Im Frühjahr 1972 entdeckte die italienische Polizei in der Nähe von Rom ein umfangreiches faschistisches Waffenlager (Karabiner, MPs, Maschinengewehre, Handgranaten, Minen und selbst Artilleriegeschosse). Ein Großteil der Waffen stammte aus der Bundesrepublik.(8) Ans Licht kam, dass einer der Drahtzieher derartiger Waffenlieferungen der frühere SS-Standartenführer Otto Skorzeny war, der in Padua und Bari Büros unterhielt. Die Unita enthüllte am 28. Dezember 1974, dass Waffenlieferungen aus der Bundesrepublik für die italienischen Faschisten schon seit Jahren einträfen, und nannte es seltsam, dass derartige Transporte in der BRD noch nie aufgeflogen seien.


Nazikriegsverbrecher Kappler zur Flucht verholfen

Offizielle Kreise der Bundesrepublik waren an der Flucht des Nazikriegsverbrechers Herbert Kappler, Obersturmbannführer und Polizeichef der SS während der Hitlerokkupation in Rom,(9) beteiligt. Der römische Europeo berichtete, dass dem Stab, der Kapplers Flucht organisierte, etwa 40 deutsche Nazis, Angehörige des Militärischen Abschirmdienstes und alte Kameraden des SS-Regiments Bozen angehörten, die mit dem italienischen Geheimdienst SID zusammenwirkten.(10)

Der Bogen der deutschen Sympathien für Italiens Faschisten und ihre Steigbügelhalter spannte sich nahtlos zum bereits erwähnten Amtsantritt Berlusconis im Frühjahr 1994. Helmut Kohl empfing ihn im Juni 1994 in Bonn mit Sympathie und Verständnis.


Bundeskanzler Kohl machte Italiens Faschisten salonfähig

Berlusconi und seine Regierung waren damals noch bei Staatsmännern wie Mitterand und Delor, in Belgien und Skandinavien isoliert. Kohl holte den faschistoiden Mediendiktator aus diesem Abseits und machte ihn salonfähig. Während die faschistischen Koalitionspartner des Italieners Mussolini und seine "guten Taten" priesen, auf dem Balkan Grenzrevisionen forderten und Konzentrationslager für Homosexuelle verlangten, tönte der deutsche Kanzler von einem "historischen Augenblick" für Italien und kaschierte die rechtsextreme Wende mit Sprüchen vom "gemeinsamen Aufbau der Demokratie in beiden Ländern". Der römische Regierungschef konnte auf der Bonner Bühne propagieren, dass seine faschistischen Bündnispartner keine Neofaschisten seien und eine "saubere Weste" hätten.

1998 ritt Kohl eine neue Attacke für Berlusconi, als er mit den Stimmen der CDU/CSU in Straßburg die Aufnahme der faschistoiden Forzapartei Berlusconis in die Fraktion der Europäischen Volksparteien durchsetzte. Mit der Erklärung, er habe "Europa nicht geschaffen, um es den Sozialisten zu überlassen", bekannte der deutsche Kanzler unverblümt seine Übereinstimmung mit der von Berlusconi in Italien geführten Hetze gegen Kommunisten und Linksdemokraten, um diese aus Regierung und Parlament auszuschließen. 1999 traf Kohl auf dem römischen Capitol mit dem wegen Zusammenarbeit mit der Mafia und der Anstiftung zum Mord zur Vertuschung seiner Verwicklung in das Komplott gegen den christdemokratischen Parteiführer Aldo Moro(11) angeklagten früheren Ministerpräsidenten Giulio Andreotti zusammen und bekundete öffentlich "sein Vertrauen in dessen Unschuld".(12)

Die Zeit gewährte Fini 2000 ein Interview, in dem dieser unwidersprochen seine Faschisten als "glaubwürdige Demokraten", die nie "ein anderes als das demokratische System gewollt" hätten, vorstellen, den Faschismus als "nur eine Art Ritual (...) und einfach nostalgisch" verharmlosen und entgegen der Wahrheit behaupten konnte, "keine Gebietsansprüche auf Dalmatien und Istrien gestellt" zu haben. (13)


CDU/CSU: Mit Berlusconi möge das Ende der sozialdemokratischen Regierungen kommen

Als der Mediendiktator im Mai 2001 mit Faschistenchef Fini als Premier erneut die politische Exekutive übernahm, drückte die CDU/CSU die Hoffnung aus, mit dieser Regierung möge in der EU die Ablösung der sozialdemokratisch geführten Regierungen beginnen. Der damalige CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident, Edmund Stoiber, lud den faschistoiden Regierungschef zum Staatsbesuch nach München ein. Eine weitere Einladung folgte demonstrativ nach den blutigen faschistischen Ausschreitungen der Berlusconi-Polizei auf dem G8-Gipfel in Genua für den Besuch des CSU-Parteitages in Nürnberg im Oktober 2001. Nach entschiedenen antifaschistischen Protesten, darunter in der Bundesrepublik, wurde sie dann stillschweigend nicht wahrgenommen.(14)


Keine Einwände in Brüssel

Die EU, wo nicht nur rechte, sondern auch rechtsextreme Parlamentarier zunehmend an Einfluss gewannen, trug das ihre dazu bei, Berlusconi und seine Bündnispartner hoffähig zu machen.

Weder 1994 noch 2001 und schon gar nicht 2008 gab es Einwände gegen die Aufnahme bekannter und bekennender Faschisten, darunter frühere SS-Offiziere und Revanchisten oder offene Rassisten, in die Regierungen Berlusconis. Widerspruchslos wurde auch 2002 die Nominierung des Führers der AN-Faschisten Gianfranco Fini für den Straßburger Konvent zur Ausarbeitung einer europäischen Verfassung hingenommen. Proteste, wenn auch nur partiell, gegen die Berufung Berlusconis als Ratspräsident(15) im Sommer 2003 nahm man in Straßburg nicht zur Kenntnis. Um das Amt antreten zu können, hatte der kriminelle Regierungschef, gegen den vor einem Mailänder Gericht gerade wieder ein Korruptionsverfahren lief, seine berüchtigte Lex Berlusconi angewendet. Der stellvertretende Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion in der EU, Martin Schulz von der SPD, übte scharfe Kritik an dem Ausnahmegesetz und nannte das eine Manipulierung der Justiz. Berlusconi diffamierte ihn daraufhin mit den Worten, er solle in den Dreharbeiten zu einem laufenden italienischen Film über Konzentrationslager die Rolle des "Kapo" spielen. Die Äußerungen lösten einen Proteststurm über Strassburg hinaus aus. Die großbürgerliche Turiner La Stampa schrieb, dass der italienische Regierungschef "nicht berechtigt sei, Europa zu repräsentieren". Nichtsdestotrotz konnte der Medientycoon unbeschadet seine Amtszeit in der EU überstehen.


Duce-Enkelin im EU-Ausschuss für bürgerliche Freiheiten

2004 zog die faschistische Hardlinerin,(16) die Enkelin des "Duce", Alessandra Mussolini, ins Europa-Parlament ein und wurde auch noch in den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres delegiert. Es gab nicht den geringsten Einwand. Ebenso verhielt es sich, als der AN-Faschist Giovanni Alemanno im April 2008 die Wahl zum Bürgermeister von Rom gewann und die Mussolini seinen Einzug ins Capitol mit Tausenden Anhängern mit Faschistengruß und "Viva il Duce"-Rufen als "Befreiung" Roms von kommunistischer Herrschaft, die nie existierte, feierte.(17) Im März 2011 bestätigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Freispruch des Carabiniere Marco Placanica, der den Studenten Giuliano während der Proteste gegen den G8-Gipfel im Juni 2001 erschoss.(18)


Tony Blair schloss Reformprogramm mit Berlusconi

Inzwischen schlagen sich Tendenzen schleichender Faschisierung von Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und Belgien über Schweden, Polen und Tschechien bis in die Schweiz und nach Ungarn nieder. Großbritanniens Premier Tony Blair schloss bei einer Visite 2002 in Rom mit dem Mediendiktator ein Reformprogramm über mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, durchgehende Privatisierungen öffentlicher Unternehmen und weitere Maßnahmen des Sozialabbaus.


Straßennamen von Hitler u. a. Nazi-Größen in Österreich

In Österreich wurde die FPÖ unter Jörg Haider bereits 1999 mit 26,9 Prozent Wählerstimmen zweitstärkste Partei und beteiligte sich von Februar 2000 bis 2002 an der Regierung der ÖVP. Nach einem Abstieg auf zehn Prozent und einer Spaltung holte sie 2008 im Bündnis "Zukunft Österreich" wieder zum alten Stand auf. Zu den Begleiterscheinungen gehört, dass sich Gemeindeverwaltungen weigern, die Straßennamen von Hitler u. a. Nazi-Größen oder Ehrenbürgerschaften zu tilgen. Selbst in der Bezirkshauptstadt Völkermarkt ist eine Strasse noch immer nach dem in Nürnberg zum Tode verurteilten und hingerichteten, aus Oberösterreich stammenden SS-Führer Kaltenbrunner benannt.(19)


Renten für lettische SS-Veteranen

In Lettland erhalten die Veteranen der SS-Legion, in der 140.000 Letten an der Seite der Hitlerwehrmacht kämpften und viele sich an Kriegsverbrechen beteiligten, Renten, während Partisanen diskriminiert und zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Wie der Wiener Neue Mahnruf berichtete, billigte der Straßburger EGMR, dass sowjetische Partisanen, die gegen die deutsche Besatzung kämpften, unter der Regierung in Riga als "Kriegsverbrecher" verurteilt wurden.(20)


Litauische Kollaborateure Hitlers werden "Freiheitskämpfer"

In Litauen wurden zum 70. Jahrestag des Überfalls Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion rechtsextreme Milizen, die bei Beginn der Aggression einen Aufstand gegen die Rote Armee begannen, als "Freiheitskämpfer" vorgestellt, der Holocaust relativiert und die Kollaboration mit den deutschen Faschisten gefeiert. Ungehindert kann der Holocaust zu einem "Mythos" erklärt werden, der zum Kassieren von Entschädigungen erfunden worden sei. In einem Vorort von Vilnius, wo 70.000 Juden ermordet wurden, sprühten Neonazis Hakenkreuze auf die Gedenksteine und dazu Sprüche wie "Hitler hatte Recht". Angehörige der litauischen Streitkräfte zeigten sich auf Facebook mit tätowierten Hakenkreuzen und Nazisymbolen. Der Verteidigungsminister wiegelte ab: Tattoos seien "eine private Angelegenheit".(21)


So schlimm wie unter Horthy und der deutschen Okkupation

In Budapest hat im Ergebnis wachsenden rechtsextremen Einflusses offener Antisemitismus an Boden gewonnen, ist ein Paragraf gegen die Leugnung des Holocaust aufgehoben worden, werden die Verbrechen der Horthy-Faschisten geleugnet und Kommunisten wieder verfolgt. Der frühere Direktor und als Forschungsprofessor abgesetzte Philosoph G. M. Tamás verwies auf die Säuberungen in öffentlich-rechtlichen Medien und im öffentlichen Dienst, wo Tausende entlassen und durch Parteileute der Rechten und auch der extremen Rechten ersetzt wurden. Die "antidemokratische Wende" habe sich - wie in Italien auch - "im Rahmen der Verfassung" vollzogen. Nationalismus, Rassismus und Pseudo-Antikapitalismus ergäben, von reichen Kapitalisten gesponsert, "eine sehr gefährliche Mischung", schätzte Tamás ein. "Noch nie war es so schlimm wie heute. Außer unter Horthy und der deutschen Okkupation".(22)

Im April 2011 verabschiedete der mit Zweidrittelmehrheit regierende Ministerpräsident Viktor Orbán von der ultrarechten Fidesz-Partei mit seinem Koalitionspartner, der Christlich-Demokratischen Volkspartei, an Stelle der bisherigen Verfassung ein Grundgesetz, das sich an deutsch-völkischen Gesichtspunkten orientiert, in eine "einheitliche ungarische Nation" die ungarischsprachigen Minderheiten der Nachbarstaaten einverleibt, die Staatsform "Republik" aus dem offiziellen Staatsnamen tilgt und parlamentarisch-demokratische Grundsätze aushebelt. Eine von der linken Opposition geforderte Volksabstimmung hatte Orbán abgelehnt.


EU-Abgeordneter leitete Ausarbeitung des reaktionären Grundgesetzes in Ungarn

Nach eigenem Bekunden knüpfen die Urheber des Grundgesetzes an die Zeit der faschistischen Diktatur von 1920-1945 des Reichsverweser Miklós Horty an.(23) Die den Fideszisten sonst zur Seite stehende neofaschistische Jobbik-Partei, die ein Sechstel der Parlamentssitze belegt, stimmte gegen das Grundgesetz, da es ihr nicht rechtsradikal genug war. Sie demonstriert ihren Rassismus mit der Jagd ihrer "Bürgerwehren" auf Zigeuner. Maßgeblich an der Ausarbeitung des Grundgesetzes beteiligt war der EU-Abgeordnete der Fidesz-Partei Jozsef Szajer, der dem Verfassungsausschuss vorstand. Den deutschen Außenminister Guido Westerwelle hinderte das nicht, die derzeitige ungarische Ratspräsidentschaft der EU als "bemerkenswert erfolgreich" zu loben.(24) Professor Thomas Metscher erklärte, was da nicht nur bei uns, sondern in vielen Teilen Europas abläuft, ist "eine schleichende Faschisierung unserer Gesellschaft, kein offener Faschismus, der hätte heute noch keine guten Karten, aber ein Prozess, der sich wie eine Krebserkrankung unter der Oberfläche vollzieht", und führte als Beispiel das Sarrazin-Syndrom an.(25)


Doktrin der Unterjochung der Völker unter USA-, NATO- und EU-Diktat

In den USA und der NATO zeigen sich in der Außen- und Militärpolitik seit langem in Terror und Massenmord faschistoide Züge. Seitdem die Ereignisse vom 11. September 2001 als Vorwand weltweiter Expansionskriege (von Irak und Afghanistan über Sudan und Somalia bis jüngst nach Libyen) dienen, werden sie in Missachtung eigener Verfassungsrechte und nahezu jeglichen Völkerrechts immer offensichtlicher. Es hat sich eine regelrechte Doktrin der Unterjochung der Völker unter USA-, NATO- und EU-Diktat herausgebildet. Ähnliches trifft auf den barbarischen israelischen Terror gegenüber dem palästinensischen Volk zu.

Der Wiener Historiker Hans Kalt(26) warnte bereits 2000 mit Blick auf die faschistische Herrschaft in Deutschland und Italien, "nur mit Vorbehalt" sei zur Kenntnis zu nehmen, dass "gegenwärtig keine Bedingungen zur Wiederholung eines solchen Szenarios bestehen". Ausgehend von dem Weltherrschaftsstreben der USA meinte er, dass auf die Menschheit "eine neue qualitativ noch viel schrecklichere Phase imperialistischer Herrschaft (zukommt), für die eine adäquate Charakterisierung erst gefunden werden muss."(27)

Manfred Weißbecker verwies 2003 darauf, "dass das zur Zeit existierende politische und gesellschaftliche System in den USA wie auch in vielen europäischen Staaten Möglichkeiten genug besitzt, um in der Außenpolitik solche Praktiken und Ziele zu adaptieren, von denen bisher geglaubt wurde, sie wären mit dem 'klassischen' Faschismus untergegangen und ein für allemal diskreditiert."(28)


Fußnoten:

(1) Renate Münder: Von Hitler zu Strauß. jW, 23. Febr. 2011.

(2) Die Übersicht konzentriert sich auf die Haltung der EU und auf einige Länder (Deutschland, Italien, Ungarn, Lettland, Litauen), bezieht nicht Frankreich ein, wo die Entwicklung (Front National) allgemein bekannt ist.

(3) FAZ, 23. April 1994. Siehe auch Feldbauer: Von Mussolini bis Fini. Die extreme Rechte in Italien. Berlin 1996.

(4) Zit. nach Gerhard Schreiber: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien. München 1996, S. 13.

(5) Feldbauer: Marsch auf Rom. Faschismus und Antifaschismus in Italien. Köln 2002, S. 38 ff.

(6) Für das Movimento oder der Partito wird der deutsche Artikel benutzt.

(7) Braune Wurzeln. Der Spiegel, 7/2011.

(8) Vorwärts, 31. Okt. 1972.

(9) Kappler befehligte u. a. im März 1944 das eben erwähnte Massaker in den ardeatinischen Höhlen bei Rom. Dabei tötete er selbst mehrere Geiseln durch Genickschuss.

(10) Nr. 44/1977.

(11) Moro, der mit der IKP eine Regierungszusammenarbeit eingeleitet hatte, fiel im Mai 1978 einem von der CIA, der geheimen NATO-Truppe Stay behind (die in Italien Gladio hieß) zusammen mit der P2 und italienischen Geheimdienstkreisen inszenierten Mordanschlag zum Opfer. Siehe Feldbauer: Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro. Rote Brigaden und CIA: Köln 2000.

(12) "Italienische Verhältnisse", Ossietzky, 2/2000.

(13) Wiedergegeben in Nuovo Oltreconfine, 01/2000.

(14) "Eine Warnung vor Stoiber", Ossietzky, 19/2002.

(15) Es ging um den turnusmäßigen halbjährigen Vorsitz des Gremiums.

(16) Aus Protest gegen Finis partielle Distanzierungen vom Mussolini-Faschismus trat sie aus der AN aus und gründete eine eigene Partei Azione Sociale, die eine Fraktion in Berlusconis Partei Volk der Freiheit (PdL) bildet.

(17) Das letzte Stadtoberhaupt war der frühere Linksdemokrat und spätere Vorsitzende der Demokratischen Partei (DP), Walter Veltroni.

(18) A&K, 15. April 2011.

(19) Der neue Mahnruf, Nr. 3-4/2011.

(20) Ebd.

(21) Frank Brendle: Litauen ehrte seine Nazis, jW, 24. Aug. 2011.

(22) G. M. Tamás: Noch nie war es so schlimm. ND, 14. Jan. 2011.

(23) Arnold Schölzel: Verfassungsputsch. jW, 19. April 2011.

(24) Newsletter German Foreign Policy, 12. April 2011.

(25) Gespräch mit jW, 18. Dez. 2010. Von T. Metscher erschien das Buch "Logos und Wirklichkeit", Frankfurt/M. 2010.

(26) 2009 verstorben.

(27) Hans Kalt: Zur Faschismus-Diskussion, MB 5/2000, ferner Das Phänomen Jörg Haider, MB-Flugschriften 03.

(28) Manfred Weißbecker: God bless Amerika, jW, 23. Juli 2003.


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Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Oktober 2011