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OFFENER BRIEF/004: An Minister Gerd Müller - EU-Ratstreffen der Entwicklungsminister (Südwind e.V.)


SÜDWIND e.V. - Institut für Ökonomie und Ökumene - 16. Mai 2019

Offener Brief an Minister Müller


Sehr geehrter Herr Minister Müller,

am 16.05. findet das Treffen der Entwicklungsminister (FAC) der EU statt. Wegweisende Entscheidungen über die Zukunft der EU-Entwicklungszusammenarbeit werden nicht erwartet. Der Rat wird zur Kenntnis nehmen müssen, dass im Jahr 2018 die ODA der EU um 731 Mio. EUR niedriger lag als im Jahr 2017. Grund genug für den Rat, besorgt zu sein über den negativen Trend der kollektiven ODA der EU, die sich zum zweiten Mal in Folge verringert hat. Die Kluft zwischen der Realität der Entwicklungsfinanzierung (0,47 % des BIP) und des angestrebten Ziels (0,7% des BIP) wird also immer größer. In ihrer "Sibiu Erklärung" haben die Regierungschefs der Europäischen Union ihre Verpflichtung für ein starkes, einheitliches Europa bekräftigt. Die EU und ihre Mitgliedstaaten wollen die Rolle der EU als globaler Akteur verstärken und die Bedeutung des Multilateralismus unter Beweis stellen. Ein Bekenntnis zur Armutsbekämpfung im Globalen Süden und zur Überwindung der schädlichen Ungleichheiten zwischen den Ländern sucht man in der Erklärung vergeblich.

SÜDWIND ist der Ansicht, dass die EU in den nächsten fünf bis zehn Jahren der internationalen Entwicklungszusammenarbeit politische Priorität einräumen muss. Der Europäische Konsens für Entwicklung legt das langfristige, integrierte Denken dar und zeigt, wie sich die EU-Werte gegenüber dem kurzfristigen Streben nach Eigennutz und dem so genannten Krisenmanagement durchsetzen können. Nur durch die Festlegung von Prioritäten für diese langfristigen Ziele wird die EU in der Lage sein, den Multilateralismus zum Wohle aller zu unterstützen und echte Partnerschaften mit anderen Regionen, Ländern und Völkern aufzubauen. Wir erwarten, dass die EU-Minister, die am 16. Mai am Entwicklungsrat teilnehmen, ihre volle Unterstützung für eine starke internationale Entwicklungszusammenarbeit in der nächsten Wahlperiode zum Ausdruck bringen.

Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten die erforderlichen finanziellen und nichtfinanziellen Ressourcen bereitstellen. Die EU ist in der Bringschuld, denn die globale Agenda zur Entwicklungsfinanzierung kommt leider nicht in dem Tempo voran, das zur Erreichung der Ziele der Agenda 2030 erforderlich ist. Diese Botschaft wurde auf dem jüngsten ECOSOC-Forum für Entwicklungsfinanzierung in New York bestätigt.

Im Bericht der Inter-Agency Task Force on Financing for Development (IATF) wurde deutlich festgestellt, dass die Ziele der internationalen Entwicklungszusammenarbeit nicht erreicht werden und wichtige Veränderungen der Global Governance immer wieder vertagt werden. So gab es beispielsweise kaum Fortschritte bei der weltweiten Zusammenarbeit im Steuerbereich oder einem Schuldenabbaumechanismus.

Die finanzielle Situation vieler Länder des globalen Südens könnte zusätzlich durch den neuen Trend belastet werden, auf nicht-konzessionäre Ressourcen in der Entwicklungsfinanzierung zu setzen. Vor diesem Hintergrund stehen wir der Förderung von integrierten nationalen Finanzrahmen (INFFs) in Entwicklungsländern skeptisch gegenüber. Da die EU ein Vorkämpfer der INFF ist, fordern wir die Mitgliedstaaten, die Europäische Kommission und den Europäischen Auswärtigen Dienst dazu auf, dafür zu sorgen, dass der Grundsatz der nationalen demokratischen Eigenverantwortung für die nationalen Entwicklungsprioritäten gewahrt bleibt und dass kein Land dazu gezwungen wird, Sparmaßnahmen auf Kosten sozialer Sicherungssysteme umzusetzen.

Das neue Instrument für Nachbarschaft, Entwicklung und internationale Zusammenarbeit (NDICI) sollte vor allem zur Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung, zur Bekämpfung von Ungleichheiten und zur Beseitigung von Armutsstrukturen beitragen, die im Einklang mit der Agenda 2030, dem Pariser Klimaabkommen und der Busan-Partnerschaft für eine wirksame Entwicklungszusammenarbeit stehen. Dafür sollten ambitionierte Ziele in den NDICI aufgenommen werden. Es muss ein wirksames Instrument zur Steuerung von Investitionen in wichtigen Bereichen wie Klima und Umwelt, menschliche Entwicklung und Gleichstellung der Geschlechter werden. Der Europäische Fonds für nachhaltige Entwicklung plus (EFSD+) muss starke und klare, soziale und ökologische Schutzmaßnahmen umfassen. Finanzierung für die Privatwirtschaft über den EFSD+ muss den lokalen Märkten, der nachhaltigen Produktion, den lokalen KKMUs und den Akteuren der Sozialwirtschaft zugutekommen.

Die Schlüsselverpflichtungen der Agenda 2030 bestehen darin, niemanden zurückzulassen und die Partnerländer des globalen Südens bei der Verwirklichung ihrer eigenen Entwicklungsprioritäten und der Verringerung der Armut zu unterstützen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten daher ihren bisherigen entwicklungspolitischen Ansatz einer kritischen Analyse unterziehen. Eine zu starke Ausrichtung auf eine kurzfristige Migrations- und Sicherheitspolitik kann den Blick für eine nachhaltige Entwicklungspolitik versperren. Die Stimmen der am stärksten von Armut und Ungleichheit betroffenen Menschen sollten gehört werden. Die Maßnahmen müssen auf einer starken demokratischen Eigenverantwortung beruhen und lokal, national und regional ausgerichtet sein, wobei kurzfristige Maßnahmen in eine längerfristige Vision integriert werden sollten. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die Rolle der lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen bei der Überwachung der Umsetzung der Entwicklungspolitik zu stärken.

SÜDWIND zählt darauf, dass Sie die Möglichkeiten des Jahres 2019 optimal nutzen, um die ehrgeizige Umsetzung der internationalen Zusammenarbeit der EU sicherzustellen. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie sich dafür einsetzen, dass der Rat seine politische Führung und sein Engagement für die Entwicklungshilfe bekräftigt und die individuellen und kollektiven ODA-Verpflichtungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten nachkommt, wie sie im neuen Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik festgelegt sind.

Mit freundlichen Grüßen

Martina Schaub
Geschäftsführerin/Executive Director
SÜDWIND e.V. - Institut für Ökonomie und Ökumene

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Quelle:
SÜDWIND e.V. - Institut für Ökonomie und Ökumene
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2019

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