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STANDPUNKT/005: Alternativen zum Wettbewerbskatalysator Euro (Tobias Baumann)


Alternativen zum Wettbewerbskatalysator Euro und seinem politischen Motor, der EZB

von Tobias Baumann, 27. August 2013



Auf die von Oscar Lafontaine sowie den kommunistischen Parteien Portugals und Griechenlands gestellte Frage nach dem Ende des Euro steht eine integrativ-internationalistische Antwort nach wie vor aus (vgl. Julian Müller, Juli 2013 [1]). Derweil beschleunigt sich die supranationale Integration in der zunehmend technokratischen EU: 2014 soll die Kontrolle der nationalen Zentralbanken der EU-Mitgliedsländer auf die EZB übergehen, ein weiterer Schritt hin zur autoritären Stabilisierung des Euro durch Zentralisierung von politischen Verantwortlichkeiten bei Institutionen, denen es an demokratischer Legitimation mangelt. Wie kann diese Entdemokratisierung in der EU gestoppt und umgekehrt werden? Die Revision des Lissabon-Vertrags, ja die Neugründung der EU auf Grundlage des Willens der Völker (Stichwort "verfassungsgebende Gewalt") ist der einzige progressive Ausweg.


Wie lautet die Antwort der Europäischen Linken auf die EZB-Politik?

Auf der diesjährigen Sommerakademie der Europäischen Linken in Porto (3.-7.07.2013)[2] kritisierten Referenten wie der finnische Linke Antti Rokainen während eines mehrstündigen Seminars über die Europäische Zentralbank (EZB) die Struktur und Arbeitsweise der unabhängigen EZB, welche zweifelsohne die mächtigste Zentralbank weltweit sei und ein "Klassenkriegsinstrument" darstelle - sie müsse in eine öffentliche, demokratisch kontrollierbare Bank umgewandelt werden, wozu die Änderung des Europäischen Vertragsrechts nötig ist. Die Vortragenden hoben hervor, dass das von der BRD übernommene EZB-Dogma der Inflationsbekämpfung lediglich zwei Ziele verfolge: erstens die Kosten für die Produktionsmittel so niedrig wie möglich halten und zweitens das Ansteigen der Löhne verhindern (vgl. zum historischen Komplex der Funktion der europäischen Integration als "Lohn-Polizei" die Werke von Prof. Dr. Annie Lacroix-Riz, em. Universität Paris 7 Diderot). Eine öffentliche Kontrolle des Kredits, die mit der Einheitlich Europäischen Akte (EEA, 1986) und definitiv mit dem Vertrag über die Europäische Union (EUV, Maastricht, 1992) aufgehoben war, wurde von Antti Rokainen zurückgefordert (seit der EEA, deren Ziele im EUV zu Unionsrecht wurden, hat sich die Europäische Integration zur vollständigen Liberalisierung des Waren- und Kapitalverkehrs verpflichtet). Zudem forderte er eine Aufsicht über und Koordinierung der Investitionsflüsse innerhalb der EU. Auch diese Kapitalströme sind seit 1992 vollständig liberalisiert und zudem ist die Devisenkontrolle und die Kreditbeschränkung in der EU seit den 1990er Jahren im Rahmen der Umsetzung des EUV endgültig abgeschafft worden. Als Maßnahme zur Umsetzung empfiehlt er nationale Referenden zur Regulierung der Kapitalverkehrsfreiheit (und damit zur demokratisch legitimierten Einschränkung der sogenannten vier EU-Grundfreiheiten).

Mariana Mortágua vom Bloco de Esquerda (Linksblock Portugals) hob hervor, dass eine finanzielle Stimulierung oder auch ein öffentliches Investitionspaket in den südeuropäischen Ländern keine unmittelbare strukturelle Verbesserung bringen würde, dass zusätzlich eine neuartige ökonomische Kooperation durchgesetzt werden müsse (z.B. ähnlich dem kooperativen Handel unter den ALBA-Ländern). Sie betonte, dass der linke Slogan "Löhne in der BRD erhöhen" zu kurz greife, da dies nur ein erster Schritt hin zur grundlegenden Umgestaltung der sozialen Produktionsbedingungen auf nationaler sowie europäischer und globaler Ebene sein könne. Hier ist die Politik fortschrittlicher Staaten Südamerikas interessant, die genau die Produktionspotenziale durch eine neue Finanzarchitektur (sowohl im Bankenbereich wie durch eine neuartige virtuelle Währung) regional potenziert.

Bank des Südens und Buchwährung SUCRE als Alternative zum Bankenprimat in der EU

Die Entwicklungsbank Bank des Südens (Banco del Sur) setzt soziale Prioritäten bei der Kreditvergabe. Die Bank des Südens hat im Juni 2013 ihre Arbeit aufgenommen. Sie stellt ein wirksames Instrument zur Förderung der Realwirtschaft, der regionalen Souveränität bezüglich der Ernährungssicherheit, der Gesundheit, Energie, Forschung sowie der Infrastruktur zwischen allen Mitgliedsländern dar; Bereiche, die auch in der zunehmend unterentwickelten südlichen EU-Peripherie dringend Beachtung finden müssen.

Doch die neue Finanzarchitektur begann nicht erst 2013 mit der Bank des Südens, sondern wurde im Januar 2010 auf Grundlage eines neuartigen Transaktionssystems mit Hilfe der Bank der Bolivarischen Allianz für die Völker unseres Amerika (ALBA) in die Tat umgesetzt, dem SUCRE: Eine entscheidende Etappe war diese neue zwischenstaatliche Verrechnungseinheit - SUCRE ist das spanische Kürzel für Einheitliches System für regionalen Zahlungsausgleich und der Name der ehemaligen ecuadorianischen Landeswährung, d.h. vor der Dollarisierung Ecuadors im Jahr 2000. Diese einzigartige Buchwährung wird von auf ausgeglichene Handels- und Leistungsbilanzen ausgerichteten Institutionen flankiert (Regionaler Monetärer Rat, Regionaler Reservefonds).


Unmittelbar umsetzbare Lösungsansätze wider die Bankenmacht in der EU

Wie der ecuadorianische Präsident Rafael Correa (PhD, Ökonom) im April 2013 in der TU vor über 1600 Zuhörern betonte, gestaltet das "Kapital die EU unter Krisenbedingungen beschleunigt nach seinen Interessen um". Dem ist nur durch eine revolutionär-demokratische europäische Bewegung wirksam zu begegnen. Ebenso wie der Lissabon-Vertrag müssen auch die demokratisch fragwürdigen, außerhalb des europäischen Vertragsrechts angesiedelten völkerrechtlichen Instrumente Finanzpakt und ESM annulliert werden und verbindliche Obergrenzen für Handelsüberschüsse festgesetzt werden. Bernd Riexinger erklärte hierzu im ND vom 10.05.2013: "Die öffentliche Kreditaufnahme muss von der Diktatur der Finanzmärkte befreit werden"; er ist für eine "Direktfinanzierung durch eine zu gründende öffentliche europäische Bank." Die Regulierung der Finanzmärkte, Verbot riskanter Spekulationsgeschäfte, Verkleinerung sowie Vergesellschaftung der Banken und Umbau des Bankensystems sind schnellstmöglich in die Tat umzusetzen. Dies ist im Rahmen eines verfassungsgebenden Prozesses innerhalb der EU möglich (nachdem das Elitenprojekt "Vertrag zur Verfassung der Europäischen Union" von den Franzosen und Niederländern 2005 abgelehnt worden war). Ein solcher konstituierender Prozess der europäischen Völker würde auch eine dringend erforderliche EU-weite Vermögensabgabe für reiche Privathaushalte sowie einen EU-weit nach nationalen Gegebenheiten variierenden, gesetzlichen, d.h. flächendeckenden Mindestlohn ermöglichen. Weiter ist eine innere Aufwertung auf dem Bundesgebiet vonnöten, welche wegen der Gemeinschaftswährung nur durch massive Lohnerhöhungen möglich ist.


Welche EU-weiten Taktiken für die Strategie der revolutionären Brüche?

Eine mögliche Strategie zur Umsetzung eines Wandels in die genannte demokratisierende Richtung könnte durch eine südwesteuropäische Initiative, wie sie in Deutschland MdB Michael Schlecht angestoßen hat (vgl. Volkswirt Michael Schlecht, "Frankreich am Scheideweg", August 2013). Dieser Ausweg wird auch von Südeuropäern wie dem Philosophen Mimmo Porcaro unterstützt: Frankreich soll gemäß seinen nationalen und sozialpolitischen Interessen (Paris hat den höchsten absoluten Mindestlohn in der EU) einen von zahlreichen Südeuropäern ersehnten Austritt aus dem Währungskorsett oder zumindest den grundlegenden Umbau des Währungssystems anführen. Gewiss befindet sich der Sozialist Hollande gegenwärtig in einer neokolonialen Kampagne in Afrika und demnächst wohl auch im Nahen Osten; ein innen- und außenpolitischer Kurswechsel würde enormen Druck vom Front de Gauche (Linksfront) sowie von der Straße benötigen. Doch immerhin streiten die Vertreter des linken Flügels der Parti Socialiste, Emmanuel Maurel et Marie-Noëlle Lienemann, für die Aussetzung des Fiskalpakts, sodass der Aufbau einer Volksfront gegen die autoritäre Stabilisierung des Euro in Frankreich denkbar ist. Wobei ein "linker Euroausstieg nicht anderen linken Forderungen nach einer Neugründung Europas entgegen stehen" würde (Julian Müller, a.a.O.). Auf solchen flexiblen, populären Taktiken aufbauend könnte eine EU-weite verfassungsgebende Versammlung durchgesetzt werden, indem die Gewerkschaften, sozialen Bewegungen etc. mit den Linksparteien der süd- und westeuropäischen Länder die von Berlin angeführte Austeritätspolitik kippen und einen radikalen Transformationsprozess einläuten. Diese radikaldemokratische Bewegung würde eine notwendige Konvergenz ihrer "sozialen und geopolitischen Vision" herbeiführen (vgl. Mimmo Porcaro [3]), welche wiederum eine strategische Annäherung Europas an die linken Regierungen Lateinamerikas sowie die Bolivarische Allianz ALBA erlauben würde.


Anmerkungen:
[1] http://www.zeitschrift-luxemburg.de/zur-linken-debatte-um-einen-ausstieg-aus-dem-euro/
[2] Einen Bericht zur Sommerakademie der Europäischen Linken von Tobias Baumann finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → Infopool → Europool → Fakten → Bericht →
BERICHT/001: Europäische Linke trifft sich vom 3. bis 6. Juli in Porto (Tobias Baumann)
[3] http://www.sinistrainrete.info/europa/2661-mimmo-porcaro-che-fare-delleuro.html

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Quelle:
© 2013 by Tobias Baumann
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2013