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STANDPUNKT/061: Der Vertrag von Aachen (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 22. Januar 2019
german-foreign-policy.com

Der Vertrag von Aachen


(Eigener Bericht) - Überschattet von Protesten gegen die französische Regierung steht an diesem Dienstag die Unterzeichnung des deutsch-französischen "Vertrages von Aachen" bevor. Das Abkommen, das offiziell als ergänzende "Aktualisierung" des Élysée-Vertrags aus dem Jahr 1963 bezeichnet wird, sieht unter anderem eine Ausweitung der bilateralen Zusammenarbeit bei der Militarisierung Europas vor. So sollen "gemeinsame Verteidigungsprogramme" erstellt und auf eine "gemeinsame Kultur" der Streitkräfte beider Länder hingearbeitet werden. Hinzu kommt eine bilaterale Beistandsverpflichtung, die auch jenseits von NATO und EU gilt. Zudem sagt Paris zu, Berlin beim Kampf um einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu unterstützen. Frankreich wiederum willigt in eine punktuelle Schwächung seiner traditionellen Zentralstaatlichkeit ein. Parallel fordern Experten eine breite deutsch-französische PR für eine offensivere Militärpolitik - TV-Auftritte der Verteidigungsminister inklusive. Unterdessen versagt Berlin Paris weiterhin jedes echte Zugeständnis in Sachen Austeritätspolitik.

Militarisierungspläne

Der "Vertrag von Aachen", der am heutigen Dienstag unterzeichnet werden soll, umfasst zunächst Bekenntisse zu einer Intensivierung der gemeinsamen Außen- und Militärpolitik. Deutschland und Frankreich kündigen an, ihre jeweiligen "sicherheits- und verteidigungspolitischen Zielsetzungen und Strategien einander an[zunähern]". [1] Zudem verpflichten sie sich, "die Zusammenarbeit zwischen ihren Streitkräften mit Blick auf eine gemeinsame Kultur und gemeinsame Einsätze weiter zu verstärken". Die Rede ist von der "Erarbeitung gemeinsamer Verteidigungsprogramme" sowie von "deren Ausweitung auf Partner". Käme es dazu, dann wäre es verfahrenstechnisch ein kleines Zugeständnis an Frankreich: Während Berlin auf eine gemeinsame Militarisierung im EU-Rahmen setzt ("PESCO"), dringt Frankreich auf ein rasches Vorpreschen außerhalb der EU-Strukturen, um schon in naher Zukunft gemeinsam intervenieren zu können (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Allerdings weisen deutsche Politiker ausdrücklich darauf hin, dass der Vertrag von Aachen keine konkreten Projekte benennt und es daher nicht vollkommen klar ist, was er genau bewirkt. [3]

Beistandsklausel

Konkret ist lediglich eine Beistandsklausel. Deutschland und Frankreich, heißt es im Vertrag von Aachen, "leisten einander im Falle eines bewaffneten Angriffs auf ihre Hoheitsgebiete jede in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung; dies schließt militärische Mittel ein." Beobachter haben darauf hingewiesen, dass Berlin und Paris sich im Rahmen der NATO sowie der EU ohnehin gegenseitig Beistand leisten müssen. Die neue bilaterale Verpflichtung gilt allerdings auch jenseits der bestehenden Bündnisse und hat damit unabhängig von sämtlichen künftigen Unwägbarkeiten Bestand.

Deutschland im UN-Sicherheitsrat

Vorteile für Deutschland bringt der Vertrag von Aachen in zweierlei Hinsicht. Zum einen gilt dies für die deutschen Aktivitäten bezüglich des UN-Sicherheitsrats, dem die Bundesrepublik in diesem und dem kommenden Jahr als nichtständiges Mitglied angehört. Berlin hat angekündigt, dies zu nutzen, um seine zeitweilige Mitgliedschaft als EU-Mitgliedschaft zu inszenieren. Das soll zum einen dazu beitragen, die EU-Außenpolitik stärker zu fokussieren, zum anderen aber auch der deutschen Stimme größeres Gewicht verleihen. Frankreich sagt jetzt zu, einen stärkeren Austausch auch "zwischen den Sicherheitsratsstäben" der beiden Länder durchzuführen sowie ihre jeweiligen "Positionen eng ab[zu]stimmen". Darüber hinaus verspricht Paris, sich für einen ständigen Sitz Berlins in dem UNO-Gremium stark zu machen: "Die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland als ständiges Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen ist eine Priorität der deutsch-französischen Diplomatie." [4]

Traditionsbrüche

Ebenfalls für die Bundesrepublik günstig sind die in Frankreich teilweise scharf kritisierten Zusagen zur "regionale[n] und grenzüberschreitende[n] Zusammenarbeit". So legt der Vertrag fest, beide Seiten müssten "in Grenzregionen die Beseitigung von Hindernissen [...] erleichtern, um grenzüberschreitende Vorhaben umzusetzen". Dazu könnten "auch angepasste Rechts- und Verwaltungsvorschriften einschließlich Ausnahmeregelungen" in Kraft gesetzt werden. Dies wäre mit der föderalen Tradition der Bundesrepublik gut vereinbar, liefe allerdings auf einen gewissen Bruch mit der zentralstaatlichen Tradition Frankreichs hinaus. Dasselbe gilt für die Aussage, beide Seiten seien "dem Ziel der Zweisprachigkeit in den Grenzregionen verpflichtet". Paris setzt nicht zuletzt aufgrund von Gleichheitsidealen und zur Abwehr separatistischer Gefahren darauf, das Französische als alleinige Staatssprache zu bewahren, und hat aus diesem Grund zum Beispiel die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen nicht unterzeichnet. Der Vertrag von Aachen bricht nun erstmals mit dieser Tradition. Direkten Nutzen wird daraus insbesondere die deutsche Seite ziehen können: Nur sie verfügt über eine Sprachminderheit im Nachbarland - in Form der deutschsprachigen Minderheit im Elsass. [5]

"Zentrales Thema im öffentlichen Raum"

Ergänzend zu den Bestimmungen des Vertrags von Aachen hat sich kürzlich eine rund 25-köpfige deutsch-französische "Strategiegruppe" für weitere Schritte zum Ausbau der deutsch-französischen Militärpolitik ausgesprochen. Der Gruppe gehören vorwiegend Außenpolitikexperten aus Think-Tanks, parteinahen Stiftungen und Parlamentsapparaten an. Wie es in einem Papier heißt, das die Strategiegruppe vor kurzem veröffentlicht hat, genüge es nicht, die "strategischen Kulturen" beider Länder aneinander anzunähern und einheitliche Regeln für den Rüstungsexport zu etablieren, um die Verzahnung der deutschen und der französischen Rüstungsindustrie zu forcieren. Man solle darüber hinaus eine "öffentliche Debatte über Sicherheits- und Verteidigungspolitik anstoßen". [6] Außen- und Militärpolitik müsse "künftig wieder ... als zentrales Thema im öffentlichen Raum veranker[t]" werden, heißt es in dem Papier. Dazu müssten nicht nur die Parlamente gemeinsame Sitzungen durchführen sowie Auftritte der Außen- und Verteidigungsminister vor dem jeweils anderen Parlament organisieren. "Unverzichtbar" werde auch "die Beteiligung an relevanten TV-Formaten im Nachbarland sein, um tatsächlich eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen".

Keinerlei Zugeständnis

Überschattet wird die heutige Vertragsunterzeichnung von den fortdauernden Massenprotesten in Frankreich, die nicht zuletzt der Tatsache geschuldet sind, dass Präsident Emmanuel Macron vom ersten Tag seiner Amtszeit an bemüht gewesen ist, deutsche Austeritätsforderungen umzusetzen (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Experten fordern bis heute - vergeblich -, Berlin solle nun endlich "zeigen, dass es Frankreich aktiver unterstützt". So heißt es in einer aktuellen Stellungnahme aus der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), es sei ein Fehler gewesen, dass die Bundesrepublik die "von Macron energisch vorangetriebene Initiative" zur Einführung einer "Digitalsteuer auf die Gewinne von Internetkonzernen" konsequent "blockiert" und sich dem zuletzt erreichten, "aber schwachen Kompromiss nur zögerlich" genähert habe: "Deutschland hat nicht erkannt, wie wichtig dieses Gesetz für Macron als Signal an die Französinnen und Franzosen in Sachen Steuergerechtigkeit ist" - auch als Ausgleich zur deutsch inspirierten Austeritätspolitik. [8] Dass jenseits der heute zu erwartenden feierlichen Deklarationen jede konkrete Unterstützung aus Berlin für eine gewisse Umverteilung in Frankreich ausbleibt, ist geeignet, die Bevölkerung im Nachbarland weiter auf die Straßen zu treiben.


Anmerkungen:

[1] Zitate hier und im Folgenden: Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration.

[2] S. dazu Die Koalition der Kriegswilligen (II).
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7777/

[3] Donata Riedel: Deutschland kommt beim Thema Verteidigung Frankreich entgegen. handelsblatt.com 21.01.2019.

[4] S. auch Noch näher an den Konflikten.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7822/

[5] S. dazu Alsace in vorderster Front.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/5787/

[6] Claire Demesmay, Sara Jakob (Hg.): "Ein Europa, das schützt und stärkt". Empfehlungen der Strategiegruppe für deutsch-französische Initiativen in der Europapolitik. DGAPbericht. Januar 2019.

[7] S. dazu Hegemonie nach deutscher Art.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7799/

[8] Julie Hamann: Frankreichs Reformdilemma: Macron braucht eine neue Strategie und Europas Unterstützung. DGAPstandpunkt Nr. 24. Dezember 2018.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2019

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