Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → MEINUNGEN


STANDPUNKT/087: Die EU und die Desinformation (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 28. April 2020
german-foreign-policy.com

Die EU und die Desinformation

EU-Stelle zur Abwehr "östlicher Propaganda" denuziert Kritik an der Union als "Desinformation".


BERLIN/BRÜSSEL - Berlin und Brüssel intensivieren mitten im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie ihre Negativkampagne gegen China. Während Bundesgesundheitsminister Jens Spahn rät, Kritik an der Krisenpolitik der Bundesregierung zu unterlassen, indem er erklärt: "Wir werden ... wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen", halten die Schuldzuweisungen an China bezüglich des Ausbruchs der Pandemie an. Bemühungen chinesischer Stellen, gegen die Schuldzuweisungen westlicher Staaten vorzugehen, werden von einer EU-Stelle, die sich offiziell der Abwehr östlicher Propaganda widmet, als "Desinformation" eingestuft. Die Einrichtung erklärt es auf ihrer Website ("EUvsDisinfo") zudem zur "Desinformation", wenn man aufgrund des EU-Exportverbots für medizinische Schutzausrüstung vermutet, die EU kehre in der Coronakrise "dem westlichen Balkan 'den Rücken zu'", wenn man urteilt, die EU verrate in der Krise "ihre eigenen Werte", und wenn man vom "Scheitern" und "der fehlenden Solidarität in der EU" spricht. Die EU-Stelle, die Kritik als "Desinformation" denunziert, wird mit Millionensummen finanziert.

Mediale Sprachregelungen

Die jüngste Negativkampagne gegen China hatte in etwa Mitte März begonnen. Damals zeichnete sich deutlich ab, dass Deutschland voll von der Covid-19-Pandemie erfasst werden würde - wohl sogar noch härter als die Volksrepublik, da die Bundesregierung auch nicht annähernd zureichende Vorkehrungen getroffen hatte, sie abzuwehren. Prominentestes Symbol dafür ist der bis heute nicht beseitigte Mangel an elementarer Schutzausrüstung, etwa Gesichtsmasken - bemerkenswert in einem der reichsten und wirtschaftlich stärksten Länder der Welt. Gleichfalls Mitte März begannen Experten darauf hinzuweisen, wegen des absehbaren ökonomischen Einbruchs im Westen könne China unter Umständen sogar - im Vergleich zu anderen Staaten - gestärkt aus der Coronakrise hervorgehen.[1] Hatten interessierte Kreise in Deutschland bis dahin hoffnungsvoll spekuliert, die zunächst vor allem in China grassierende Epidemie könne womöglich die Regierung in Beijing ins Wanken bringen, so wurde nun ein potenziell schwerer Einflussverlust der Mächte Europas und Nordamerikas denkbar. Zu jenem Zeitpunkt begannen deutsche Leitmedien sowie einige Politiker, China als angeblichen "Verursacher der Krise" zu porträtieren. Mittlerweile gehört zumindest der Hinweis, die Covid-19-Pandemie habe ihren Ursprung "in China" oder "in Wuhan", zu den Standard-Sprachregelungen deutscher Medien.

Doppelte Standards

Das ist nicht bedeutungslos, weil die Etikettierung der Pandemie als "aus China stammend" einerseits Schuldzuschreibungen begünstigt, andererseits aber bisherigen Gepflogenheiten nicht entspricht. So ist es unüblich, die Ebola-Epidemie, die 2013 in Westafrika wütete und deren erster Fall in Guinea verzeichnet wurde, in Berichten regelmäßig als "aus Guinea stammend" zu beschreiben. Ebenso wird zum Beispiel die Zikavirus-Epidemie von 2015/16 nicht regelmäßig als "in Französisch-Polynesien" oder "in Brasilien" entstanden bezeichnet; Schuldzuschreibungen werden hier nicht gewünscht. Das gilt auch für andere Krisen. So hat kürzlich Jim O'Neill, der Vorsitzende des renommierten Londoner Think-Tanks Chatham House, daran erinnert, dass 2008, als die globale Finanzkrise um sich griff, kaum jemand den USA die Alleinschuld zugeschoben habe, obwohl die Krise ihren Ursprung eindeutig dort gehabt und viele Länder weltweit schwer geschädigt habe. O'Neill wirft denjenigen, die nun China die Schuld an der Pandemie zuschieben, "doppelte Standards" vor [2]; er empfiehlt, die Schuldzuweisungen umgehend einzustellen und stattdessen den Kampf gegen das Covid-19-Virus gemeinsam zu führen.

EUvsDisinfo

Die Bundesregierung fordert dies lediglich für sich selbst ein: "Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen", lässt sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zitieren. Spahn ist maßgeblich für den deutschen Umgang mit der Pandemie verantwortlich.[3] Vergangene Woche haben sich mehrere Berliner Regierungsmitglieder den - gänzlich unbelegten -Verdächtigungen angeschlossen, das Covid-19-Virus könne einem Labor in Wuhan entsprungen sein; Beijing müsse diesbezüglich "Transparenz" an den Tag legen, forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel.[4] Bestrebungen der Volksrepublik, die Schuldzuschreibungen zurückzuweisen, werden mittlerweile von der EU attackiert. Mittel der Wahl ist zur Zeit die Website "EUvsDisinfo" ("EU gegen Desinformation"), auf der eine eigens geschaffene EU-Stelle ("East StratCom Task Force") angebliche "russische Propaganda" offenlegt. Dort werden Bemühungen "chinesischer Quellen", "jede Beschuldigung für den Ausbruch der Pandemie abzuwehren und bilaterale Hilfen hervorzuheben", unter dem Stichwort "Desinformation" rubriziert.[5] Demnach darf man es als "Desinformation" bezeichnen, wenn chinesische Medien positiv über Hilfslieferungen der Volksrepublik im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie berichten.[6]

"Desinformation": "Sanktionen lähmen Gesundheitssystem"

Auf "EUvsDisinfo" befasst sich die "East StratCom Task Force", deren von der EU finanziertes Budget im vergangenen Jahr von 1,1 Millionen Euro auf 3 Millionen Euro erhöht wurde, zur Zeit vor allem mit "Desinformation" im Zusammenhang mit der Coronakrise. Dabei listet EUvsDisinfo es zwischen abstrusen Behauptungen abseitiger Onlinepublikationen wie der Aussage, "Medien" hätten "Covid-19 fabriziert", auch als "Desinformation" auf, dass in "chinesischen Nachrichten Hilfe hervorgehoben" werden. Als Maßnahme der "Desinformation" muss es demnach auch eingestuft werden, dass "der Kreml ... Internetplattformen im Land dazu auf[fordert], 'Fake News' zu COVID-19 zu entfernen".[7] "Desinformation" ist es laut EUvsDisinfo ebenfalls, wenn Berichterstattung über die Covid-19-Pandemie mit der "Darstellung verknüpft" werde, "die EU kehre dem westlichen Balkan 'den Rücken zu'".[8] Tatsächlich hat die EU im März ein Ausfuhrverbot für Schutzausrüstung verhängt; Serbien etwa war deshalb auf Hilfslieferungen aus China angewiesen. Interessante Zuordnungen finden sich auch bezüglich der EU-Sanktionen gegen Syrien. Demnach macht sich, wer behauptet, die Sanktionen "lähmten das Gesundheitssystem" des Landes, und das wirke sich negativ auf den Kampf gegen die Pandemie aus, gleichfalls der "Desinformation" schuldig.[9]

"Desinformation": "fehlende Solidarität in der EU"

Als "Desinformation" muss laut EUvsDisinfo auch Kritik an der EU eingestuft werden. Genannt wird etwa die Aussage: "Die EU ist egoistisch und verrät ihre eigenen Werte". Derlei Äußerungen waren - vor allem in Südeuropa - verbreitet zu hören, als zunächst Italien und Spanien von der Covid-19-Pandemie überrollt wurden und kein einziger EU-Staat Unterstützung leistete, während die Bundesrepublik ein nationales Exportverbot für Schutzausrüstung verhängte und diverse EU-Länder, auch Deutschland, ihre Grenzen schlossen. Die East StratCom Task Force ordnet Kritik daran allerdings als "Desinformation" ein, die insbesondere "von kremlfreundlichen Quellen" und ungenannten "inländischen Netzwerken/Quellen in EU-Mitgliedstaaten" verbreitet werde.[10] Dasselbe gilt demnach für die Einschätzung, die EU sei "nicht in der Lage, mit der Krise fertig zu werden". Die "Darstellung des Scheiterns und der fehlenden Solidarität in der EU" sei ebenfalls "Desinformation"; die Aussage habe "nach der Bereitstellung russischer Hilfsgüter für Italien deutlich an Fahrt aufgenommen".[11] Keine zulässige Meinungsäußerung, sondern ein Resultat erfolgreicher "Desinformation" ist es demnach auch, dass laut einer Umfrage mittlerweile rund 52 Prozent aller Italiener China als "Freund" ihres Landes einstufen, während nur 27 Prozent der EU "Vertrauen" entgegenbringen.[12]

"Hydroxychloroquin-Behandlung:" "Besonders bösartige Desinformation"

Nicht genannt werden bei EUvsDisinfo unbelegte Behauptungen zum Covid-19-Virus, die in westlichen Ländern von einflussreichen Medien und teils auch von führenden Politikern verbreitet werden. Dabei handelt es sich etwa um die Behauptung, das Covid-19-Virus sei in einem Labor in Wuhan zuerst aufgetreten und dort womöglich sogar gezüchtet worden. Wer dies behauptet, muss demnach nicht damit rechnen, von EUvsDisinfo der Desinformation beschuldigt zu werden. Desinformation lag der East StratCom Task Force zufolge allerdings vor, als in Iran mehrere Menschen starben, da sie der Behauptung Vertrauen geschenkt hatten, man könne das Virus durch den Genuss von Industriealkohol zerstören. Die Aussage, man habe nichts zu verlieren, wenn man "Hydroxychloroquin nutze, um Covid-19 zu behandeln", ist EUvsDisinfo zufolge sogar "eine besonders besorgniserregende und bösartige Kategorie von Desinformation".[13] Als deren Quelle benennt EUvsDisinfo "RT English". Unerwähnt bleibt der prominenteste Vertreter der erwähnten Aussage: der Präsident der mit der Bundesrepublik und der EU eng verbündeten Vereinigten Staaten, Donald Trump.


Anmerkungen:

[1] S. dazu Die Pandemie und die Mächte
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8245/

[2] Jim O'Neill: Blaming China Is a Dangerous Distraction. chathamhouse.org 15.04.2020.

[3] "Wir werden viel verzeihen müssen", sagt Jens Spahn. welt.de 22.04.2020.

[4] S. dazu Die Verdächtigungskampagne
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8250/

[5] EEAS Special Report Update: Short Assessment of Narratives and Disinformation around the COVID-19/Coronavirus Pandemic (Updated 2 - 22 April). euvsdisinfo.eu 24.04.2020.

[6], [7], [8] EAD-Sonderbericht, Update: Kurzbewertung der Narrative und Desinformation zur Covid-19-Pandemie. euvsdisinfo.eu 01.04.2020.

[9] EEAS Special Report Update: Short Assessment of Narratives and Disinformation around the COVID-19/Coronavirus Pandemic (Updated 2 - 22 April). euvsdisinfo.eu 24.04.2020.

[10] EAD-Sonderbericht, Update: Kurzbewertung der Narrative und Desinformation zur Covid-19-Pandemie. euvsdisinfo.eu 01.04.2020.

[11] Welche Desinformationen zum Coronavirus finden die größte Resonanz? euvsdisinfo.eu 07.04.2020.

[12] EEAS Special Report Update: Short Assessment of Narratives and Disinformation around the COVID-19/Coronavirus Pandemic (Updated 2 - 22 April). euvsdisinfo.eu 24.04.2020.
S. auch Die Verdächtigungskampagne
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8250/

[13] EEAS Special Report Update: Short Assessment of Narratives and Disinformation around the COVID-19/Coronavirus Pandemic (Updated 2 - 22 April). euvsdisinfo.eu 24.04.2020.

*

Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2020

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang