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LAIRE/054: EU strebt Vollkontrolle seiner Außengrenzen an (SB)


Perfektionierte Abwehr künftiger Armuts- und Hungerflüchtlinge


Die Weltfinanzkrise und drohende Rezession in den USA kommen zu einer Zeit wachsender existentieller Not vieler Menschen vor allem in Afrika. Die Ausgaben für Energie und Lebensmittel sind im vergangenen Jahr weltweit teils dramatisch gestiegen. Für die vielen Millionen Menschen, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben, bedeutet das eine weitere Zuspitzung ihrer Notlage. Da ihre eigenen Regierungen nicht in der Lage oder nicht willens sind, die Not zu beheben, und die sogenannte internationale Gemeinschaft ebenfalls keine Gegenmaßnahmen - zumindest keine wirksamen - ergreift, um den Verarmungstrend in Afrika und anderswo umzukehren, bleiben den Betroffenen nicht viele Optionen zur Sicherung ihres Überlebens und das ihrer Familie.

In Ländern wie Sudan, Tschad, Uganda, Niger, Nigeria, Zentralafrikanische Republik, Demokratische Republik Kongo, Äthiopien und Somalia finden kleinere bis größere Kämpfe um die Kontrolle über die Ressourcen beziehungsweise - weil es meist nur über diesen Weg geht - um Ausübung der Regierungsgewalt statt. Andere Länder halten ihre internen Konflikte nur mühsam im Zaum und wiederum andere (Liberia, Sierra Leone, Elfenbeinküste) haben viele Jahre Bürgerkrieg hinter sich und befinden sich gegenwärtig in einer Phase des Atemholens - wobei nicht ausgeschlossen werden kann, daß der nach wie vor ungelöste Sozialkonflikt eines Tages nicht auch dort wieder ausbricht.

Abgesehen von fatalistischer Akzeptanz der eigenen Hungersarmut oder dem Versuch, sich gegenüber der höheren Gewalt durch persönliche Gewalt zu behaupten und seine Existenz über Raub zu sichern, gehen zahlreiche Afrikaner das Risiko ein, ihrer Heimat zu entfliehen und die vermeintlich sicheren Gestade Europas auf dem Seeweg zu erreichen. Die weltwirtschaftliche Situation läßt vermuten, daß die Zahl der Menschen aus Afrika, Osteuropa und Übersee, die in die Europäische Union gelangen wollen, in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird.

Die Europäische Kommission will noch in diesem Monat Pläne vorlegen, wie die Festung Europa weitgehender als bisher gegen diese Menschen, die zu "Illegalen" erklärt werden, gewappnet werden kann. Dazu wird der Vizepräsident der EU-Kommission und EU-Kommissar für Justiz, Franco Frattini, am kommenden Mittwoch sein Konzept präsentieren.

Einige Bestandteile der Vorschläge sind bereits bekannt. Es soll ein EU-weites System zur Registrierung aller ein- und ausreisenden Nicht-EU-Bürger installiert werden, was vor allem Personen betrifft, die kein Visum benötigen. Zudem wird das Überwachungssystem EUROSUR ausgebaut, um Grenzübertritte zwischen den regulären Übergängen zu erfassen. EUROSUR sieht vor, daß sämtliche Land- und Seegrenzen der EU permanent überwacht werden. Dazu werden sowohl boden- als auch satellitengestützte Kameras installiert. Der EU-Observer (6.2.2008) schreibt zur Funktion von EUROSUR: "Das System soll alle EU- Mitgliedsländer miteinander verbinden und ihnen die notwendigen Informationen zur Verfügung stellen, um Personen, die versuchen, außerhalb der regulären Grenzübergänge nach Europa zu gelangen, abzufangen." Als drittes ist geplant, die europäische Grenzschutzbehörde/-truppe Frontex intensiver als bisher einzusetzen. Alle Maßnahmen könnten zwischen 2012 und 2015 in Kraft treten, berichtete der EU-Observer.

Die EU-Kommission wird von den Mitgliedsländern die Erfassung biometrischer Merkmale wie Fingerabdrücke oder Iris-Scan verlangen. Außerdem ist geplant, von allen Einreisewilligen eine elektronische Voranmeldung zu verlangen. Etwas ähnliches gibt es bereits in Australien, und auch die USA fordern von anderen Ländern Passagierdatenlisten. Selbst innerhalb der Europäischen Union wird dies für nationale Grenzen bereits diskutiert - hier ist mal wieder die britische Regierung Vorreiter. Damit wird die Behauptung, es ginge den Regierungen lediglich um die Kontrolle von Europas Außengrenzen, widerlegt.

Die Europäische Union errichtet einen Eisernen Vorhang entlang ihrer Außengrenze, um kommende Hungerflüchtlinge abzuwehren, und führt im Innern nach der Aufhebung der nationalen Grenzen im Schengen-Raum andersgeartete Grenzen ein, die den freien Reiseverkehr behindern. Das bietet zu der Vermutung Anlaß, daß die Brüsseler Behörden mit einer Ausweitung des globalen Hungerproblems in den relativ privilegierten Raum der Europäischen Union rechnen und sich darauf einstellen, indem sie ihre Fähigkeiten zur Bevölkerungskontrolle qualifizieren.

Angesichts des Klimawandels und der kommenden Ressourcenknappheit, einschließlich des Wasser- und Nahrungsmangels, im Innern der Festung Europa liegt die Vermutung nahe, daß die Versorgung des einzelnen künftig nach utilitaristischen Kriterien entschieden werden soll. Hartz-IV-Empfänger und anderes Lumpenproletariat können sich schon mal darauf einstellen, daß sie sicherlich nicht dazugehören werden und man mit ihnen ähnlich verfahren wird wie heute mit den abgewehrten Flüchtlingen aus Afrika.

6. Februar 2008