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LAIRE/056: Nahrungsmittelhilfe - Brüsseler Befriedungspolitik (SB)


Die EU spendet zwei Prozent der Hungernden weltweit ein acht- bis neuntägiges Leben in Armut ...


Die Nahrungskrise, die seit der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres mit zunehmender Wucht auf der ganzen Welt zuschlägt, erfordert von den selbsternannten Sachwaltern der Weltordnung kompensatorische Regulationen. Würde die Bevölkerung in der sogenannten Dritten Welt oder das Lumpenproletariat in den vergleichsweise wohlhabenden Nationen schlagartig nichts mehr zu essen haben, bestände das Risiko eines Flächenbrands an Aufständen gegen die Zwangsordnung. Deshalb müssen die Regierungen unter allen Umständen verhindern, daß die Menschen eine nüchterne Bilanz zu Nahrungsmittelproduktion und -verbrauch ziehen: Es gibt offensichtlich nicht genügend zu essen für alle Menschen, der Verzehr übersteigt die Herstellung von Nahrung seit Jahren. Das soll nicht an die große Glocke gehängt werden.

Da der Hunger in der Welt unter den gegebenen Voraussetzungen unvermeidlich ist, wirft das sofort die Frage auf, wer eigentlich darüber entscheidet, daß ein Mensch, eine Region oder ein Land nichts zu essen erhalten soll. Es läßt sich denken, daß die Antwort darauf einerseits komplex, andererseits aber auch recht einfach ist: Am dichtesten an den Fleischtöpfen befinden sich die Länder mit dem entwickeltsten Militär. Sie können alle anderen von den Fleischtöpfen abhalten. Desweiteren ist von Vorteil, wenn ein Land so viel Getreide oder Fleisch erzeugt, daß es über die Eigenversorgung hinaus Nahrung exportieren kann. Das schützt zwar nicht davor, ausgeraubt zu werden, aber mittels partizipatorischer Maßnahmen läßt sich womöglich eine vergleichsweise günstige Position erwirtschaften.

Solange das globale Währungssystem einigermaßen stabil ist, befinden sich auch finanzstarke Länder in einer relativ privilegierten Position. Die würde allerdings bedeutungslos werden, wenn das Finanzsystem kollabiert und sich die vielen Nullen vor dem Komma des Ersparten als das erweisen, was ihr Name schon sagt: null und nichtig.

Zur Verschleierung der vorherrschenden Weltordnung, in der wenige privilegiert und die Mehrheit verarmt sind und ein großer Teil der Menschen Hunger leidet, trägt auch die Nahrungsmittelhilfe bei. Spender zu sein ist natürlich ein durch und durch positiv besetzter Wert. Welch friedliches Bild, wenn Getreideschiffe aus den USA und der EU gen Süden fahren und Nahrungsmittel in Afrika anlanden! Übersehen wird bei diesem Eindruck, daß die Spender - die im übrigen den weitaus größeren Teil an Nahrung einbehalten, mag die Not noch so groß sein -, im Vorwege von einem Weltordnungssystem bevorzugt worden sind, durch das die tiefe Kluft zwischen arm und reich permanent aufrechterhalten wird. Schon längst wird die Frage nicht mehr gestellt, was an einer Weltordnung gut sein soll, die dafür gesorgt hat, daß mindestens 854 Millionen Menschen nicht genügend zu essen haben.

Am Dienstag hat die EU-Kommission bekanntgegeben, daß sie 160 Millionen Euro für den Kampf gegen den Hunger in der Welt bereitstellt. Das soll 18,7 Millionen Menschen vor allem aus den "schwächsten Bevölkerungsgruppen" zugutekommen. In einer detaillierten Studie zur Ernährungsunsicherheit seien 17 vorrangig von diesem Problem betroffene Länder ermittelt worden, hieß es. Genannt werden Sudan, Tschad, Somalia, Kenia, Äthiopien, Uganda, Demokratische Republik Kongo, Tansania, Burundi, die Sahelländer, Liberia, Simbabwe, Afghanistan, Nepal, Sri Lanka, Kolumbien und die Palästinensischen Gebiete (Westjordanland und Gaza-Streifen). Es sei der erste Beschluß über Nahrungsmittelhilfe in diesem Jahr, weitere würden folgen. Louis Michel, EU-Kommissar für Entwicklung und Humanitäre Hilfe, erklärte:

"In vielen der ärmsten Länder der Welt sind die schwächsten Bevölkerungsgruppen in zunehmendem Maße den Folgen von Naturkatastrophen, Konflikten und wirtschaftlichen Zwängen ausgesetzt, und können dadurch rasch in eine prekäre Ernährungssituation geraten. Die Europäische Union spielt eine zentrale Rolle bei der Bereitstellung von Nahrungsmitteln für diese Menschen und der Wiederaufnahme der Nahrungsmittelerzeugung."
(Memo IP/08/369, 4.3.2008, http://europa.eu/)

Mit solch wohlfeilen Worten wird der Eindruck erzeugt, die EU befände sich an maßgeblicher Stelle, um das Hungerproblem zu lösen. Dieser Eindruck täuscht. Wird der Hunger behoben, wenn man eine Handvoll Körner in eine Schar hungriger Menschen wirft? In diesem Verhältnis zur Bedürftigkeit bewegt sich die "Hilfe" der EU.

160 Millionen Euro sind für eine Einzelperson viel Geld, aber selbst wenn dies, wie angekündigt, nur die erste von mehreren Tranchen in diesem Jahr ist, entspricht das dem Tropfen auf den heißen Stein. Zumal nicht 18,7 Millionen Menschen weltweit bedürftig sind, sondern nach UN-Angaben 854 Millionen. Somit hebt die EU nur auf zwei Prozent dieser Menschen ab. Aber selbst für die 18,7 Millionen Menschen sind 160 Millionen Euro fast nichts. Denn der Teil an dieser Summe, von dem tatsächlich Nahrungsmittel gekauft werden, ist gering. Beispielsweise müssen die hohen Frachtkosten, um die Nahrung von A nach B zu befördern, abgezogen werden. Zudem entstehen Verwaltungskosten, und mit dem Geld sollen auch Geräte, Saatgut und Dünger "als kurzfristige Unterstützung der Erzeugung für den Eigenbedarf" finanziert werden, was sicherlich nützlich ist, aber keine direkte Nahrungsmittelhilfe bedeutet.

Selbst wenn man einmal annimmt, die bedürftigsten Menschen der Erde erhielten die volle Summe von 160 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, so käme man anteilsmäßig auf einen Betrag von 8,55 Euro pro Person. Wohlgemerkt, damit soll Menschen geholfen werden, die extrem bedürftig sind, und die Vorstellung, daß das Preisniveau in den armen Länder sehr viel niedriger ist als in der Europäischen Union, trifft nicht zu. Es ist niedriger, aber nicht in einem Verhältnis, bei dem 8,55 Euro plötzlich eine große Summe wären.

Allgemein wird Armut darüber definiert, daß Menschen durchschnittlich weniger als einen Dollar pro Tag zur Verfügung haben. Nun hat der Dollar in letzter Zeit erheblich an Wert verloren, so daß diese Angabe zweifelhaft ist (auch aus anderen Gründen, aber die sollen hier nicht diskutiert werden). Wenn man nun den früheren Dollarwert zugrundlegt, der in etwa dem Euro entsprach, so würde die Europäische Union den 18,7 Mio. bedürftigsten Menschen für rund 8 bis 9 Tage ein Leben in Armut finanzieren. Es ist sicherlich keine gewagte Prognose zu behaupten, daß die EU in acht bis neun Tagen nicht abermals 160 Mio. Euro freisetzt, und nach weiteren acht bis neun Tagen ebenfalls nicht.

Diese Zahlen, die die Nahrungsmittelhilfe der EU sogar noch sehr positiv erscheinen lassen, belegen, daß die Hilfe Bestandteil einer globalen Mangelverwaltung ist. Ihre Funktion besteht in der Befriedung der Menschen und dadurch der Sicherung eines Systems, in der der Hunger "in Ordnung ist", also einen festen Platz in der Ordnung einnimmt. Für diese Funktion spendet die Europäische Union gern. Wie treffend ist es da, daß "spenden" auf das lateinische Kompositum "ex-pendere" zurückgeht, das "gegeneinander aufwägen" bedeutet ... damit das System an sich nicht in Frage gestellt bzw. in Angriff genommen wird, ist die EU gern bereit, einige Almosen abzudrücken.

6. März 2008