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FRAGEN/009: Jo Leinen, SPD - Ich hoffe, auf ein Ökosozialprodukt am Ende dieses Jahrzehnts (DNR EU)


Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände
EU-Koordination

EU-News - Donnerstag, 24. April 2014 / Politik & Recht

Jo Leinen (SPD): "Ich hoffe, dass es am Ende dieses Jahrzehnts ein Ökosozialprodukt gibt"



Der SPD-Umweltpolitiker Jo Leinen hofft, dass es dem EU-Parlament auch in der kommenden Legislaturperiode gelingen wird, geschlossen gegenüber dem Ministerrat aufzutreten und Kommissionsvorschläge zu verbessern. Gerade für eine ambitionierte Gesetzgebung im Bereich Umwelt-, Klima- und Ressourcenschutz sei das notwendig.

Was waren für Sie die wichtigsten Themen, für die der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments in den letzten fünf Jahre federführend zuständig war? Was konnten Sie im Umweltausschuss dabei verbessern und verändern?

Der Bericht zur europäischen umweltökonomischen Gesamtrechnung war dem ersten Anschein nach etwas unscheinbar, aber mit diesem Gesetz über die europäischen Umweltbilanzen schlagen wir ein neues Kapitel bei der Messung von Fortschritt und Wohlstand auf. Wir wissen seit Langem, dass das Bruttosozialprodukt zur Messung des Wohlstandes nicht ausreicht und wir "mehr als BIP" (beyond GDP) als Indikator brauchen. Denn die rein quantitative Betrachtung der Wirtschaftstätigkeiten sagt nichts über die Umweltbilanz und auch nichts über die Sozialbilanz aus. Von daher ist es höchste Zeit, Jahr für Jahr zu messen, ob wir bei unseren Aktivitäten besser werden oder schlecht bleiben.

Wir haben monatlich die Statistik zu den Arbeitsmarktzahlen, wir haben jährlich die Statistik zu den Wirtschaftszahlen. Über diese Dinge wissen wir also genau Bescheid. Es gibt allerdings einen Torso und einen Flickenteppich bei den Daten über die Umweltauswirkungen. Im Rat war es sehr schwierig, weil einige Länder keine Umweltbilanzen erstellen, und zunächst bei allen 28 Mitgliedstaaten ein Fundament geschaffen werden muss. Die Kommission hat vorgeschlagen, drei Module zu erfassen: die Luftemissionen - da wissen wir sehr gut Bescheid, welche Gase in die Luft ausgestoßen werden. Dann die finanziellen Aufwendungen, die sich aus Umweltsteuern und Umweltabgaben ergeben. Und drittens die Materialflüsse in einer Gesellschaft in einem Jahr. Das ist vielleicht ein Anfang. Der Umweltausschuss hat erfolgreich gefordert, dass wir auch Wasserbilanzen, Energiebilanzen, Abfallbilanzen erstellen müssen, dass wir über den Zustand der Wälder Bescheid wissen sollen. Diese Module wollen wir in allernächster Zeit einführen.

Das Gesetz über die gesamtökonomische Umweltrechnung soll in den 28 Mitgliedstaaten eine genaue Bilanzierung vornehmen. Ich hoffe, dass es am Ende dieses Jahrzehnts neben dem Bruttosozialprodukt auch ein Ökosozialprodukt gibt. Das ist unser Ziel.

Wo sehen Sie die Herausforderungen für das kommende Europäische Parlament?

Das nächste Europäische Parlament muss sicherstellen, trotz der kontroversen Ausgangspositionen der verschiedenen politischen Parteien weiterhin geschlossen gegenüber dem Rat aufzutreten. In dieser Legislaturperiode haben wir es oft geschafft, in den Berichten des Parlaments zu Umweltthemen eine ambitionierte Gesetzgebung einzufordern und diese Position auch in den Verhandlungen mit dem Rat meistens durchgesetzt.

Es ist sehr wünschenswert, dass es dem Europäischen Parlament auch weiterhin gelingen wird, die Kommissionsvorschläge ehrgeiziger zu gestalten. Gerade im Bereich der Lebensmittelkennzeichnung, der Klima- und Energiegesetzgebung und der Diskussion über Gentechnik stehen wichtige Themen an, bei denen das Parlament im Sinne der Bürger handeln soll.

Was wird im kommenden EU-Parlament auf der Agenda des Umweltausschusses stehen, das Sie für besonders relevant halten?

In der nächsten Legislaturperiode will ich weiterhin die Klima- und Energiepolitik sowie die Ressourcenpolitik bearbeiten. Mit dem Rahmen für 2030 wird es eine wichtige Diskussion über die Zielsetzung geben. Dabei wird es besonders darauf ankommen, dass das Parlament seine Forderung nach drei verbindlichen Zielen festhält. Dabei wird sich die SPD weiterhin für ehrgeizige Ziele einsetzen. Wir fordern erstens die Reduktion von CO2-Emissionen um 50 Prozent im Vergleich zu 1990, zweitens die Steigerung der Energieeffizienz um 40 Prozent und drittens eine Erhöhung des Anteils von Erneuerbaren Energien auf 45 Prozent.

Das Thema Ressourcennutzung wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Wir müssen unser Produktions- und Konsummodell so umgestalten, dass Ressourcen effizienter genutzt und wiederverwendet werden. Die Wegwerfmentalität sollte ein Ende haben und stattdessen die Reparierbarkeit und Wiederverwertbarkeit von Produkten gesteigert werden. Dafür sind entsprechende Produktstandards, finanzielle Anreize und eine verständliche und verlässliche Kennzeichnung von Produkten für Verbraucherinnen und Verbraucher erforderlich. Auf EU-Ebene muss die Wiederverwendung von Ressourcen im Sinne einer Kreislaufwirtschaft oberste Priorität haben: Wir haben Recyclingziele für verschiedene Materialien und eine umfassende Gesetzgebung im Abfallbereich. Diese muss nun an neue Erkenntnisse angepasst und gegebenenfalls müssen ehrgeizigere Recyclingziele gesetzt werden. Daher werde ich mich weiter dafür einsetzen, unseren ökologischen Fußabdruck zu verringern und nicht weiterhin auf Kosten von Naturkapital und Ökosystemen zu leben. Das erreichen wir durch Gesetze, die ökologische Innovation fördern, beispielsweise eine umfassende Verordnung zu ressourcenschonendem und energieeffizientem Design.

Was haben Sie sich als Volksvertreter vorgenommen, sollten Sie wieder ins Europaparlament gewählt werden?

In der letzten Legislaturperiode habe ich mich dafür starkgemacht, dass europäische Standards für einen geringen Verbrauch von Wasser, Land, Energie oder Rohstoffen gefunden werden. Sobald wir messen können, was wir konsumieren, ist der Grundstein für eine Verbesserung gelegt. Wir haben schon einiges erreicht, jedoch ist der Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft noch lang. Daher möchte ich mich weiterhin für eine ambitionierte Gesetzgebung im Bereich Umwelt-, Klima und Ressourcenschutz einsetzen.

Was möchten Sie den deutschen Umweltverbänden für die kommende Legislaturperiode mit auf den Weg geben?

Die deutschen Umweltverbände haben in der Vergangenheit erfolgreiche Arbeit geleistet und standen zu allen relevanten Themen immer kompetent für Auskünfte und Informationen bereit. Dafür möchte ich mich bedanken.

In der nächsten Legislaturperiode sollten wir diese Kooperation weiterführen, die Tür steht bei uns immer offen. Ich würde mir wünschen, dass die deutschen Umweltverbände sich früh im europäischen Gesetzgebungsprozess zu Wort melden. Häufig sind bereits das Konsultationsverfahren der Europäischen Kommission oder der Zeitraum vor der Veröffentlichung eines Kommissionsvorschlages der richtige Zeitpunkt für eine erste Kontaktaufnahme.

In Kooperation mit Abgeordneten können Anfragen an die Kommission gestellt werden: Sei es, weil ein Mitgliedstaat eine Gesetzgebung nicht rechtgemäß umgesetzt hat, sei es, weil auf Missstände in der Umweltgesetzgebung hingewiesen werden soll oder weil die Kommission keine Initiative für einen Gesetzesvorschlag ergreift.

www.joleinen.de

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Quelle:
EU-News, 24.04.2014
Deutscher Naturschutzring e.V. (DNR)
EU-Koordination
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E-Mail: eu-info@dnr.de
Internet: www.eu-koordination.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2014