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GRIECHENLAND/007: Zum Teufel gejagt (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 1. Juli 2015
(german-foreign-policy.com)

Zum Teufel gejagt


ATHEN/BERLIN - Die Bundesregierung hat am gestrigen Dienstag ein letztes Verhandlungsangebot aus Griechenland zur Verlängerung des EU-Hilfsprogramms zurückgewiesen. Vor dem griechischen Referendum, das am Sonntag stattfinden soll, sei Berlin nicht mehr zu Gesprächen mit Athen bereit, teilte Bundeskanzlerin Angela Merkel gestern Nachmittag mit. Entsprechend lehnte die Eurogruppe am Abend einen Kompromissvorschlag von Ministerpräsident Alexis Tsipras ab. Das Hilfsprogramm ist um Mitternacht endgültig abgelaufen, Athen erhält nun keine Gelder mehr. Bereits zuvor hatte Berlin, das seine brutale Austeritätspolitik um jeden Preis durchzusetzen sucht, Griechenland weiter in den wirtschaftlichen Kollaps getrieben: Auf deutschen Druck hatte die Europäische Zentralbank (EZB) eine Ausweitung der Notkredite für griechische Banken verweigert; Kapitalverkehrskontrollen wurden deswegen unvermeidlich. In Berlin heißt es, Athen solle das Referendum absagen, bei dem die griechische Bevölkerung implizit auch über die deutschen Spardiktate für die Eurozone abstimmt. Deutsche Medien begleiten die eskalierende Krise mit den üblichen verächtlichen Äußerungen über die Regierung Griechenlands.


Nicht mehr verhandlungsbereit

Die Bundesregierung hat sich am gestrigen Dienstag einem letzten Verhandlungsangebot der griechischen Regierung verweigert. Am Nachmittag hatte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras auf eine Initiative von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker reagiert. Juncker hatte Tsipras nahegelegt, schriftlich das jüngste Verhandlungsangebot aus Brüssel zu akzeptieren und zu versprechen, vor dem Referendum am Sonntag für ein "Ja" zu erneuten Sparmaßnahmen zu werben. Dies wäre gleichbedeutend mit einer vollständigen Kapitulation Athens gewesen. Tsipras antwortete, seine Regierung könne sich neue Kredite vorstellen - bei einer gleichzeitigen Umstrukturierung der griechischen Schulden und einer Verlängerung des aktuellen Hilfsprogramms um einige Tage, um den Staatsbankrott zu vermeiden. Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem berief daraufhin eine Sonder-Telefonkonferenz der Eurogruppe ein, die jedoch Tsipras' Vorschlag dann letztlich zurückwies: Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits am Nachmittag erklärt, sie sei vor dem Referendum zu keinerlei Verhandlungen mit Griechenland mehr bereit.[1]


Bankenschließung erzwungen

Berlin treibt Griechenland damit weiter in den wirtschaftlichen Kollaps. Ohnehin resultiert die Krise in hohem Maße daraus, dass die von der Bundesregierung oktroyierte Austeritätspolitik die griechische Wirtschaft seit Jahren abschnürt. Zudem hatte am Sonntag die Europäische Zentralbank (EZB) auf massiven deutschen Druck die Notkredite für Griechenland nicht ausgeweitet, sondern eingefroren. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann war selbst dies nicht genug gewesen; im EZB-Rat hatte er Berichten zufolge sogar dagegen gestimmt, die Notkredite überhaupt aufrechtzuerhalten. Mit der Weigerung, sie aufzustocken, habe man "faktisch eine Schließung der Banken" in Griechenland erzwungen, räumten Notenbankkreise bereits am Sonntag ein.[2] In der Tat hatte Ministerpräsident Tsipras nach der EZB-Entscheidung keine andere Wahl, als strikte Kapitalverkehrskontrollen zu verhängen - dank Berlin.


Va banque

Die Restriktionen in puncto Notkredite zielen nicht zuletzt darauf ab, auf das Referendum Einfluss zu nehmen, das die Athener Regierung für den kommenden Sonntag angekündigt hat. Am Wochenende deuteten erste Umfragen auf eine klare Mehrheit für ein "Nein" zum letzten Verhandlungsangebot aus Brüssel und zu den darin enthaltenen Sparforderungen hin. Beobachter urteilten aber schon am Montag, "die Zahl der Neinstimmen" könne womöglich schrumpfen, "wenn Banken schließen und Geldautomaten keine Scheine mehr ausgeben".[3] Dies ist nach dem Einfrieren der Notkredite durch die EZB der Fall. Kommentatoren deutscher Leitmedien knüpfen inzwischen offen "Hoffnung" an die weitere Abschnürung der griechischen Wirtschaft. Es sei "nicht ausgeschlossen, dass der Zorn und die Angst der Griechen, die vor leeren Bankautomaten und Tankstellen stehen, sich gegen die eigene Regierung wenden und diese auch in der Volksbefragung Schiffbruch erleidet", heißt es exemplarisch.[4] Berlin spielt va banque, allerdings nicht mit dem eigenen Vermögen, sondern mit den Überlebensressourcen der griechischen Gesellschaft.


Das Referendum

Ergänzend fordern deutsche Spitzenpolitiker ganz offen, das Referendum über die Sparmaßnahmen ausfallen zu lassen. "Das beste wäre, wenn Herr Tsipras das Referendum absagt", erklärte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel am gestrigen Dienstag am Rande einer Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion.[5] Gabriel hatte bereits zuvor mit Blick auf die Abstimmung massiv Druck auf die griechische Bevölkerung auszuüben versucht. Ein "Nein" zu den Brüsseler Angeboten sei "ein klarer Entscheid gegen den Verbleib im Euro", behauptete er.[6] Umfragen zeigen, dass in Griechenland zur Zeit keine Mehrheit für den Ausstieg aus dem Euro besteht.


Verachtung

Deutsche Medien begleiten die Kriseneskalation mit den mittlerweile schon üblichen verächtlichen Äußerungen über die griechische Regierung. So heißt es, in Athen hätten "Giannis Varoufakis und die vulgärkeynesianischen Laienpriester vom 'Bündnis der radikalen Linken' ... die Arbeit mehrerer Jahre zunichtegemacht".[7] Wer jetzt noch Verständnis für die Regierung Tsipras aufbringe, sei ein "Griechenland-Versteher" [8] - analog zum "Putin-Versteher". Rolf-Dieter Krause, Leiter des ARD-Studios in Brüssel, nannte die Athener Regierung gestern in einer TV-Sendung die "Jungs von Syriza", die "Europa am Nasenring durch die Manege" führten. "Im letzten Programm waren Zugeständnisse drin, die die Bundesregierung nie machen wollte", sagte Krause und fuhr fort: "Ich habe nicht gedacht, dass die Griechen so blöd sind, das nicht anzunehmen. Wer so vorgeht, gehört zum Teufel gejagt."[9] Krauses Ausbrüche seien kein Einzelfall, hält ein Kommentator fest: "Diese kaum verhohlene Verachtung für Tsipras gibt eine verbreitete Stimmung wieder".[10]


Mehr zur deutschen Griechenland-Politik: Die Folgen des Spardiktats, Ausgehöhlte Demokratie, Wie im Protektorat, Nach dem Modell der Treuhand, Verelendung made in Germany, Austerität tötet, Todesursache: Euro-Krise, Kein Licht am Ende des Tunnels, Domino-Effekt, Europas Seele, Teutonische Arroganz, Die Bilanz des Spardiktats, Unter Geiern, Geschlossen unter deutscher Führung, Dringender Appell, Von Irrläufern, Zockern und Bürschchen, Die strategische Flanke und Austerität um jeden Preis.


Anmerkungen:

[1] Athen macht neuen Vorschlag zur Lösung der Krise. Frankfurter Allgemeine Zeitung 01.07.2015.

[2] Sebastian Jost: Bundesbank-Präsident Weidmann gegen Notkredite. www.welt.de 28.06.2015.

[3] Michael Martens: Vom Grexit zum Alexit? Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.06.2015.

[4] Berthold Kohler: Die Hoffnung auf den Schiffbruch. Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.06.2015.

[5] Athen bittet IWF um Verlängerung der Rückzahlungsfrist. www.tagesspiegel.de 30.06.2015.

[6] Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Bundeswirtschaftsminister Gabriel im Bundeskanzleramt, 29.06.2015.

[7] Michael Martens: Chaosverwalter. Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.06.2015.

[8] Berthold Kohler: Überreizt. Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.06.2015.

[9] "Zum Teufel mit der Griechen-Regierung". www.bild.de 30.06.2015.

[10] Frank Lübberding: "Das ist sowas von verantwortungslos". www.faz.net 30.06.2015.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2015

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