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ITALIEN/097: Renzis "Gute Schule" hat schlechten Ruf (Gerhard Feldbauer)


Renzis "Gute Schule" hat schlechten Ruf

Massive Kritik an Verabschiedung des Reformgesetzes

von Gerhard Feldbauer, 12. Juli 2015


Italiens Premier Matteo Renzi hat am 7. Juli im Parlament das heftig umstrittene und vor allem von den Gewerkschaften scharf kritisierte Buona Scuola (Gute Schule) genannte Gesetz über die Bildungsreform durchgebracht. Der Senat hatte bereits vor zwei Wochen zugestimmt. Die meisten der in der vorangegangenen Debatte gestellten Abänderungsanträge, wurden von der hinter Renzi stehenden Mehrheit abgeschmettert. Die Proteste der Lehrer und Schüler, die schon seit Wochen gegen die Misere im Schulwesen streikten und demonstrierten, hielten auch am Tage der Abstimmung im Parlament in Rom und vielen Städten an.

Für die Reform will der Premier zusätzlich etwa vier Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Da in den vergangenen 15 Jahren kaum etwas in die Bildung investiert wurde und die Ausgaben für Schüler bis 15 Jahren sogar um acht Prozent zurückgingen, halten die Kritiker das für völlig unzureichend. In OECD-Vergleichen gehörte das italienische Schulsystem zu den Schlechtesten in Europa. Bei der Wertung der Fähigkeit zum mathematischen Denken, der Schreib- und Lesefähigkeit lagen die Schüler in der letzten Pisa-Studie 2012 unter dem Durchschnitt.

Die Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore gab Universitätsprofessoren wider, dass die Schüler "immer schlechter vorbereitet an die Hochschulen" kämen. Die Produktivität des Schulsystems sei in den letzten Jahren ständig gesunken. In der Debatte habe eine Konzentration auf diese Fragen gefehlt. Zwar sei, wie La Repubblica berichtete, fast ein Jahr lang eine große öffentliche Befragung veranstaltet worden, an der 207.000 Lehrer, Schüler und Bürger sich zum Gesetzentwurf äußerten, aber von ihren Vorschlägen finde sich kaum etwas in dem Gesetz wieder. Forderungen nach einer generell höheren Qualität des Unterrichts und eine kollegiale Beteiligung der Lehrer daran, seien kaum erörtert worden. Laut OECD erhalten die italienischen Lehrer auch die niedrigsten Gehälter in Europa. Die Anforderungen an die Qualifikation sind deshalb gering. Wer keine andere Beschäftigung fand, nahm oft einen Job in der Schule an, meist mit befristeten Verträgen. Unter den derzeit 720.000 Lehrern sind insgesamt fast 150.000 schon seit Jahrzehnten als Zeitarbeiter angestellt. Ab 2016 sollen nur noch Lehrer mit einem abgeschlossenen Berufsstudium eingestellt werden.

Zur Sprache kam auch, dass nur 100.000 Lehrer ab 1. September einen festen Vertrag erhalten. In Palermo und Neapel verwiesen Plakate darauf, dass nichts getan werde, den Hunderttauenden Schülern, die im tiefsten Elend leben müssen, auch nur eine minimale Förderung in der Schule zu gewähren. Die Protestierenden forderten auch höhere Anforderungen an die Qualifikation, eine dementsprechende bessere Entlohnungen, die Reduzierung der Klassenstärken und dazu mehr Neueinstellungen. Scharf kritisiert wurde, wie die römische Repubblica berichtete, dass viele staatliche Gelder in die Finanzierung von Privatschulen fließen. Diese vor allem von der katholischen Kirche unterhaltenen Einrichtungen erhielten in den letzten Jahren 450 Millionen Euro. Die italienische Verfassung untersagt, öffentliche Gelder für private Bildungseinrichtungen auszugeben. Parallel wurde den Direktoren der staatlichen Schulen empfohlen, sich zur Verbesserung ihres Budgets private Sponsoren zu suchen. Die Vorsitzende der 5,8 Millionen Mitglieder zählenden CGIIL-Gewerkschaft, Susanna Camusso, ging scharf mit dem Premier ins Gericht. Er habe nichts unternommen, das "Grundübel der Finanzierung privater Schulen" auszumerzen. Die Politiker hätten nicht begriffen, dass sie "mehr in die öffentliche Schule investieren müssen". Schuldirektoren zu "allmächtigen Potentaten zu machen und weiterhin Privatschulen zu finanzieren" sei "die total falsche Richtung", die mit der Schulreform eingeschlagen werde.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2015

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