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ITALIEN/109: Italiens extreme Rechte bläst zum Sammeln (Gerhard Feldbauer)


Italiens extreme Rechte bläst zum Sammeln

Faschisten und Rassisten reagieren auf Bildung neuer Linksfraktion im Parlament

von Gerhard Feldbauer, 18. November 2015


Auf die Bildung einer neuen linken Parlamentsfraktion in Italien hat das seit dem Fall des Expremiers und Forza-Italia-Chefs Silvio Berlusconi gespaltene rechtsextreme Lager mit einem Appell zum Zusammenschluss reagiert. Rassisten und Faschisten zeigen damit, dass aus ihrer Sicht die Lage ernst ist. Aus Protest gegen den arbeiterfeindlichen Kurs von Premier Matteo Renzi haben aus dessen sozialdemokratischem Partito Democratico (PD) ausgetretene Parlamentarier und Senatoren die Bildung einer neuen linken Partei Sinistra Italiana (SI, Italienische Linke) eingeleitet - zusammen mit der Sinistra Ecologia e Libertà (SEL, Linke Ökologie Freiheit) und Abtrünnigen aus der Protestbewegung Fünf Sterne (M 5 S).

Italiens extreme Rechte scheint nun ihre Spaltung überwinden zu wollen. Auf einem Treffen mit dem Chef der rassistischen Lega Nord, Matteo Salvini, habe Berlusconi der "Inthronisierung" des Konkurrenten zum "Führer des Rechten Zentrums", wie das faschistisch-rassistische Lager verharmlosend genannt wird, zugestimmt, schrieb die linksliberale römische La Repubblica am 12. November. Damit gab der Mediendiktator seinen Führungsanspruch auf, den er seit Gründung der Forza Italia (FI) 1994 ausgeübt und nach seinem Rücktritt 2011 weiter vertreten hatte.


Vom Kapital fallen gelassen

Die Eckpfeiler des rechtsextremen Lagers bildeten 17 Jahre lang die FI, die aus der Mussolini-Nachfolgerpartei Movimento Sociale Italiano (MSI) hervorgegangene Alleanza Nationale (AN) und die auf Grundlage der Blut- und Bodenideologie des Hitlerfaschismus 1991 gegründete Lega Nord. Den Fall Berlusconis, der formal zurücktrat, hatte schließlich sein sinkender Einfluss nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Forza Italia bewirkt. Wählerumfragen hatten der FI, die zu den Wahlen 2013 noch knapp 30 Prozent erreichte, damals ein Absinken auf 13 Prozent vorausgesagt.

Im November 2011 waren führende Kapitalkreise wegen Berlusconis Verwicklung in Korruptionsaffären sowie seiner Mafiakontakte und Sexorgien zu der Auffassung gelangt, dass er als Regierungschef der internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise nicht gewachsen sei. Sie hatten ihn deshalb offensichtlich fallenlassen. Ausländische Medien berichteten ausführlich über die Kontakte des damals 74jährigen zu dem minderjährigen Escortgirl Karima El-Mahroug, genannt Ruby. Berlusconis faktischer Sturz war aber auch ein Ergebnis von Arbeiteraktionen, Generalstreiks und Massendemonstrationen in ganz Italien gegen seinen sozialen Crashkurs. Und sein Rückzug führte zur Spaltung des rechtsextremen Lagers. Nach einer Übergangsregierung aller Parlamentspar0teien - eingeschlossen Berlusconis FI, was dessen politisches Überleben sicherte, um ihn als Druckmittel gegen links in Reserve zu halten - fanden im Frühjahr 2013 Parlamentswahlen statt.


Strategiewechsel

Berlusconi erreichte mit fast 30 Prozent ein Patt: Er lag damit im Senat nur knapp hinter dem liberalen PD, einem Zusammenschluss der 1991 aus dem Partito Comunista Italiano (PCI) hervorgegangenen Democratici di Sinistra (DS, Linksdemokraten) mit der katholischen Zentrumspartei Margherita in sozialdemokratischem Outfit. Deren Chef wurde der derzeitige Premier Matteo Renzi, ein früherer rechter Christdemokrat. Eine Minderheit, die sich der Fusion verweigerte, bildete die Linkspartei SEL, die aber mit dem PD kooperierte. In der Abgeordnetenkammer kam der PD mit dem Siegerbonus jedoch auf eine Mehrheit von 340 der insgesamt 630 Sitze. Nach den Wahlen spaltete sich eine sogenannte "moderate" Fraktion in der FI unter Berlusconis Vize Angelino Alfano als Partei Nuovo Centrodestra (NCD, Neues Rechtes Zentrum) ab, mit der Renzi eine Regierungskoalition bildete und seine "Reform", die Auflösung des Senats als zweite Kammer, einleitete. Mit dem Chef des Unternehmerverbands Confindustria, Giorgio Squinzi, schloss Renzi ein Abkommen, in dem eine "Jobs act" "genannte Arbeitsmarktreform mit der Beseitigung grundlegender Rechte, zum Beispiel des Kündigungsschutzes, zugesagt und durchgesetzt wurde. Das zeigte den Strategiewechsel der führenden Kapitalkreise: Nachdem unter Berlusconi darauf gesetzt worden war, die Lohnabhängigen ausschließlich durch Repression niederzuhalten, kehrte man nun zum Setzen auf den Reformismus in der Arbeiterbewegungzurück. Diese Rechnung ging nicht auf und führte zur der Bildung der Sinistra Italiana.


Erste Kraftprobe

Die erste Kraftprobe wird im Frühjahr 2016 bei den Kommunal- und Bürgermeisterwahlen unter anderem in Rom und Mailand erwartet: In der Hauptstadt will Lega-Nord-Chef Salvini das Amt auf dem Campidoglio, das bis 2008 der AN-Faschist Govanni Alemanno inne hatte, für die extreme Rechte zurückerobern. Das werde, wie er ankündigte, das Signal sein, Renzi zu stürzen.

Der Hintergrund der Ereignisse verdeutlicht, dass die faschistische Gefahr fortbesteht und nicht zu unterschätzen ist. Während der Regierungszeit Berlusconis sind Kommunisten, Restsozialisten und Grüne aus dem Parlament vertrieben worden. Eine Linke, die diesen Namen verdient, schien nicht mehr zu existieren. Das scheint sich jetzt als eine Fehlkalkulation zu erweisen.

Frühere Kommunisten und Sozialisten im PD und die SEL waren nicht länger bereit, den arbeiterfeindlichen Kurs Renzis mitzumachen, und leiteten den SI-Gründungsprozess ein. Ihnen schloss sich eine Gruppe aus der M 5 S an, die den engstirnigen , anarchistisch beeinflussten Kurs ihres Parteigründers, des Starkomikers Beppe Grillo, nicht länger mitmachen will. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Rechtsallianz in der SI einen Gegner findet, der standfest bleibt und die entscheidende soziale Frage nicht aus den Augen verliert.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2015

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