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ITALIEN/111: Italien will Vermittlerrolle in Libyen übernehmen (Gerhard Feldbauer)


Renzi: Militäreinsätze keine Lösung

Italien will Vermittlerrolle in Libyen übernehmen

Von Gerhard Feldbauer, 16. Dezember 2015


Nach der Blockade der Fortsetzung der EU-Sanktionen gegen Russland hat sich Italiens Premier Renzi erneut quergelegt. Während des von Italien initiierten Libyengipfels am Wochenende in Rom, kritisierte er die Lösung der Konflikte durch Militäreinsätze und lehnte neue Beteiligungen ab. Rom will als frühere Kolonialmacht in Libyen zwischen den Bürgerkriegsparteien vermitteln. Italien unterhalte bis in die Gegenwart, wie das Nachrichtenmagazin Espresso schrieb, "besondere Drähte". Seit geraumer Zeit seien Unterhändler zwischen Rom und den Hauptstädten der beiden rivalisierenden libyschen Regierungen, Tripolis und Tobruk, unterwegs.


Gegen Deutschlands EU-Vormachtrolle

Renzi demonstriert ein weiteres Mal, dass er nicht gedenkt, die Rolle Berlins als EU-Führungsmacht hinzunehmen, sondern hier selbst Ansprüche geltend macht. Das Italien Renzis befinde sich mit der EU im offenen Kontrast, kommentierte La Repubblica, und es sei "der größte Kontrast, seit die Behörde in Brüssel besteht." Vor dem EU-Gipfel in Brüssel hat Italiens Regierung sich auch noch demonstrativ hinter die Pläne Großbritanniens für eine Reform der Union gestellt. "Italien und das Vereinigte Königreich sind sich einig, dass eine tiefgreifende Reform der EU nötig ist, die ihre Funktionsweise, ihre Verfahren und ihre Regeln vereinfacht, schrieben die beiden Außenminister Paolo Gentiloni und Philip Hammond in einem gemeinsamen Gastbeitrag für den britischen Telegraph am Dienstag.


Eingreifen der NATO in Libyen ein Fehler

In einem Interview für den Mailänder Corriere della Sera vom Sonntag, nannte Renzi, das Eingreifen der NATO in Libyen einen Fehler. Der Vormarsch des IS in Libyen und der anhaltende Bürgerkrieg dort seien das beste Beispiel dafür. "Was wir am wenigsten brauchen, sind weitere punktuelle Reaktionen ohne strategische Weitsicht." Der Libyen-Krieg sei eine Lehre. "Alles können wir uns erlauben außer einem zweiten Libyen". Auch zu der von der Konferenz Libyen aufgezwungenen Regierung "der nationalen Einheit" zeigte Renzi, wenngleich sein Außenminister zustimmte, Distanz: Natürlich müsse eine Einigung von den Libyern selbst getragen werden.


Kehrtwende

Damit hat Renzi eine Kehrtwende vollzogen. Noch im März hatte er eine Militärintervention in Libyen befürwortet. Allerdings patrouillieren italienische Kriegsschiffe vor der libyschen Küste, die die Offshore-Ölanlagen des staatlichen Energiekonzerns ENI sichern sollen. Zu den Folgen der NATO-Intervention gehört für Rom ein enorm angewachsener Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer durch Italien nach Norden, mit dem auch IS-Terroristen eingeschleust werden könnten. Nach den Terroranschlägen in Paris sei Renzi offensichtlich die Gefährdung Italiens klar geworden, so Beobachter. Von der Küste Libyens ist Sizilien nur etwa 500 Kilometer entfernt. Theoretisch befinde sich Italien damit in der Reichweite von Scud-Raketen.


Wirtschaftliche Fakten

Ebenso zählen die wirtschaftlichen Motive. Italien ist der größte ausländische Importeur von Öl und Gas aus Libyen. Die ENI fördert dort schon seit 1959 (damals ihr Vorläufer AGIP) Öl und ist als einziger ausländischer Konzern in Libyen geblieben. Das Erdgas kommt über die 516 km GreenStream-Pipeline vom libyschen Mellith nach Gela auf Sizilien. Ihre vorgesehene Erweiterung kam bisher durch die Kriegswirren nicht zu Stande.

Rom fühlt sich für eine Vermittlerrolle in Libyen besonders geeignet, da das Land bereits vor dem Ersten Weltkrieg und dann unter der faschistischen Diktatur italienische Kolonie war. 1911 wurden die Küstengebiete mit Bengasi und Tripolis des damals zum Osmanischen Reich gehörenden Tripolitanien und später die Kyrenaika erobert.


Ablenkung von der Krise in der PD

Nicht zuletzt lenkt der außenpolitische Erfolg von der anhaltenden Krise in Renzis Demokratischer Partei (PD) ab, in der eine linke Minderheit die Partei verlassen hat und mit der Partei Linke und Umwelt (SEL) eine neue Partei Sinistra Italiana (SI) gründen will. Im Frühjahr finden in vielen Großstädten Bürgermeisterwahlen statt. Die extreme Rechte will nach dem Wahlerfolg des Front National von Marine Le Pen mit ihrem neuen Führer, dem Chef der rassistischen Lega Nord, Matteo Salvini, das Votum wie in Frankreich zum Vorspiel für den Sturz des sozialdemokratischen Premiers machen. Renzi gedenkt, mit seinen außenpolitischen Erfolgen die Mehrheit der PD hinter sich zu bringen und mit seiner Ablehnung kriegerischer Lösungen nicht nur die Terroristen von Rom fernzuhalten, sondern sich eine Mehrheit der Wähler zu sichern.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2015

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