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ITALIEN/112: Rentnerelend in Italien (Gerhard Feldbauer)


Rentnerelend in Italien

Crescenzio Di Domenico aus Neapel: Unter der PD hat sich nichts verbessert, es wird eher noch schlimmer

von Gerhard Feldbauer, 24. Dezember 2015


Während Premier Renzi unaufhörlich verspricht, dass es allen besser gehen wird, sagt der vergangene Woche veröffentlichte Bericht des Staatlichen Amtes für Statistik (ISTAT) etwas anderes aus. Besonders schlimm ist die Lage der Rentner. 7,6 Millionen (45 Prozent) müssen mit weniger als 1.000 Euro im Monat auskommen. 2,4 Millionen (14,4 Prozent) erhalten sogar unter 500 Euro.

Was sich dahinter verbirgt, schilderte mir Crescenzio Di Domenico, einer von den zehn Millionen, der nach einem Leben harter Arbeit im Rentnerelend landete. Er wohnt in Neapel, wo die Durchschnittszahlen fast das Doppelte ausmachen. Zusammen mit seiner Frau muss der 67jährige mit 650 Euro im Monat auskommen. Dabei hat er schon als Jugendlicher gearbeitet. Aber da zahlte natürlich niemand Sozialbeiträge. Auch später sparten die Padrone sie oft ein. Meist arbeitete er auf dem Bau, später im Hafen, war einige Jahre arbeitslos. Die Miete für die kleine 2-Zimmerwohung am Stadtrand beträgt je nach Nebenkosten zwischen 350 bis 400 Euro. Dazu kommen Gas, Strom und Wasser. Sie leben in der täglichen Angst, dass das abgestellt wird, wenn sie nicht zahlen können. Sie wohnen im Hafenviertel, aber ohne Blick auf das Meer. Zum täglichen Leben verbleiben kaum 150 Euro. Jetzt kommt der Winter, der mit Heizkosten oder warmer Kleidung noch mehr Ausgaben bringt.

Da muss an allem gespart werden, zuerst am Essen.
Mittags ist es oft nur eine Brühe, Spaghetti, das Hauptnahrungsmittel, essen sie meist ohne ein Contorno (Beilagen). Das Kilo Fleisch kostet an die 20 Euro. Er schweigt und Scham klingt in der Stimme, als wäre es seine Schuld, dass das selten auf den Tisch kommt. Statt Aqua minerale trinken sie Leitungswasser, was bei den Abwasserproblemen oft gesundheitlich schädlich ist.

Jetzt zu Weihnachten ist es besonders deprimierend, denn sie haben zwei Söhne, denen es nicht viel besser geht, zum Glück haben sie gerade eine Arbeit. Nicht nur ihnen, auch den Enkeln möchte sie gern etwas schenken. Schon der so beliebte Panettone, der in Italien der Stollen ist, kostet einfach mit Rosinen das Pfund 5 Euro.

Sie wissen nicht, woher das Geld für Medikamente nehmen, die sie dringend bräuchten. Seit einem Schlaganfall hat Crescenzios ein gelähmtes Bein. Die therapeutischen Behandlungen sind von früher einmal monatlich, dann auf vierteljährlich und jetzt auf halbjährlich gesenkt worden. Schon für das Ausschreiben eines Rezepts verlangt der Dottore fünf Euro, dann kommen die Zuzahlungen in der Apotheke und bei Behandlungen. Eine Röntgenuntersuchung macht 30 Euro Zuzahlung. An eine Kur nach seinem Schlaganfall war nicht zu denken. Die Wohnung liegt in der ersten Etage. Noch schafft er es mit dem Stock die Treppe hoch. Trotzdem würde er schon gern in eine Parterrewohnung ziehen. Aber keine, wie man sagt, noch bezahlbare Wohnung findet sich. Seine Frau braucht einen Zahnersatz, der unerschwinglich ist. Denn trotz dieser Hungerrente gibt es keine Gebührenbefreiung. Bei allem lebt in er in der Furcht, einmal zuerst zu sterben und seine Frau allein zurückzulassen.

Die Fernsehgebühren belaufen sich auf 115,50 Euro jährlich. Um Strom zu sparen, wird der alte Apparat kaum angemacht. Er kann sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal im Kino waren, kostet die billigste Karte doch 12 Euro. Und sie müssten ein paar Stationen mit dem Bus fahren, das wären hin und zurück fast drei Euro für jeden. Mal in die Bar gehen, einen Espresso nehmen, mit Bekannten sprechen, ist ein unerschwinglicher Luxus.

Und es gibt Familien, denen es noch schlimmer geht. "Nun haben wir eine Regierung der Sozialdemokraten, die doch etwas ändern müsste. Aber sie verspricht das nur. Tatsächlich wird nichts besser, sondern es wird eher noch schlechter", schließt Crescenzio.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2015

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