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ITALIEN/142: Premier Renzi setzt Sonderkommissar für Wiederaufbau ein (Gerhard Feldbauer)


Premier Renzi setzt Sonderkommissar für Wiederaufbau ein

Neues Beben der Stärke 4,5

Von Gerhard Feldbauer, 6. September 2016


Während Mittelitalien im Gebiet des Apennin mit den Folgen des schweren Erdbebens vom 24. August konfrontiert ist, gab es in der Nacht zum 3. September dort in den Provinzen Umbrien und Ancona einen neuen Stoß der Stärke 4,5. Wie die Nachrichtenagentur ANSA meldete, verursachte das in vier Orten, darunter Rieti und Macerata jedoch nur einige Mauerrisse, aber keine Verletzten.

Zur Leitung der Arbeiten im Erdbebengebet, wo mehrere Orte völlig zerstört wurden, es fast 300 Tote, über 400 Verletzte und mehrere Tausend Obdachlose gab, hat Premier Renzi am Donnerstag einen Außerordentlichen Sonderkommissar, den früheren Präsidenten der Region Emilia Romagna, Vasco Errani, eingesetzt. Er ist, wie die römische La Repubblica berichtete, dem Premier direkt unterstellt und habe ihm laufend Bericht zu erstatten. Die Versuche der rassistischen Lega Nord und der faschistoiden Forza Italia (FI), mit Hilfe der an der Regierung beteiligten Partei Neues Rechtes Zentrum (NCD) des früheren Vize von Ex-Premier Berlusconi, Angelino Alfano, die Berufung des Politikers der regierenden Partito Democratico (PD) zu verhindern, scheiterten damit. Renzi beschränkte sich nicht auf eine persönliche Berufung, sondern ließ das Kabinett beschließen, mit den Stimmen der NCD einstimmig. Gegen die Berufung hatte sich auch die Protestbewegung M5S gewandt. Nach Zusammenkünften mit Bürgermeistern und Vertretern der örtlichen Behörden, erklärte der Sonderkommissar "Transparenz" und "Kontrolle" aller Maßnahmen zu den "obersten Prioritäten" seiner Arbeit. Es sei notwendig, aus den "Erfahrungen und Problemen" früherer Erdbeben zu lernen. Er sei nicht Vertreter der PD, sondern der "Institutionen", betonte Errani, der sich zur Zusammenarbeit mit allen Parteien bereit erklärte. Zur technischen Leitung des Wiederaufbaus steht ihm der international bekannte Architekt Renzo Piano zur Seite, der 2012 in London den "Shard", mit 310 Metern der höchste Wolkenkratzer Europas, baute. In den Wideraufbau ist die Antikorruptionskommission des Parlaments einbezogen, die u. a. die ordnungsgemäße Vergabe von Aufträgen kontrollieren soll. Wie die zuständigen Staatsanwaltschaften mitteilten, sind die Ermittlungen wegen nicht Einhaltung der seismischen Bauvorschriften auf 115 Gebäude ausgedehnt worden. Die Opfer der Katastrophe erfahren eine breite Solidarität, von der zirka 45.000 übermittelte SMS und Spenden von fast 10 Millionen Euro zeugen.

Da Erdbeben bis heute nicht vorausgesagt werden können, ist zentrales Problem des Wiederaufbaus, möglichst bebensichere Gebäude zu errichten. Die Kontrolle darüber soll, wie La Repubblica weiter informierte, als Leiter eines "Casa Italia" (Haus Italien) genannten Projekts, der Rektor des Polytechnikums von Mailand, Professor Giovanni Cazzone übernehmen. Die 1863 gegründete Universität, an der derzeit 73.000 Studenten eingeschrieben sind, zählt zu den führenden Lehranstalten Europas und Cazzone gilt als ein in Industrietechnologie und Architektur erfahrener Projektmanager, der schon für mehrere Regierungen gearbeitet hat. Renzi, der mit dem Experten vor seinem Abflug zum G20-Gipfel in China zusammentraf, und erklärte, diesem werde besonders "die Kontrolle der seismischen Kriterien beim Gebäudebau" obliegen.

Für den Wiederaufbau hat die Regierung sofort 700 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Jährlich sollen bis zu drei Milliarden Euro folgen. Die Höhe der Summe ist nach oben offen. Den Betroffenen der Katastrophe werden bis Ende 2017 alle Steuern erlassen. Die in Zelten untergebrachten Obdachlosen sollen bis Mitte September stabile Holzbungalows beziehen. Binnen sechs Monaten sollen für sie feste Wohnungen bzw. Häuschen erbaut werden. Wer das selbst durchführe erhalte einen Mietzuschuss bis 600 Euro. Während bisher die Opfer jahrelang in Notunterkünften, oft ohne sanitäre Einrichtungen, hausen mussten, würden mit der Realisierung dieser Ziele, so Beobachter, bisher nie gekannte Maßstäbe gesetzt.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2016

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