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ITALIEN/233: In Italien wütet der tägliche Rassismus und bedroht die Mehrheit der Gesellschaft (Gerhard Feldbauer)


In Italien wütet der tägliche Rassismus

Roberto Saviano: Er bedroht die Mehrheit der Gesellschaft

von Gerhard Feldbauer, 3. August 2018


Seit die Regierung der rassistischen Lega und der rechten Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) vor genau zwei Monaten ins Amt kam, wird Italien, wie das linke Manifesto einschätzte, von einer "schwarzen Flut" rassistischer Gewalt überzogen. Jüngstes Opfer war in der Nacht zum Sonntag in Aprilia in der Nähe von Latina bei Rom ein 43jähriger Marokkaner, der für einen Dieb gehalten wurde. Als er nach einer Verfolgungsjagd nach einem Aufprall aus dem Auto sprang, wurde er von zwei Italienern mit Fußtritten und Schlägen traktiert und verstarb. Am Montag wurde die Diskuswerferin mit nigerianischer Herkunft Daisy Osakue, für die Europameisterschaft in Berlin nominiert, bei Turin mit Eiern beworfen und verletzt. Sie musste mit einer Augenverletzung ins Krankenhaus.

Das linke Online-Portal DinamoPress schrieb, dass grundlegende, in der Verfassung verankerte Rechte auf Asyl eingeschränkt oder sogar regelrecht mißachtet werden. Es sei ein Prozess der Institutionalisierung des Rassismus im Gange, der schon unter der letzten Regierung Berlusconi einsetzte und auch von den folgenden der PD nicht aufgehalten wurde. Davon zeugt u. a., dass Innenminister und Vizepremier Matteo Salvini angewiesen hat, 136.000 Asylbewerbern nur noch ein Minimum an Unterstützung zu zahlen und ihnen den Zugang zu Integrationsmaßnahmen zu sperren. Die meisten warten in Aufnahmelagern seit zwei Jahren auf einen Bescheid. Dieses Schicksal droht rund 600.000 in Italien lebenden Migranten.

Mit dem Verbot der Anlandung von Schiffen mit Flüchtlingen, darunter auch von Nichtregierungsorganisationen und internationalen Missionen, in italienischen Häfen ist die Aufnahme von Migranten, die vor Krieg, Terror und Verfolgung fliehen, auf ein Minimum eingeschränkt worden. Um dem Verbot Nachdruck zu verleihen, ermittelt laut der Nachrichtenagentur ANSA die Staatsanwaltschaft von Trapani auf Sizilien gegen 20 Personen, die Flüchtlinge gerettet und nach Italien gebracht haben. Unter ihnen befinden sich Mitglieder der Organisationen "Ärzte ohne Grenzen" und "Save the Children". Zehn der Beschuldigten sollen zur Besatzung des Rettungsschiffes "Iuventa" des Berliner Vereins "Jugend rettet" gehören, das im Mittelmeer Flüchtlinge aufnahm.

Aber nicht nur die Aufnahme neuer Migranten soll verhindert, sondern im Lande lebende sollen vertrieben werden. So hat die Polizei der römischen Stadt-Regierung auf Weisung der Bürgermeisterin Virginia Raggi von M5S am Wochenanfang mit einem Aufgebot von 150 Polizisten begonnen, 350 Roma aus ihren Unterkünften am Camping River in der Via Piccirilli im Stadtteil Tiberina zu vertreiben. Das ist "eine schwerwiegende Verletzung der vom Strassburger Gerichtshof für Menschenrechte garantierten Freiheiten" zitierte der Mailänder Corriere della Sera den Präsidenten der Organisation "21. Juli" zum Schutz der Flüchtlinge, Carlo Statolla. Das geschehe, obwohl Italien gerade erst dem von der UNO verabschiedeten Migrationspakt beigetreten ist, der die Staaten dazu verpflichtet, Migranten in die sozialen Sicherungssysteme einzubeziehen.

Mit einem "Decreto sicurezza", einem sogenannten Sicherheitserlass, will Salvini die Verfolgung von Migranten kaschieren. In Italien "seien 30.000 in solchen Camps lebende Roma bedroht", schrieb Manifesto. Beabsichtigt sei weiter, in Rom 10.000 in besetzten Häusern lebende Personen, meist Migranten, zu vertreiben. Der wahre Grund sei, so Manifesto, den großen Immobilien-Besitzern ihre Rechte zu sichern.

Unter der Losung "gestern ausgerottet, heute diskriminiert" haben Sinti und Roma am Donnerstag vor dem Montecitorio (Sitz der Abgeordnetenkammer) in Rom gegen das unmenschliche Vorgehen ihre Stimme erhoben. Sie erinnerten an die 2.987 Frauen, Männer und Kinder des Zigeunerlagers von Auschwitz-Birkenau, die dort in der Nacht des zweiten August 1944 ermordet wurden. Das Gedenken gilt, wie es in ihrem Appell hieß, der "über einer halben Million unserer Brüder und Schwestern, die in den Vernichtungslagern Europas umgebracht wurden".

Der Schriftsteller und Antimafia-Kämpfer Roberto Saviano warnte vor dem Hintergrund der permanenten Krise des Kapitals vor dem demagogischen Manöver der Regierung der Rassisten und M5S, Migranten für die schwierige wirtschaftliche Lage, die Not und das Elend der Menschen verantwortlich zu machen. Diese Regierung bedrohe die Mehrheit der Menschen der Gesellschaft. Er appellierte an seine Freunde und Kollegen, an Journalisten, Dramaturgen, Sänger, Künstler und Wissenschaftler, diesem menschenfeindlichen Regime mutig entgegenzutreten und die Demokratie zu retten.

Der Rassistenführer reagierte mit einem Bekenntnis zum Diktator Mussolini und seinem Slogan "viel Feind, viel Ehr". Die Äußerung sei nicht zufällig am 29. Juli, dem Geburtstag des "Duce" gefallen. Mit dem Zitat aus der "Propaganda-Rhetorik Mussolinis" wolle der Innenminister und Vizepremier ein "klares Signal an die extreme Rechte senden", zitiert La Repubblica den Fraktionschef der Linkspartei Liberi e Uguali (LeU), Federico Fornaro.

La Repubblica widerlegte auch, dass die Behauptungen von Salvini und M5S-Führer Luigi Di Maio, hinter ihrem immigrantenfeindlichen Kurs stünde die große Mehrheit der Italiener, eine Lüge ist. Nach ihrem Bericht gelang es in der vergangenen Woche 66 kurdischen, syrischen und irakischen Flüchtlingen, darunter sechs Frauen und elf Kinder, unbemerkt am Strand von Sovereto auf der Insel Capo Rizzuto in Kalabrien zu landen. Die Badenden halfen den "völlig verdursteten und erschöpften Migranten, gaben ihnen zu essen und zu trinken und unterstützten ihre Bitte um Asyl".

Wer noch Illusionen hegte, der parteilose Premier Giuseppe Conte werde den Rassismus seines Innenministers zügeln, wurde mit dessen Besuch in Washington eines Besseren belehrt. Wie ANSA berichtete, nahm er wohlwollend Trumps Zustimmung zu seinem Regierungskurs entgegen, die der Chef des Weißen Hauses in die Worte kleidete "bin einverstanden, was du mit Migranten machst" und "viele andere Länder in Europa sollten dem Beispiel Italiens folgen". In Italien sagt man: "Dimmi con chi vai e ti dirò chi", was etwa dem deutschen Sprichwort "gleich und gleich gesellt sich gern" entspricht.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2018

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