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ITALIEN/253: Bürgermeister weigern sich, migrantenfeindliches Sicherheitsgesetz anzuwenden (Gerhard Feldbauer)


Bürgermeister Italiens weigern sich, Migrantenfeindliches Sicherheitsgesetz anzuwenden

Breite Solidarität zu aktivem Widerstand

von Gerhard Feldbauer, 8. Januar 2019


Laut der Nachrichtenagentur ANSA weigern sich zahlreiche Bürgermeister das von Innenminister und Vizepremier, Lega-Chef Matteo Salvini, eingebrachte Migrantenfeindliche und gegen die Verfassung verstoßende "Sicherheitsgesetz" anzuwenden. Zu ihnen gehören bekannte Linke wie Leoluca Orlando von Palermo, Luigi de Magistris von Neapel und Giuseppe Sala von Mailand. Es gehe nicht nur um die Haltung zu Migranten oder die Öffnung der Häfen für Schiffe mit Flüchtlingen, sondern um "die Bürger- und Menschenrechte für alle", verbreitete Orlando auf Facebook. Der Innenmister beziehe eine "umstürzlerische Position", die von einem "kulturellen Verfall" zeuge. "Heute beginnt es mit den Migranten und morgen folgen die anderen." Mit Bezug auf die faschistische Vergangenheit sagte Orlando, "solche Regimes haben in der Geschichte schon immer mit unmenschlichen Rassengesetzen angefangen, die als Sicherheitsgesetze getarnt wurden". Er kündigte an, gerichtlich gegen das Gesetz vorzugehen. Auch von der Basis der Fünf-Sterne-Partei (M5S), von der bereits bei der Abstimmung über das Gesetz mehrere Abgeordnete und Senatoren es abgelehnt hatten, gingen Proteste aus.

Auslöser war, dass das Gesetz noch vor den Weihnachtsfeiertagen mit beispielloser Brutalität gegen Flüchtlinge in Süditalien angewandt und dort etwa 39.000 Asylsuchende aus "Aufnahmezentren" vertrieben und auf die Straße gesetzt wurden. Die Gemeinden wurden angewiesen, für Flüchtlinge auch keine Kosten mehr zu übernehmen. Das bisher aus humanitären Gründen gewährte Aufenthaltsrecht wurde ihnen damit entzogen. Hinzu kam, dass Salvini wiederum zwei Schiffen der Organisationen Sea-Watch und Sea-Eye, die seit zwei Wochen mit 49 Flüchtlingen an Bord im Mittelmeer kreuzten, das Anlaufen italienischer Häfen verbot. Die Kapitäne bezeichnete er als "Komplizen von Schmugglern, Menschen- und Drogenhändlern".

Mit den Aktionen der Bürgermeister geht die Opposition gegen den faschistoid-rassistischen Kurs des Lega-Ministers, der mit dem Gesetz den Boden für die Vertreibung von fast einer halben Million Migranten, die er als "Illegale" bezeichnet, aus Italien bereiten will, von Protesten zum aktiven Widerstand über. Eröffnet wurde die Kampagne durch den Präsidenten der Regionalregierung der Toscana, Enrico Rossi, der erklärte, sich nicht "an Menschenrechtsverletzungen mitschuldig zu machen, die zur italienischen Verfassung im eklatanten Widerspruch stehen". Der unabhängige Linke, der früher der Demokratischen Partei (PD) angehörte, hat in seiner Region ein Gesetz vorgelegt, um denjenigen zu helfen, denen der humanitäre Schutzstatus aberkannt wurde. Wie ANSA am Montag berichtet, haben auch die Regierungschefs der Emilia-Romagna und des Piemont Schritte gegen das Gesetz angekündigt.

Salvini bekräftigte seinen verfassungsfeindlichen Kurs. "Ich werde nicht aufgeben", zitierte ihn ANSA mit der Aufforderung an die betreffenden Bürgermeister, "ihren Job zu machen oder zurückzutreten, wenn sie anderer Meinung sind". Er nannte die gewählten Repräsentanten der Gemeinden "Verräter" und "Illegale" und drohte seinerseits, mit allen Konsequenzen mit gerichtlichen Schritten "gegen alle, die dieses Gesetz verletzen" vorzugehen. Vize-Premier Luigi Di Maio von M5S schloss sich der Hetze an und diffamierte die "ungehorsamen" Gemeinde-Vorsteher als "Taliban-Bürgermeister". Die typisch faschistische Reaktion des Rassisten-"Duce" verstärkte die Proteste.

Vom kommunistischen Online Portal Contropiano über die antikapitalistische Potere al Popolo (PaP) und die Linkspartei Freie und Gleiche (LeU) bis zur linksliberalen römischen La Repubblica wurden die Bürgermeister solidarisch unterstützt. Die PaP-Sprecherin Viola Carafalo appellierte, den Flüchtlingen alle erforderliche humanitäre Hilfe zu gewähren. Von besonderer Bedeutung ist, dass sich der Nationale Verband der italienischen Gemeinden (ANCI) mit dem "zivilen Ungehorsam" der Bürgermeister solidarisierte. Die Vorsitzende, Carla Nespoli, forderte den Innenminister auf, "die Autonomie der Gemeinden zu respektieren". Die Bürgermeister rief sie auf, den diese Autonomie und "die humanitären Menschenrechte verletzenden Artikel 13 des Gesetzes nicht anzuerkennen".

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2019

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