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ITALIEN/255: Der Opfer des Holocaust gedenken - Mattarella warnt vor neuem Rassismus (Gerhard Feldbauer)


Italien gedachte der Opfer des Holocaust

Staatspräsident Mattarella appellierte, neuem Rassismus Einhalt zu gebieten

von Gerhard Feldbauer, 28. Januar 2019


In Italien haben am Sonntag, dem von der UNO zur Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Sowjetarmee am 27. Januar 1945 eingerichteten Tag des Gedenkens an die Millionen Opfer des Holocaust, in zahlreichen Städten Zehntausende Menschen der italienischen Opfer - Juden, Roma, Sinti und aller dem Faschismus zum Opfer Gefallenen - gedacht. 170 Veranstaltungen fanden allein in Rom mit Gewerkschaftern, Kommunisten, Linksdemokraten, Wissenschaftlern, Künstlern und Studenten statt, hunderte weitere von Mailand, Florenz und Bologna bis Neapel und Palermo.

Wie die Nachrichtenagentur ANSA berichtete, hat Staatspräsident Mattarella auf einer Gedenkstunde in seinem Amtssitz im Quirinalspalast appelliert, wachsam zu sein, da der "Shoah-Virus" sich anschicke zu erwachen. Er dürfte der einzige europäische Staatschef sein, der gegen das um sich greifende An-die-Macht-Drängen von Neofaschisten in zahlreichen EU-Staaten zum Widerstand aufruft. Mattarellas Rede richtete sich, wie linke Medien und Persönlichkeiten betonten, ohne Namensnennung eindeutig gegen Lega-Chef, Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini, der sich zu Mussolini und seinen Rassengesetzen bekennt und mit der Verfolgung von Migranten sowie Sinti und Roma einen rassistischen Kurs verfolgt, den die rechte Fünf-Sterne-Bewegung M5S von Luigi di Maio, ebenfalls Vizepremier, mitträgt. Der "tödliche Virus" verberge sich "in den Falten von Ideologien", in "dunklen Stereotypen und Vorurteilen" und sei bereit, erneut zuzuschlagen, sobald die Bedingungen wieder gegeben sind.

Mattarella appellierte, nicht gleichgültig zu sein und "das Böse zurückzuweisen". Er betonte, "wir Italiener haben eine moralische Pflicht", nicht nur "daran zu erinnern", sondern auch "ohne zu zögern und ohne Opportunismus jede Brutstätte von Hass, Antisemitismus, Rassismus, Negationismus, wo immer sie lauert" zu bekämpfen. Auch die Ausführungen über "die Wiederholung von Symbolen, Sprachen, pseudokulturellen Bezügen, alten und diskreditierten falschen Dokumenten, die auf lächerlichen Verschwörungstheorien basieren, sind Zeichen einer Vergangenheit, die keinesfalls zurückkehren darf und unsere entschlossene Reaktion erfordert", waren nicht zu übersehende Bezüge auf die gegenwärtige rassistische Hetze, in der Migranten für alle Übel der Gesellschaft verantwortlich gemacht werden.

Il Manifesto entlarvt die ungeheuerliche Heuchelei, dass Minister wie Salvini auf die antifaschistische Verfassung schwören und sich gleichzeitig zu Mussolini bekennen. "Diese Subkultur des Hasses ist fruchtbar noch", pflichtet das linke Blatt anknüpfend an Brecht dem Staatschef bei.

Zu der gängigen These, rassistischer Völkermord sei in Italien erst nach der Okkupation Nord- und Mittelitaliens im September 1943 durch Hitlerdeutschland betrieben worden, enthüllt Il Manifesto, dass bereits bei der Eroberung der Kyrenaika 1931 und Äthiopiens 1935/36 Hunderttausende Menschen dem Genozid zum Opfer fielen und dass in den von dem "Duce" schon zu dieser Zeit eingerichteten Konzentrationslagern Zehntausende umgebracht wurden. Auch der Präsident der jüdischen Gemeinden, Noemi Di Segni, wies diese Entstellung zurück und forderte, "die Verantwortung des italienischen Faschismus" klar aufzuzeigen.

Nach dem Überfall der Wehrmacht und der Bildung der sogenannten Salò-Republik Mussolinis wurde die Verfolgung der Juden forciert. Ein mobiles Kommando unter SS-Hauptsturmführer Theodor Dannecker, "Judenreferent" von Adolf Eichmann, begann mit der Jagd auf Juden und ihrem Transport in die Todeslager. Nach offiziellen Angaben wurden 46.000 italienische Juden ermordet. In Mailand brachte der SS-Hauptsturmführer Theodor Saevecke 2.000 Juden und Widerstandskämpfer aufs Schafott. Wie unzählige Nazi-Verbrecher kam er in der Bundesrepublik nicht nur ungestraft davon, sondern machte im BKA Karriere, wo der zum Vize-Chef der Sicherungsgruppe Bonn aufstieg. Die deutschen Behörden verweigerten die Auslieferung des in Italien zu lebenslanger Haft verurteilten Kriegsverbrechers.

Neben der "Endlösung" der Judenfrage wurde "die Lösung" des "Zigeunerproblems" durch die Vernichtung in den Konzentrationslagern Dachau, Flossenburg und vor allem Auschwitz betrieben. Über eine halbe Million Sinti und Roma fielen dem Völkermord zum Opfer. Der Antiziganismus, an den Salvini anknüpft und der sich heute gegen 120.000 bis 150.000 Sinti und Roma in Italien richtet, gehöre "zu den widerwärtigsten und niederträchtigsten Formen des Rassismus", schrieb Il Manifesto kürzlich.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2019

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