Schattenblick → INFOPOOL → EUROPOOL → POLITIK


ITALIEN/318: COVID-19 in Italien - Überraschung, Schreck, Verlauf ... 6.5.2020 (SB)



Die italienische Nachrichtenagentur ANSA kommentierte die gestrige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, derzufolge das Programm zum Ankauf von Staatsanleihen (PSPP - Public Sector Purchase Programme) der Europäischen Zentralbank (EZB) teilweise verfassungswidrig sei, mit den Worten, daß das höchste deutsche Gericht mit dieser "quantitativen Lockerung" eine Entscheidung getroffen habe, "die erhebliche Konsquenzen für die Entwicklung Europas aus der Coronavirus-Krise und die Bewältigung der enormen Schulden" haben könne.

Obgleich die aktuellen Corona-Hilfen der EZB nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde waren, könnte sich die Karlsruher Entscheidung auf die deutsche Haltung zur EZB-Politik auswirken. Wie es in dem Urteil hieß, seien "Bundesregierung und Deutscher Bundestag aufgrund ihrer Integrationsverantwortung verpflichtet, der bisherigen Handhabung der PSPP entgegenzutreten". Das Bundesverfassungsgericht urteilte, daß das 2015 von der EZB aufgelegte Anleihekaufprogramm durch die europäischen Verträge nicht gedeckt sei. Werde daran in den kommenden drei Monaten nichts geändert, dürfe sich die Deutsche Bundesbank nicht mehr an den Anleiheaufkäufen beteiligen. [1]

ANSA zufolge habe die Karlsruher Entscheidung zur Konsequenz, daß die EZB, die erst gegen die Deflation und den heutigen Lockdown-Schock gekämpft habe, nun keine Geldfinanzierung für Länder mit hoher Verschuldung mehr vornehmen werde. Der speziell einberufene EZB-Rat nehme die Entscheidung der obersten deutschen Richter zur Kenntnis, halte aber fest, daß die EZB weiterhin verpflichtet sei, "in ihrem Mandat alles Notwendige zu tun", um die Preisstabilität zu gewährleisten und daß sie dieses Ziel in allen Mitgliedstaaten zu erreichen habe.

Der Rat erinnerte die deutschen Richter auch daran, dass "der Gerichtshof der Europäischen Union im Dezember 2018 festgestellt hat, dass die EZB in ihrem Mandat handelt". ANSA zitierte den italienischen Finanzminister Roberto Gualtieri von der sozialdemokratische Partito Democratico (PD) mit den Worten, daß "das Urteil keine praktischen Konsequenzen haben wird", da es die grundlegende Legitimität der "PSPP" bestätigt und "in keiner Weise" die "Pepp" [2] betrifft.

Das Urteil habe jedoch dazu geführt, dass der italienische Spread auf 244 sprang. ANSA zufolge bestehe tatsächlich die Gefahr, daß "das Urteil Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit der EZB" habe. Die Worte des deutschen Finanzministers Olaf Scholz "verrieten Berlins Verlegenheit", so die Agentur. "Gerade in diesen Tagen, in denen wir aufgrund der Pandemie erhebliche Anstrengungen unternehmen, halten uns die einheitliche Währung und die gemeinsame Geldpolitik zusammen."

Und dann sei da noch die rechtliche Demütigung des Europäischen Gerichtshofs, dessen Urteil 2018 zugunsten der EZB von den deutschen Verfassungsrichtern als "nicht nachhaltig" beurteilt wurde. Das habe einen Sprecher der EU-Kommission veranlaßt, "den Vorrang des europäischen Rechts und die Tatsache, dass die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für alle nationalen Gerichte bindend sind", erneut zu bekräftigen.


Fußnote:

[1] https://www.tagesschau.de/eilmeldung/urteil-ezb-anleihen-101.html

[2] PEPP - Paneuropäisches Privates Pensionsprodukt (ein EU-Rahmenprogramm zur privaten Altersvorsorge)

6. Mai 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang