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ITALIEN/321: COVID-19 in Italien - Überraschung, Schreck, Verlauf ... 9.5.2020 (SB)



Wie die italienische Nachrichtenagentur ANSA am heutigen Samstag berichtet, hat Ministerpräsident Giuseppe Conte seinen monatelangen Widerstand gegen die Annahme von Hilfskrediten aus dem EU-Rettungsschirm, wie der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) häufig genannt wird, aufgegeben und in dieser Frage einer Vereinbarung mit der Eurogruppe zugestimmt. "Wir brauchen den Wiederherstellungsfonds", zitiert ihn die Agentur, denn wir "gewinnen oder verlieren alle".

In der nun getroffenen "Einigung" wurde eine Kreditlinie von 240 Milliarden Euro festgelegt, die ab dem 1. Juni den bedürftigen Staaten zur Verfügung stehen soll. Wie die Eurogruppe bestätigte, werde der ESM in der Lage sein, 2 Prozent des BIP zu nahezu Null für direkte und indirekte Gesundheits- und Präventionskosten im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie zu finanzieren. Italien stünden danach 37 Milliarden Euro zur Verfügung. "Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Krise sind gigantisch und dramatisch, wie europäische und internationale Wirtschaftsprognosen bestätigen. Daher muss Europa unverzüglich handeln, um mit der wirtschaftlichen Erholung zu beginnen", so die Eurogruppe.

Die entscheidende Herausforderung bestünde darin, das politische Signal des "Recovery Fund" in die Realität umzusetzen. Wenn "wir eine koordinierte europäische Reaktion auf der Grundlage von Solidarität, Mut und außergewöhnlichen Maßnahmen, die der beispiellosen Herausforderung begegnen, nicht schnell annehmen und umsetzen, steht das europäische Projekt selbst auf dem Spiel", argumentiert nun der italienische Ministerpräsident Conte.

Die Herausforderung in der aktuellen Krise sei "eine rechtzeitige und vollständige Erholung der miteinander verbundenen europäischen Volkswirtschaften, des Binnenmarktes - der eine grundlegende Säule der Europäischen Union darstellt - und der Wertschöpfungsketten, die das Herzstück der europäischen Industrie bilden. Wir alle sind voneinander abhängig und müssen uns alle aufeinander verlassen", wird Conte desweiteren zitiert. ANSA zufolge habe er zugleich aber auch die ESM-Maßnahmen als "unzureichend" bezeichnet, da sie nur "einen Bruchteil dessen ausmachten, was andere große Volkswirtschaften wie die USA für die Unterstützung ihrer Unternehmen und ihrer Familien ausgeben".

Wie Conte betonte, müsse das effektive Darlehen des "Recovery Fund" "auf den Märkten eine beträchtliche Größe haben - mindestens 1 Billion Euro -, um das Gesamtbudget der europäischen Antwort an die finanziellen Gesamtbedürfnisse der EU anzupassen". Die EU müsse den europäischen Bürgern eine klare Botschaft vermitteln und ihnen zeigen, daß sie eine gemeinsame Vision davon haben, was zur Überwindung der gegenwärtigen Krise und zur Förderung einer raschen Erholung auf dem gesamten Kontinent erforderlich ist", erklärte Italiens Regierungschef.

Eine ausreichende Vorabausstattung des Wiederaufbau-Fonds sei dringend erforderlich, um einen Teil der Ressourcen bereits bis zum zweiten Halbjahr 2020 vorwegzunehmen, weil der Fonds an den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen gebunden sein müsse. Es werde "von grundlegender Bedeutung sein, daß alle Mitgliedstaaten in vollem Einklang mit ihrer politischen Verantwortung sowohl für den Sanierungsfonds als auch für den mehrjährigen Finanzrahmen stehen", erklärte der Ministerpräsident. Weitere Verzögerungen würden in beiden Fällen "den Beginn einer vollständigen wirtschaftlichen Erholung gefährden", warnte Conte.

Außenminister Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Partei (M5S), die den Rettungsschirm bisher ebenfalls abgelehnt hatte, spricht nun "von einem qualitativen Sprung in den europäischen Ländern angesichts der schwersten Wirtschaftskrise in ihrer Geschichte". Finanzminister Roberto Gualtieri von der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) betonte zu der nun getroffenen Einigung, daß "keine zusätzlichen Bedingungen eingeführt werden" könnten.

Da der ESM-Vertrag vorsieht, daß der Fonds nur Kredite an Staaten vergeben darf, wenn daran strenge Bedingungen geknüpft werden, hatten sich Italien und andere Staaten zunächst geweigert, diese Hilfen in Anspruch zu nehmen. Gerade unter den Staaten an der Peripherie der Euro-Zone gelte der ESM als "Inbegriff von Souveränitätsverlust und Gängelung durch die reichen Nordländer". [1]

In einem von den zuständigen EU-Kommissaren Valdis Dombrovskis und Paolo Gentiloni noch vor der Sitzung der Eurogruppe am Freitag veröffentlichten Brief hatten diese klargestellt, daß die Corona-Krisenhilfen aus dem ESM "nur an geringe Bedingungen und Kontrollen geknüpft" sein sollen. [2] Die einzige Vorgabe solle sein, daß die ESM-Gelder verwendet werden, "um direkte und indirekte Gesundheitskosten in der Covid-19-Krise zu finanzieren; sowohl für die Behandlung als auch für die Vermeidung von Erkrankungen". [1]

Offenbar konnte das Mißtrauen des italienischen Ministerpräsidenten Conte und seiner Regierung durch diese Zusagen besänftigt werden. Allein der PD-Vorsitzende im Senat, Andrea Marcucci, stellte klar, daß die ESM-Hilfe "kein Geschenk" ist, sondern "geliehenes Geld, das unter bestimmten Bedingungen zurückgegeben wird, die in Brüssel und nicht in Italien festgelegt wurden". Mit diesen Bedenken steht Marcucci nicht allein. Lega-Chef Matteo Salvini ist ANSA zufolge "zusammen mit vielen italienischen Ökonomen weiterhin der Ansicht, dass der ESM ein gefährlicher und unsicherer Weg ist".


Fußnoten:

[1] https://www.welt.de/wirtschaft/article207827475/Corona-Hilfen-Italiens-Angst-vor-Europas-Milliarden.html

[2] https://www.rnd.de/politik/geringe-bedingungen-und-kaum-kontrollen-fur-corona-hilfen-aus-esm-NWCCNWTPVJGFEPYOQZU4TO7WJY.html

9. Mai 2020


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