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ITALIEN/322: COVID-19 in Italien - Überraschung, Schreck, Verlauf ... 11.5.2020 (SB)



Nachdem der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte unter dem Druck des Industriellenverbandes Confindustria sowie der von Matteo Renzi, dem Chef der von der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) abgespaltenen Partei Italia Viva (IV - Lebendiges Italien), angedrohten Regierungskrise der Annahme einer Kreditlinie im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zugestimmt hat, versucht EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni (PD) die Wogen zu glätten und den Kritikerinnen und Kritikern die damit vollzogene Kapitulation vor Brüssel schmackhaft zu machen.

Die italienische Nachrichtenagentur ANSA zitierte ihn am Montag mit den Worten, an die Kreditvergabe sei "keine Bedingung" geknüpft, die "über die Beschränkung hinausgeht, das Geld zur Deckung der direkten und indirekten Gesundheitskosten der Pandemie auszugeben". Demnach werde Italien Kredite in Höhe von 36 bis 37 Milliarden Euro bei einem nahe Null liegenden Zinssatz beanspruchen können. "Das Darlehen wird eine Laufzeit von 10 Jahren haben, was Einsparungen für die Staatskasse von mehreren Milliarden bringt", erläuterte Gentiloni und betonte, die ESM-Kreditlinien seien ein "Symbol für die unterschiedliche Art und Weise, wie wir der Krise begegnen".

Wie der EU-Wirtschaftskommissar ausführte, ohne Griechenland namentlich zu nennen, habe vor zehn Jahren ein Land in Schwierigkeiten diese Hilfe nur unter "drakonischen Bedingungen" erhalten, "während wir heute, da Europa mit einer gemeinsamen Krise konfrontiert ist, über ein zugängliches Instrument verfügen", den Ländern die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie erforderlichen Kredite "ohne Bedingungen" zur Verfügung zu stellen. Europa würde heute stärker in Erscheinung treten, so Gentiloni, weil es "die Ambitionen des Nationalismus, den Mythos des starken Mannes, entlarvt hat". Für den "populistischen Nationalismus" könne es "nichts Schlimmeres" geben als "die Zusammenarbeit zwischen Nationen" und deren "Fähigkeit, komplexe Situationen zu bewältigen", argumentierte er.

Wie Gentiloni ANSA zufolge einräumte, hätten die Länder jedoch sehr unterschiedliche finanzielle Rahmenbedingungen. Bis Ende 2021 werden sich "die Unterschiede nicht verringert, sondern verstärkt haben", prognostizierte er und räumte ein, daß das "eine besorgniserregende Tatsache" sei. Er warnte davor, wenn zu viele Ungleichgewichte und Unterschiede zwischen den Partnerstaaten im EU-Binnenmarkt sowie der Eurozone bestehen blieben. Mit der jetzigen Einigung sei zwar "ein Tabu" gebrochen worden, doch das reiche nicht.

Zum geplanten Sanierungsfonds für den Wiederaufbau nach der Corona-Krise erklärte er, er solle "innerhalb von zwei Wochen vorgestellt" werden und ziele darauf ab, "das Risiko übermäßiger Abweichungen im Binnenmarkt zu verringern". Dieser Plan müsse "so schnell wie möglich in Betrieb genommen" werden. Mit einer so wichtigen Finanzierung, die eine Mischung aus Subventionen und langfristigen Darlehen sein werde, dürfe nicht bis 2021 gewartet werden, versprach Gentiloni.

Ob es dem EU-Wirtschaftskommissar tatsächlich gelingen wird, mit diesen Erklärungen die keineswegs ausschließlich in Italien anwachsende kritische Haltung gegenüber der EU und ihrer Krisenpolitik zu entschärfen, ist fraglich. Wie es in der römischen Tageszeitung "La Repubblica" zur aktuellen Lage heißt, fühlen sich viele Menschen in Italien "immer weniger europäisch", sie sind von der Eurozone und ihrer Politik enttäuscht. Dieser Trend habe sich der Zeitung zufolge während der Corona-Krise "weiter verschärft" und so bestünde die Gefahr, daß Italien "an den Rand gedrängt werde".

11. Mai 2020


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