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BEITRITT/110: Kosovo - EU-Gelder veruntreut, Untersuchungen nicht geplant (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. September 2011

Kosovo: EU-Gelder veruntreut - Untersuchungen nicht geplant

von Stefano Valentino


Pristina, 8. September (IPS) - Die Europäische Union will in diesem Jahr weitere 70 Millionen Euro bereitstellen, um dem jungen Balkanstaat Kosovo dabei zu helfen, die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die EU zu erfüllen. Eine Klärung der Vorwürfe, wonach in den vergangenen zehn Jahren europäische Steuergelder veruntreut wurden, ist jedoch nicht vorgesehen.

Prüfberichte, strafrechtliche Erkenntnisse und Gerichtsverfahren wurden entweder behindert oder nicht ordnungsgemäß weiterverfolgt. Die EU-Rechtsstaatlichkeitsmission im Kosovo (EULEX), die seit 2008 beim Aufbau von Polizei und Justiz hilft, scheint überdies nicht bereit, größere und von den Gerichten angenommene Fälle weiterzuverfolgen.

Zwischen 1999 und 2008, als das Parlament des Kosovo die Unabhängigkeit des Landes proklamierte, pumpte die EU mehr als zwei Milliarden Euro in den Balkanstaat. Damit wurden Projekte der UN-Mission UNMIK zum Wiederaufbau und zur Staatenbildung nach dem Krieg finanziert. Der Betrag entspricht zwei Dritteln der gesamten Zuwendungen der internationalen Gemeinschaft für den Kosovo.


Undurchsichtiges Finanzgebaren

Die erhofften Fortschritte lassen allerdings auf sich warten. Armut und Korruption sind in der früheren serbischen Provinz verbreiteter als in den meisten anderen Ländern Südosteuropas. Diese Situation wird unter anderem auf das Missmanagement von Beamten, die die UN mit der Verwaltung der Gelder für die provisorische Regierung im Kosovo beauftragt hatte zurückgeführt. Nach bisherigen Erkenntnissen sind Untersuchungen dieser Missstände unter anderem daran gescheitert, dass die EU die Ausgaben von UNMIK nicht effektiv genug kontrolliert hat.

Hinzu kommt, dass UNMIK kurz vor der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo seine Justizabteilung Hals über Kopf geschlossen hat. Mutmaßliche Fälle von Veruntreuung von Geldern, die möglicherweise auf geheimen Absprachen zwischen internationalen und lokalen UN-Mitarbeitern beruhten, kamen damit nicht vor Gericht. Kurz darauf, im Sommer 2008, übernahm die Rechtsstaatlichkeitsmission der Europäischen Union im Kosovo (EULEX) die juristischen und institutionellen Kompetenzen von UNMIK.

"Wir verwiesen alle abgeschlossenen Fälle an die lokalen Gerichte und alle anhängigen Verfahren an eine Sonderbehörde für Strafverfolgung. Dies entsprach der Abmachung zwischen UNMIK und EULEX", erklärte die frühere Chefanklägerin bei UNMIK, Annunziata Ciaravolo.

"Wenn Ermittlungen nicht richtig vorangetrieben wurden und der Staatsanwalt am Ort entweder nicht willens oder in der Lage ist, Fälle neu aufzurollen, konnten die internationalen EULEX-Staatsanwälte einschreiten", sagte Kai Müller-Berner, Rechtsexperte in der Informationsabteilung von EULEX. Voraussetzung sei gewesen, dass die verfügbaren Beweismittel gründlich ausgewertet worden seien. Müller-Berner zufolge sind zurzeit von Dutzenden Verfahren, mit denen UNMIK-Ankläger zu tun hatten, nur noch zwei anhängig.

EULEX hat nur noch ein Jahr, um die Mission im Kosovo abzuschließen. "Wir werden die EU-Mitgliedsländer ersuchen, das EULEX-Mandat über Juni 2012 hinaus auszudehnen und neue Finanzmittel für Richter und Staatsanwälte bereitzustellen", sagte der Belgier Bart Staes, Leiter einer Delegation aus Europa-Parlamentariern, die im Juni den Kosovo besucht hatte. Die Mitglieder des Finanzkontrollausschusses des Parlaments wollten sich vor Ort einen Eindruck von den Bemühungen zum Schutz der EU-Finanzinteressen verschaffen.

Staes hält es für wichtig, dass genug Zeit vorhanden ist, um nicht abgeschlossene UNMIK-Verfahren hinsichtlich der Veruntreuung von Steuergeldern zu Ende zu bringen. Die von EULEX geführte Sonderbehörde für Strafverfolgung im Kosovo müsse klar darlegen, wie mit Fällen umzugehen sei, die von UNMIK nicht korrekt verfolgt worden seien, erklärte der Abgeordnete.


Europäischer Rechnungshof seit Jahren misstrauisch

Der Europäische Rechnungshof steht den Mitteilungen der Europäischen Agentur für Wiederaufbau, über die bis 2008 alle größeren EU-Zahlungen liefen, bereits seit 2002 skeptisch gegenüber. Inzwischen liegt die Zuständigkeit für Hilfsprogramme bei dem Verbindungsbüro der Europäischen Kommission im Kosovo.

Wie der Europäische Rechnungshof feststellte, lagen der Agentur für Wiederaufbau in Fällen, in denen UNMIK direkt für die Verträge zuständig vor, keine ausreichenden Begründungen für Ausgaben vor. Aufgrund unzureichender Informationen über den endgültigen Einsatz der Mittel sei man nicht imstande, die Rechtmäßigkeit der Zahlungen zu bestätigen, hieß es in einem Bericht. Der Rechnungshof will nun alle seit 2007 von der EU geförderten Projekte im Kosovo eingehend überprüfen.

Die EU unterstützte in dem Zeitraum in erster Linie öffentliche Versorgungsbetriebe. Die ehemaligen serbischen Staatsunternehmen wurden von internationalen Mitarbeitern der Treuhandgesellschaft 'Kosovo Trust Agency' geführt, die 2002 von UNMIK gegründet worden war. Gehälter und andere laufende Kosten wurden direkt von der Europäischen Kommission auf der Grundlage eines Rahmenabkommens mit den UN gezahlt.


Staatsfirmen können Verwendung von EU-Zuschüssen nicht belegen

2005 kam allerdings das Wirtschaftsprüfungsunternehmen KPMG zu dem Schluss, dass die staatlichen Unternehmen im Kosovo ihre Bücher nicht ordnungsgemäß führten. Damit waren diese Firmen besonders anfällig für Betrug. Ein Jahr später konnte der oberste Rechnungsprüfer für den Kosovo keinerlei Belege finden, wie diese Firmen die regelmäßig von der 'Kosovo Trust Agency' erhaltenen Mittel verwendet hatten.

Wie IPS aus dem kosovarischen Finanzministerium erfuhr, war unter anderem unklar, wofür 360.000 Euro von der Europäischen Agentur für Wiederaufbau verwendet eingesetzt worden waren. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.eulex-kosovo.eu/en/front/
http://www.unmikonline.org/pages/default.aspx
http://ec.europa.eu/enlargement/archives/ear/home/default.htm
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=104998

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. September 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2011