Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → POLITIK

ENTWICKLUNGSHILFE/038: Kürzung von EU-Hilfen an Länder mit mittleren Einkommen umstritten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. November 2011

Entwicklung: Kürzung von EU-Hilfen an Länder mit mittleren Einkommen umstritten

von Daan Bauwens

Sambia gilt jetzt als Land mit mittlerem Einkommen - Bild: © Ephraim Nsingo/IPS

Sambia gilt jetzt als Land mit mittlerem Einkommen
Bild: © Ephraim Nsingo/IPS

Brüssel, 2. November (IPS) - In ihrer viel gerühmten 'Agenda für den Wandel' hat die Europäische Kommission die neuen Prioritäten der EU-Entwicklungshilfe festgelegt. Danach soll sich die Zusammenarbeit künftig auf die Förderung des Wirtschaftswachstuns vor allem in den ärmsten Staaten konzentrieren. Internationale Hilfsorganisationen befürchten jedoch, dass nun die Entwicklungsländer mit mittleren Einkommen zu kurz kommen könnten. Auch die Rolle der Privatwirtschaft scheint vielen fraglich.

Die Europäische Union ist der weltweit größte Geber öffentlicher Entwicklungshilfe. Mit einem Jahresbudget von 53,8 Milliarden Euro steuerten die Europäische Kommission und einzelne Mitgliedsstaaten 2010 mehr als die Hälfte der globalen Entwicklungshilfe bei. Allein die EU-Kommission verwaltet und zahlt Entwicklungshilfe im Wert von elf Milliarden Euro aus.

Um die bisherigen Leistungen noch effektiver zu gestalten, organisierte die EU-Kommission im vergangenen Jahr mehrere Verhandlungsrunden mit Partnern, Regierungen, Akteuren des Privatsektors und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) weltweit. Daraus entstand die am 13. Oktober vorgestellte Agenda für den Wandel.

Das Dokument wurde eine Woche später, am 19. Oktober, auf einem Treffen von Interessensvertretern beraten. EU-Entwicklungskommissar Andris Pielbags bekannte sich zu der Verpflichtung des Staatenbundes, sich auf "nachhaltiges und inklusives Wachstum" zu konzentrieren. Dies bedeutet unter anderem Unterstützung für gute Regierungsführung, Menschenrechte und Demokratie, für die Gleichbehandlung der Geschlechter, die Förderung der Zivilgesellschaft sowie den Kampf gegen Korruption.


"Wirtschaftswachstum nicht das alleinige Mittel zur Armutsbekämpfung"

Die Agenda rückt außerdem sozialen Schutz, Gesundheit, Bildung, günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen, nachhaltige Landwirtschaft und saubere Energie in den Vordergrund. Die Bedenken der unabhängigen Organisationen richten sich vor allem gegen den Fokus auf das Wirtschaftswachstum.

"Im Grunde sagt uns die EU-Kommission, dass Wirtschaftswachstum ein Mittel zur Armutsbekämpfung ist", erklärte die Entwicklungsexpertin Laura Sullivan von der NGO 'ActionAid'. Wachstum sei zwar eine notwendige Bedingung, um dieses Ziel zu erreichen. Es gebe aber auch noch andere Wege.

"Nigeria hat Wachstumsraten, von denen Europa nur träumen kann. Zugleich gibt es dort eine der höchsten Armutsraten weltweit, weil die Ungleichheit so hoch ist", sagte Sullivan. "Hier sehen wir ganz deutlich, dass das Wachstum nicht bis zu den Allerärmsten gelangt."

Die EU-Kommission überlegt zudem, die Hilfen für Länder mit mittleren Einkommen zu kürzen. Die Weltbank legt durch ihre Entwicklungsindikatoren fest, wer zu dieser Gruppe gehört. In diesen Staaten lebt fast die Hälfte der Weltbevölkerung.

Laut Sullivan umfasst die Liste Schwellenländer wie Indien und China, aber auch Ghana, Kongo, Namibia, Sambia und Senegal. "Es ist wichtig, im Kopf zu behalten, dass 75 Prozent der ärmsten Menschen auf der Welt in Staaten mit mittleren Einkommen leben. Es besteht nun das Risiko, dass die Entwicklungshilfe für Länder reduziert wird, die sie noch brauchen", warnte sie.


Große soziale Kluft trotz hoher Wachstumsraten

Als Beispiel nannte Sullivan Sambia, wo zwei Drittel der Einwohner von weniger als zwei US-Dollar am Tag leben müssen. "Die Kluft zwischen Arm und Reich ist immens. Sambia wurde aber kürzlich zum Land mit mittlerem Einkommen erklärt. Was würde die neue EU-Strategie für das Land bedeuten? Wir fürchten, dass die Menschen leiden werden, wenn die Geldhähne über Nacht abgedreht werden", kritisierte Sullivan.

Die Leiterin des EU-Büros der Hilfsorganisation 'Oxfam International', Natalia Alonso, plädierte im Gespräch mit IPS dafür, Hilfen dort ankommen zu lassen, wo sie am meisten benötigt würden. Sie betonte, dass die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe in Ländern mit mittleren Einkommen aufgrund der dort vorhandenen stabilen Regierungsstrukturen am größten sei und einen wirklichen Wandel herbeiführen könne.

Pielbags Sprecherin Catherine Ray erklärte gegenüber IPS, dass die Entwicklungshilfe für Länder gekürzt werde, die sie nicht mehr benötigten. "Dies betrifft Schwellenländer wie Brasilien, Indien und China. Allerdings werden wir die Unterstützung nicht vollständig stoppen. Der Globale Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria wird von uns weiterhin Zuschüsse erhalten, ebenso wie Initiativen in Brasilien, Indien und China."

Bei den übrigen Ländern, die derselben Kategorie zuzuordnen sind, will die EU laut Ray prüfen, wer künftig noch auf Entwicklungshilfe angewiesen sei und wer eher von anderen Formen finanzieller Unterstützung profitieren würde. Die soziale Ungleichheit in dem jeweiligen Land und dessen Fragilität würden dabei berücksichtigt.


Stärkung von privatem Sektor auf lokaler Ebene nötig

Hilfsorganisationen sind jedoch besorgt über die schleichende Einflussnahme der Privatwirtschaft auf die Entwicklungshilfe. "Die Kommission wird öffentliche Gelder in den privaten Sektor pumpen, um mehr Zuschüsse zu generieren", meinte Sullivan. "Wir sind damit einverstanden, solange die Mittel kleinen und mittleren Unternehmen in den jeweiligen Ländern zugutekommen. Damit kann man das Leben der Menschen tatsächlich ändern. Viel zu oft haben wir in der Vergangenheit aber beobachtet, dass öffentliche Unterstützung über die Weltbank an ausländische Multis geflossen ist."

Auch Alonso äußerte starke Zweifel daran, dass eine Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor die Armutsbekämpfung fördern wird. Sie kritisierte, dass die EU-Kommission die spezifische Rolle privater Akteure nicht genau definiere. "Das vorderste Ziel des Kommissars muss es sein, einen lokalen privaten Sektor aufzubauen." (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0637:FIN:EN:PDFhttp://www.actionaid.org/?intl=
http://www.oxfam.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=105668

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. November 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2011