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INNEN/372: Grenzschutz statt Flüchtlingsschutz (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 38 - Frühling 2007
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Grenzschutz statt Flüchtlingsschutz
Deutsches EU-Präsidentschaftsprogramm

Von Karl Kopp


Am 1. Januar 2007 hat Deutschland die Präsidentschaft der Europäischen Union übernommen. Große Worte umwabern die programmatischen Fragmente: "Europa eine Seele geben", "Europa gelingt gemeinsam". Hinter den Fassaden sieht es jedoch so aus, als versuche man relativ unambitioniert über die Zeit zu kommen. Ganz besonders gilt das für das Thema Asyl und Einwanderung. 2006 war das Jahr mit der bislang höchsten Todesrate an den europäischen Außengrenzen und einem neuen historischen Tiefstand bei den Asylgesuchen. Nach Angaben der spanischen Behörden kamen 2006 circa 6.000 Flüchtlinge und Migranten auf dem Weg von Westafrika zu den Kanarischen Inseln ums Leben.

Die Dunkelziffer der Todesfälle an den europäischen Südgrenzen bleibt hoch. In Deutschland wurden 2006 rund 21.000 neue Asylgesuche registriert - der niedrigste Stand seit 1977. Insgesamt verzeichneten die 25 EU-Staaten 2006 weniger als 200.000 Asylanträge.


Hart an der Grenze

An den Rändern Europas spielen sich Dramen ab, die zeigen, dass die EU-Staaten bereit sind, elementare Menschenrechtsstandards aufzugeben. Im Juli 2006 wurden in Melilla drei Menschen bei dem Versuch, die Grenzzäune nach Europa zu überwinden, erschossen. Die Todesfälle an der spanisch-marokkanischen Grenze sind bis heute nicht aufgeklärt. Die Menschenrechtsverletzungen gehen weiter und Europa schweigt.

Griechenland steht weiterhin im Verdacht, im September 2006 Flüchtlinge ins Meer geworfen zu haben. Mindestens sechs Menschen starben, weil Beamte der griechischen Küstenwache, so die Aussagen Überlebender rund 40 Menschen, die sie vor der Insel Chios aufgegriffen hatten, ins Meer zurückstießen. An den östlichen EU-Außengrenzen wurden - nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit - tschetschenische Flüchtlinge von der Slowakei über ukrainische Internierungslager zurück in den Verfolgerstaat Russische Föderation abgeschoben. Die zentrale Frage ist: Findet eine Gemeinschaft von 27 Demokratien auf das Sterben an den Außengrenzen eine andere Antwort als militärische Abwehrmaßnahmen, die Auslagerung des Flüchtlingsschutzes und fortgesetzte Menschenrechtsverletzungen?


Restriktive Agenda

Sie bleibt bei der Lektüre des Programms der deutschen EU-Ratspräsidentschaft klar beantwortet: weiter so und mehr davon. Das von Innenminister Wolfgang Schäuble vorgelegte Programm folgt einer restriktiven Agenda und blendet Menschenrechte und Flüchtlingsschutz aus. Der Begriff "Schutz" taucht im Programm des Bundesinnenministeriums nur als "Schutz" der Außengrenzen auf - statt Flüchtlingsschutz Grenzschutz. Dem Kampf gegen die "illegale Einwanderung" wird alles untergeordnet. Gebetsmühlenhaft wird diese "zentrale Herausforderung" in jedem Kapitel als Bedrohungsszenario auf eine Stufe mit dem internationalen Terrorismus gestellt.

Mehr Grenzschutz, mehr Rückübernahmeabkommen und mehr gemeinsame Abschiebungen bilden die Schlüsselelemente auf Schäubles Agenda - Menschenrechte und Flüchtlingsschutz sind dagegen nur blinde Flecken. Auch der Datenschutz spielt keine Rolle:

Das Bundesinnenministerium plant, den Polizei- und Sicherheitsbehörden den Zugriff zu allen EU-Informationssystemen zu gewähren. Die Fingerabdrücke, die von allen Asylsuchenden über 14 Jahre in dem System EURODAC gespeichert sind, dienen bis jetzt ausschließlich dem Zweck, das zuständige Asylland zu bestimmen.


Fortsetzung der Komplizenschaft

Die deutsche Ratspräsidentschaft will den Ausbau der Europäischen Grenzagentur Frontex weiter forcieren. Frontex ist neben Europol ein Projekt, das maßgeblich von Deutschland initiiert wurde. Seit Mitte 2006 spielt Frontex bei den Abfangmaßnahmen weit vor den Toren Europas eine wichtige Rolle. Flüchtlingsboote werden im Zuge von Frontex-Einsätzen bereits in internationalen Gewässern aufgebracht und in afrikanische Transit- oder Herkunftsländer zurückverfrachtet.

Bei den "Out of Area"-Einsätzen wurden beispielsweise 3500 Flüchtlinge und Migranten zwischen August und Dezember 2006 auf dem Atlantik oder vor den Küsten Westafrikas aufgegriffen und nach Senegal und Mauretanien zurückgeschickt (Presseerklärung von Frontex vom 19. Dezember 2006). Wie die Grenzschützer im Frontex-Verband auf hoher See mit Schutzbedürftigen umgehen, stellt Frontex-Chef Oberst Ilkka Laitinen lapidar klar: "Das sind keine Flüchtlinge, sondern illegale Migranten." (Standard vom 21. Dezember 2006)

Tatsächlich haben wir unter deutscher Präsidentschaft eine Fortsetzung der Komplizenschaft mit menschenrechtsverletzenden Regimen zu rechnen. Das Stichwort heißt: "Externe Dimension der europäischen Migrations- und Asylpolitik". Extern wird zum Beispiel Libyens Gaddafi hofiert. Laitinen sprach vor kurzem bei einem Vortrag vor der Hans-Seidel-Stiftung völlig selbstverständlich über seine "libyschen Kollegen vom Grenzschutz". Stärker in den Blick wird unter deutscher Präsidentschaft die EU-Ostgrenze geraten. Die von Schäuble angestrebte "Partnerschaft für Migration und Entwicklung" mit der Ukraine dürfte den Versuch beinhalten, dort ein weiteres europäisches Zurückweisungsgebiet zu schaffen.

Die "externe Dimension" bedeutet aus Sicht der Innenminister die "Externalisierung des Flüchtlingsschutzes". Die Abschottung wird dabei immer weiter vorverlagert. Drittstaaten wie Libyen, Marokko, Mauretanien, der Ukraine etc. wird dabei in einer zynischen Arbeitsteilung eine Türsteherfunktion vor den Toren der "Festung Europa" zugewiesen.


Das alte Gastarbeitermodell in modernem Design

Neu ist höchstens, dass die Debatte um legale Einwanderungsmöglichkeiten nach Europa inzwischen auch bei Hardlinern angekommen ist. Unter dem Motto: Die Debatte wird eröffnet, aber die Grenzen bleiben dicht. Schäuble wirbt gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Nicolas Sarkozy für eine "neue europäische Einwanderungspolitik".

Neben der altbekannten Aufrüstung an den Grenzen gibt es eine ambivalente Botschaft an die Herkunftsländer von Migranten und Flüchtlingen: Wer nicht kooperiert, muss mit ernsthaften Sanktionsmaßnahmen rechnen. Für die Willigen gibt es vielleicht einen Nachschlag bei der Entwicklungshilfe und eventuell auch mal ein Einwanderungskontingent. Hier aber wird es vollends bigott. Das Papier wird als europäische Einwanderungskonzeption verkauft, aber es ist das Gegenteil. Man will eben keine gemeinsamen Einwanderungsstandards auf EU-Ebene, sondern es bleibt alles in nationalstaatlicher Verantwortung. Die Abwehr wird gemeinsam gestaltet, bei der Aufnahme gilt weiterhin das nationalstaatliche Solo.

Die Brüche dieses Konzeptes wurden bereits bei der Migrations- und Entwicklungskonferenz in Tripolis im November 2006 sichtbar. Kaum hatte Schäuble in einer Presseerklärung den afrikanischen Staaten die Konzeption einer "befristeten zirkulären Migration" in den Raum gestellt, machte er zwei Tage später deutlich, dass Deutschland nach seiner Ansicht ganz andere Probleme habe. Deutschlands Beitrag zum Modell der befristeten Einwanderungsquoten: Quote Null.


Aufgehübschte "Gastarbeiterpolitik"

Ganz so traurig muss man über das Nullsummenspiel nicht sein, ist doch die zirkuläre Migration nicht viel mehr als ein aufgehübschtes Modell der "Gastarbeiterpolitik". Was bereits vor Jahrzehnten gescheitert ist, die "Rotation" von Migranten, die ihre Arbeitskraft zeitweilig zur Verfügung stellen, sich aber nicht als ganze Menschen niederlassen dürfen, das wird nun als europäischer Ansatz gepriesen. Wie in Horrorfilmen sind manche politischen Leichen nie ganz tot.

So unterließ es denn Schäuble auch nicht, bei den ersten Erwähnungen seiner famosen zirkulären Migrationsthese wohlwollend Hans Filbinger, den früheren baden-württembergischen Ministerpräsident, zu zitieren - als den alten verkannten Propheten des "Rotationsmodells". Wer alles wird uns noch in dieser historischen Geisterbahn der Migrationen begegnen?

Zu fordern sind demgegenüber reguläre legale Einwanderungsmöglichkeiten und ein vernünftig ausgestalteter Flüchtlingsschutz in Europa. Schutzsuchenden ist der gefahrenfreie Zugang zum EU-Territorium und zu einem fairen Asylverfahren zu gewährleisten. Jegliche Kooperation mit Drittstaaten, in denen die Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht geachtet werden, ist einzustellen.

Solange die deutsche Ratspräsidentschaft die Themen Asyl und Einwanderung mit repressiver Politik, Terrorismusbekämpfung und organisierter Kriminalität in schändlicher Weise vermengt, wird es nicht möglich sein, eine ernsthafte und glaubwürdige Debatte über eine gemeinsame Einwanderungs- und Asylpolitik der Europäischen Union zu beginnen.

Karl Kopp ist Europareferent bei PRO ASYL, Frankfurt/M.


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 38 - Frühjahr 2007, Seite 12-13
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2007