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INNEN/397: Flüchtlingsabwehr an der Südgrenze der EU (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 42 - Winter 2008
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

EU Grenzregime
Die Flüchtlingsabwehr an der Südgrenze der EU
Nasser Tod, Lagerinternierung, Deportation in die Wüste

Von Hans-Georg Hofmeister, Flüchtlingsrat Niedersachsen


Bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen, müssen Flüchtlinge und MigrantInnen die stark gesicherten Außengrenzen der EU auf immer gefährlicheren und längeren Fluchtwegen überwinden. Dabei lassen Tausende Menschen ihr Leben. Aber auch diejenigen, die die "Festung Europa" erreichen, sind ständig von Repressionen und Abschiebungen bedroht.

Es ist zu konstatieren, dass die Migrationspolitik der Europäischen Union auf die massive Abwehr von Flüchtlingen ausgerichtet ist. Dies geschieht zunehmend in drei strategischen Räumen: in den Herkunfts- und Transitländern außerhalb der EU-Grenzen, auf den internationalen Seewegen und in den Staaten am südlichen und östlichen Rand Europas.


Die Türsteherfunktion der Transitstaaten in Nordafrika

Staaten wie Libyen, Marokko und Mauretanien nehmen in zunehmendem Maße eine Türsteherfunktion vor den Toren Europas ein. Die unerwünschten TransitmigrantInnen werden schon hier an der Einreise nach Europa gehindert und in ihre Herkunftsländer zurückgeschoben. Allein aus Libyen wurden 2006 über 50.000 MigrantInnen deportiert. Sie werden verhaftet und in Auffanglager unter menschenunwürdigen Verhältnissen interniert. Dabei sind schwere Verletzungen der Menschenrechte an der Tagesordnung. So wurden in einigen Fällen Flüchtlinge in der Wüste ohne Verpflegung ausgesetzt.

Die Flüchtlingsabwehr in den Türsteherstaaten wird durch die europäischen Staaten finanziell und organisatorisch unterstützt. Induktives Beispiel ist die Kooperation von Libyen und Italien: Italien liefert im Rahmen eines bilateralen Abkommen zur "Bekämpfung illegaler Migration" (2004) technisches Gerät und Material zur Grenzsicherung und finanziert außerdem Abschiebungsflüge und den Bau von mindestens 3 Auffanglagern. Mit der EU-Afrika-Konferenz in Rabat 2006 institutionalisiert sich ein euro-afrinisches Migrationsregime, in dem die strategische Rolle Nordafrikas im Kampf gegen "illegale Einwanderung und Menschenhandel" nach Europa gestärkt wird. Die afrikanischen Länder werden mit wirtschaftlicher und politischer Unterstützung für die Kooperation belohnt.

Hermetisch abgeschottet sind die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla in Marokko, die im Herbst 2005 Schauplatz eines Ansturms von Flüchtlingen waren, bei dem mindestens 14 von ihnen zu Tode kamen. Mit der Erhöhung der Zäune auf sechs Meter und dem Einsatz modernster Grenzsicherungsgeräte wird ein Überwinn dieses Hindernisses und das Erreien europäischen Territoriums über die Enklaven noch deutlich erschwert.


Riskante Fluchtwege: Mittelmeer und Atlantik

Die verschärfte Migrationsabwehr in den Türsteherstaaten, die weitgehende Abriegelung der Enklaven Ceuta und Melilla sowie die militärischen Grenzsierungsaktivitäten auf den Seewegen durch die EU haben dazu geführt, dass Flüchtlinge und MigrantInnen sich immer häufiger für risikoreichere und längere Fluchtwege entscheiden. So wählen MigrantInnen aus Westafrika (Guinea, Senegal oder Gambia), zunehmend die gefährlichere Route über den Atlantik zu den Kanaren, anstatt von Nordafrika über das Mittelmeer nach Spanien oder Italien zu gelangen. Auf den riskanten Überfahrten in seeuntüchtigen und überfüllten Booten ertrinken Tausende Menschen. Nach Angaben von FORTRESS EUROPE starben allein im Oktober 2007 mehr als 200 Personen vor den Kanarischen Inseln, 51 in der Straßen von Sizilien und Kalaien sowie 33 in der Ägäis zwischen der Türkei und Griechenland. Damit sind seit Beginn dieses Jahres 1.343 Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa umgekommen.

Auf den Seewegen des Mittelmeers und des Atlantiks werden die EU-Grenzen mit militärischen Mitteln gesichert. Diese Funktion wird von nationalen Kräften sowie verstärkt von FRONTEX (Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der EU) wahrgenommen. Flüchtlingsboote werden im Rahmen von FRONTEX-Einätzen in internationalen Gewässern, also außerhalb des europäischen Territoriums, gestoppt und in afrikanische Transit- und Herkunftsländer zurückgebracht. Die griechische Küstenwache ist für ihre Zurückweisungen auf See bekannt: Flüchtlingsboote werden mit für die Flüchtlinge lebensgefährlichen Manövern aus griechischen in türkische Gewässer abgedrängt.


Die strategische Rolle der EU-Staaten an der südlichen Außengrenze

Italien, Spanien und Griechenland nehmen in dem neuen europäischen Migrationsregime eine strategische Rolle ein, die durch die Dublin II-Verordnung noch verstärkt wird. Gemäß dieser Verordnung ist im Regelfall das Land für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, in dem ein Flüchtling Europa betritt. Ein Asylsuchender, der z.B. über Italien nach Deutschland gelangt ist, wird wieder in den südeuropäischen Staat zurückgeschoben. Dies trägt neben einer verschärften Asylgesetzgebung zu einer dramatischen Abnahme der Asylantragsstellungen in den früheren Hauptaufnahmeländer im Zentrum der EU bei.

Für Flüchtlinge sind die Chancen für den Erhalt eines sicheren Aufenthaltstatus in den südeuropäischen Ländern gering; gleichzeitig bleiben sie stets von ihrer Abschiebung bedroht. Griechenland beispielsweise wies im Jahr 2006 mit einer Schutzquote von 1,2% eine der niedrigsten Quoten in der EU auf. Da mit vielen Herkunftsländern Rückübernahmeabkommen bestehen, können Abschiebungen ohne größere Probleme durchgeführt werden. Nach Angaben der Flüchtlingsorganisation APDHA wurden aus Spanien allein in der Zeit vom 1. Januar bis 30. Oktober 2006 4.864 MigrantInnen in den Senegal und 4.864 Personen nach Marokko abgeschoben.

Kritisch zu beurteilen ist auch der Umgang mit den ankommenden Flüchtlingen und MigrantInnen. PRO ASYL (2007) dokumentiert in ihrer Recherche "the truth may be bitter, but it must be told" schwere Menschenrechtsverletzungen gegenüber Flüchtlingen in Griechenland. Scharf kritisiert werden die Inhaftierungspraxis und die katastrophalen Haftbedingungen. In der Regel erhalten alle an der Grenze aufgegriffenen Personen im Widerspruch zu der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem internationalen Flüchtlingsrecht eine Abschiebungsanordnung, da sie als illegal Eingereiste betrachtet werden. In der Praxis werden die Flüchtlinge auf Grundlage der Abschiebungsanordnung inhaftiert. Wie auch im Fall von Italien ist die Inhaftieng von unbegleiteten Minderjährigen belegt. Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erhielt die Repression gegenüber UnterstützerInnen. Am 8. April 2007 retteten zwei tunesische Fischerboote 44 afrikanische MigrantInnen bei Lampedusa aus Seenot. Wegen Beihilfe zur illegalen Einreise stehen die Fischer vor Gericht, durch das ihnen bis zu 15 Jahren Gefängnis drohen.


Fazit

Die strategischen Aktivitäten der Kontrolle der Migrationsbewegungen sind zunehmend aus dem Zentrum an die Grenzen der Europäischen Gemeinschaft und darüber hinaus verlagert worden. Damit sind der Ausbau militärischer Grenzsicherungsmaßnahmen, die Aushöhlung des Flüchtlingsschutzes und schwere Menschenrechtsverletzungen eng verbunden.


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 42 - Winter 2008, Seite 30-31
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität
in Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
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E-Mail: schlepper@frsh.de
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Der Schlepper online im Internet: www.frsh.de/schlepp.htm

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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2008