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INNEN/449: INDECT - "Traum der EU vom Polizeistaat" (guernica)


guernica Nr. 1/2010
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

INDECT: "Traum der EU vom Polizeistaat"


INDECT ist eine Abkürzung und steht für "Intelligent Information System Supporting Observation, Searching and Detection for Security of Citizens in Urban Environment" (Intelligentes Informationssystem, das Überwachung, Suche und Entdeckung für die Sicherheit von Bürgern in einer städtischen Umgebung unterstützt) INDECT ist ein Forschungsprojekt, das von der EU finanziert wird. Das Ziel von INDECT: Alle bestehenden Überwachungstechnologien sollen zu einem universellen Überwachungsinstrument gebündelt werden, um insbesondere im urbanen Bereich eine lückenlose Überwachung sicherzustellen und soziale Netzwerke im Internet auszuspionieren.

So gibt es etwa in London bereits mehr als eine Million offizieller Überwachungskameras, für die die Regierung 560 Millionen Euro ausgegeben hat. Aber es gibt nicht mehr ausreichend Polizisten, die all diese Bildschinne ernsthaft überwachen könnten. INDECT soll nun dabei helfen, das Auge des Gesetzes sofort im richtigen Moment auf den richtigen Monitor zu lenken, wenn sich etwas Gefährliches anbahnt. Was als "gefährlich" angesehen wird, muss vorher entsprechend programmiert werden. In Zusammenarbeit mit Sicherheitsorganen wurden u.a. folgende "Gefahrenquellen" identifiziert, die mit Hilfe von INDECT "proaktiv" erkannt werden sollen:

- "herumlungernde Personen"
- Personen, die "sich auffallend umsehen"
- "spontane Menschenansammlungen"
- "Menschen mit einer Dose in der Hand" (1)


Fliegende Kameras über den Städten

Ein weiteres Forschungsziel von INDECT sind fliegende Kameras, d.h. unbemannte "Drohnen", die in Zukunft die Städte in der EU überfliegen und umkreisen sollen, um die BürgerInnen nonstop auch noch im letzten Winkel polizeilich im Visier zu haben. Diese Rundumüberwachung ist den Strukturen der vernetzten Kriegsführung, wie wir sie von den Kriegsschauplätzen in Afghanistan oder Irak kennen, nachgebildet (2).


Ausspionieren sozialer Netzwerke

INDECT soll aber nicht nur der physischen Überwachung und Bespitzelung dienen, es soll auch die automatisierte Kontrolle des Internets und Mailverkehrs perfektionieren: d.h. Auffinden illegaler Downloadmöglichkeiten, Ausforschen von persönlichen Beziehungsnetzen - all das, was bislang mühselige Kleinarbeit von Menschen war, soll nun der Computer blitzschnell analysieren. INDECT rundet daher die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ab, mit der die Mitgliedsstaaten verpflichtet werden, sämtliche Telekommunikations-Verbindungsdaten zumindest ein halbes Jahr zu speichern - auf "Vorrat", d.h. ohne konkreten Verdacht oder Gefahr. Unter dem Vorwand der sog. "Antiterror"-Bekämpfung, wird zunehmend ein Überwachungsregime errichtet, das dazu dient, soziale Netzwerke auszuspionieren und den staatlichen Organen zugänglich zu machen.


Auch österreichische Unternehmen und Hochschulen beteiligt

Treibende Kräfte hinter diesen Projekten sind neben Staatsorganen auch eine entsprechende Sicherheitsindustrie. Am INDECT-Projekt arbeiten mehrere Universitäten mit privatwirtschaftlichen Unternehmen aus verschiedenen EU-Staaten zusammen. In Deutschland sind das die Firma Innotec Data GmbH die Bergische Universität Wuppertal, in Österreich die Fachhochschule Technikum Wien und die burgenländische Firma X-Art ProDivision.

"Die Zeit" (BRD) tituliert die INDECT-Pläne als den "Traum der EU vom Polizeistaat", in dem "Begriffe wie Unschuldsvermutung oder gerichtsfester Beweis" keine Bedeutung mehr haben (3).

Die Werkstatt Frieden & Solidarität erklärt dazu: "Einmal mehr erweist sich die EU als Instrument, die Orwell'sche (Horror-)Vision des 'gläsernen Menschen' in die Realität umzusetzen; Gerade der jüngst durchgepeitschte EU-Reformvertrag gibt den Machthabern zusätzliche Möglichkeiten zur Hand, solche Maßnahmen auf EU-Ebene voranzutreiben, ohne dass einzelne Staaten noch Vetomöglichkeiten dagegen haben. Wir fordern den sofortigen Ausstieg österreichischer Unternehmen und Forschungseinrichtungen aus diesen Orwell'schen EU-Projekten sowie die Nicht-Umsetzung der EU-Bespitzelungsrichtlinie zur Vorratsdatenspeicherung."


Quellen:
(1) http://futurezone.orf.at/stories/1631510/
(2) http://futurezone.orf.at/stories/1638815/
(3) http://www.zeit.de/digital/datenschutz/2009-09/indect-ueberwachung


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Quelle:
guernica Nr. 1/2010, Seite 13
Herausgeberin und Redaktion: Werkstatt Frieden & Solidarität
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Tel. 0043-(0)732/77 10 94, Fax 0043-(0)732/79 73 91
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2010