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INNEN/463: Integration inbegriffen (planet)


planet - ZEITUNG DER GRÜNEN BILDUNGSWERKSTATT # 63
Oktober 2010

Integration inbegriffen

Von Herbert Langthaler


Jahrelange Asylverfahren zermürben AsylwerberInnen. Wenn die Schutzsuchenden endlich als Flüchtlinge anerkannt werden, haben sie wertvolle Zeit verloren. Es geht auch anders.


Der reiche Norden glaubt sich von den weltweiten Migrationsbewegungen abschotten zu können und sich nur mehr die "Rosinen" in Form von hochqualifizierten Fachkräften aus dem globalen Arbeitskräfteangebot aussuchen zu können. Ob dies realistisch ist, und welche demokratiepolitischen und menschenrechtlichen Folgen eine solche Politik hat, erleben wir zurzeit wieder einmal in Österreich. Besonders unter den Abschottungstendenzen zu leiden haben jene, die keine Wahl haben, die ihr Land verlassen müssen, weil sie persönlich verfolgt werden, oder für die kriegerische Auseinandersetzungen eine lebensbedrohliche Gefahr darstellen: Flüchtlinge.


Wenige Flüchtlinge in den Industrieländern

Der Großteil der Flüchtlinge, ca. 8 Millionen, bleibt in den Herkunftsregionen, oft in überforderten Nachbarländern, die kaum Möglichkeiten für einen Neubeginn bieten. Wer sich auf den Weg in die reichen Metropolen des Nordens macht, riskiert sehr oft sein Leben. Das Resettlement-System, die organisierte Wiederansiedlung von Flüchtlingen in Aufnahmeländern - Integrationsprogramme inklusive - bietet hier eine Alternative. So nimmt zum Beispiel Kanada jährlich 10.000 Flüchtlinge auf diese Weise auf. Aber auch europäische Länder holen inzwischen direkt Flüchtlinge aus Camps in den Krisenregionen: In Schweden sind es jährlich ca. 1.900 und selbst Deutschland hat sich im Jahr 2009 entschlossen 2.500 Irakische Flüchtlinge direkt aus Syrien und Jordanien zu holen.

Während AsylwerberInnen, die sich mit Hilfe professioneller FluchthelferInnen nach Österreich durchgeschlagen haben, hier oft jahrelang auf den Ausgang ihres Verfahrens warten müssen oder überhaupt in ein anderes EU-Land zurückgeschickt werden, verlieren Flüchtlinge in Resettlement-Programmen keine Zeit und können sich umgehend mit dem Aufbau einer neuen Existenz im Aufnahmeland beschäftigen. Das Besondere an vielen Resettlement-Programmen, sei es in Kanada, Großbritannien oder Finnland: die Einbeziehung der Gemeinden und der Zivilgesellschaft.

In Finnland verpflichten sich Gemeinden, die Flüchtlinge aufnehmen, nach einer dreimonatigen Empfangsphase, in der ein Quartier gesucht wird, einen Integrationsplan zu erstellen, der bis zu drei Jahre dauern kann und mit der beruflichen Integration abgeschlossen ist. Die Gemeinden bedienen sich dabei der Hilfe von nationalen oder lokalen NGOs und Community-Organisationen. Die Kosten dafür werden vom Staat getragen, die Flüchtlinge bekommen in der Integrationsphase ein Taggeld, kostenlose (Sprach)Kurse und wenn nötig therapeutische Maßnahmen. Durch den engen Kontakt mit den Verantwortlichen der Gemeinde, aber auch mit ehrenamtlichen "PatInnen" oder "Buddys", zum Beispiel vom Finnischen Roten Kreuz, ist es für die Flüchtlinge leichter sich zu orientieren und in der neuen Heimat Fuß zu fassen.


Private Sponsorship

In Kanada geht die Einbeziehung privater UnterstützerInnen noch einen Schritt weiter: Neben einem staatlichen Integrationsprogramm gibt es die Möglichkeit einer privaten Sponsorship oder (wenn kostspielige medizinische Behandlungen notwendig sind) einer Kombination. Das private Sponsorship-Programm gibt den BürgerInnen die Möglichkeit, die humanitäre Kapazität Kanadas zu erweitern. Die Sponsorgruppen sind Vereine, Community-Organisationen oder kirchliche Gemeinden. Diese haben für die Dauer der Sponsorship die Aufgabe, alle Grundbedürfnisse der Flüchtlinge aus eigenen Mitteln zu decken. Jede Organisation, jeder Verband, jede Firma, die über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, kann Flüchtlinge sponsern. Die Sponsorgruppen können entweder selbst die Flüchtlinge bekannt geben, die sie unterstützen möchten, oder sich von der Regierung KlientInnen zuweisen lassen. Die Sponsorship-Verpflichtung dauert normalerweise ein Jahr oder solange, bis sich der Flüchtling selbst versorgen kann. In Ausnahmefällen kann ein Beamter der Einwanderungsbehörde beantragen, dass eine Sponsorship bis zu drei Jahren dauert.

Private Sponsorship benötigt keine öffentlichen Gelder, sondern nützt die Ressourcen von Glaubensgemeinschaften, ethnischen Gruppen, Familien und anderen Gemeinschaften. Das Programm ist auch ein wesentlicher Beitrag für die Verteilung der Flüchtlinge: Sie werden durch das Programm außerhalb von großen Ballungsgebieten angesiedelt, die BürgerInnen können auf diese Weise auch den Wunsch nach persönlicher und direkter Hilfe verwirklichen. Die Flüchtlinge profitieren sehr von der persönlichen Unterstützung durch die Sponsoring Gruppe. Das Private Sponsoring-System ist aber auch, wie Verantwortliche betonen, ein Garant für Diversität: Es ist nicht auf spezielle Länder beschränkt und kann eine dauerhafte Lösung für Flüchtlinge aus unterschiedlichen Regionen sein. Das Programm fördert damit auch Verständnis, Toleranz und Gastfreundschaft in den Gemeinden ganz Kanadas.

Die Europäische Union plant nun ein gemeinsames EU-Resettlement-Programm, in dessen Rahmen Mitgliedstaaten ihre Angebote koordinieren sollen. Für jeden Flüchtling sollen den Staaten 4.000 Euro aus den Mitteln des Europäischen Flüchtlingsfonds zur Verfügung gestellt werden. Die Teilnahme an dem Programm soll nicht verpflichtend sein. Österreichs Innenministerin Maria Fekter hat bereits bei den Beratungen im EU-Rat betont, dass sich Österreich nicht an einem solchen Programm beteiligen will.


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Quelle:
planet - Zeitung der Grünen Bildungswerkstatt # 63,
Oktober 2010, S. 7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. November 2010