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INNEN/501: Die Juncker-Kommission - eine "Regierung der Großen Koalition" (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 38 vom 19. September 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Der alte Kurs mit neuen Gesichtern
Die Juncker-Kommission - eine "Regierung der Großen Koalition"

von Georg Polikeit



Der neuen EU-Kommission biete sich eine außergewöhnliche Chance, "einen Neubeginn zu wagen", sagte Kommissionschef Jean-Claude Juncker, als er am 10. September die von ihm nominierte künftige EU-Kommission vorstellte.

Neubeginn - das klingt gut. Fragt sich nur, in welche Richtung?

Der "christlich-soziale" Juncker, bis 2013 luxemburgischer Regierungschef und Spitzenkandidat der rechtskonservativen "Europäischen Volkspartei" (EVP) bei der letzten EU-Wahl, war am 15. Juli von der Mehrheit des EU-Parlaments als neuer Präsident der EU-Kommission bestätigt worden.

Bei der Pressevorstellung pochte Juncker auf die "Kompetenz und Erfahrung" des von ihm geführten Teams, das ab 1. November 2014 die Barroso-Kommission ablöst. Zuvor müssen sich die Nominierten allerdings noch einer Befragung im EU-Parlament stellen, die für Anfang Oktober terminiert ist. Dann muss die Kommission in ihrer Gesamtheit noch die Zustimmung der EU-Parlamentsmehrheit bekommen. Die Abstimmung darüber ist für den 22. Oktober angesetzt. Große Schwierigkeiten bei dieser Prozedur scheint Juncker allerdings nicht zu erwarten.

Mit "Kompetenz und Erfahrung" hat der neue EU-Kommissionschef in gewissem Sinn recht. In der neuen EU-Kommission amtieren neun ehemalige Regierungschefs und 19 ehemalige Minister, sieben waren schon bisher EU-Kommissare. Sie alle haben in der Tat viel Erfahrung, nämlich bei der Durchsetzung einer neoliberalen Spar-, Sozialabbau- und Privatisierungspolitik, die sie in den letzten Jahrzehnten in ihren Ländern gegen Widerstände in der Bevölkerung praktiziert haben.

Juncker selbst war maßgeblich an der Abfassung und Umsetzung der EU-Verträge von Maastricht und Lissabon beteiligt, die die neoliberale Wirtschaftsdoktrin der "freien Marktwirtschaft" mit "unbehinderter Konkurrenz" als Grundlinie der EU-Politik festschrieben. Juncker gehörte zu den "Vätern" des EU-"Stabilitätspaktes" mit seinen rigiden Defizitregeln und "Schuldenbremsen". Und als Chef der "Euro-Gruppe" (bis 2013) war er führend an der Durchsetzung der Spar- und Privatisierungsdiktate der "Troika" in Griechenland, Portugal und anderen EU-Staaten beteiligt.

Die rechtskonservativen Parteien haben innerhalb der 28-köpfigen neuen EU-Kommission mit 14 Vertretern von Parteien der EVP und einem Abgesandten der britischen Konservativen die Mehrheit. Die Sozialdemokraten (S&D) kommen auf 8 und die Liberalen (ALDE) auf 5 Kommissare. Es handelt sich also um eine "Regierung der Großen Koalition" auf EU-Ebene unter Dominanz der Rechtskonservativen.

Von dieser EU-Exekutive zu erwarten, dass sie unter "Neuanfang" einen politischen Kurs verstehen könnte, der den Interessen und Forderungen der europäischen Bürgerinnen und Bürger besser als bisher gerecht wird, wäre pure Illusion und Selbsttäuschung. Wenn Juncker von "Neubeginn" spricht, meint er einen "Neubeginn" in die Richtung der verschärften Durchsetzung des bisherigen neoliberalen Kurses.

Allerdings sind sich die maßgeblichen EU-Führungskreise einschließlich Juncker angesichts der fortschwelenden Euro-Krise und des wieder schwächelnden Wirtschaftswachstums in der EU sowie der wachsenden EU-kritischen Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung offenbar bewusst, dass sie sich nicht mit einem einfachen "Weiter so" begnügen können. Deshalb versucht sich Juncker als "Neuerer" und gibt sich gelegentlich auch als "sozial engagierter" Politiker.

In den "Politischen Leitlinien", die er als Grundlage seiner Amtsführung veröffentlicht hat, werden politische "Schwerpunkte" benannt, auf die er die Tätigkeit der Kommission in den nächsten fünf Jahren konzentrieren will. Dazu gehört vor allem die Förderung von Wirtschaftswachstum und Investitionen in der EU, auch durch staatliche EU-Gelder. Damit sollen Anreize für mehr private Investitionen in die "Realwirtschaft" geschaffen werden. Als vorrangig benannt werden dabei u. a. der Ausbau des "digitalen Binnenmarkts" (schnellerer Datentransfer usw.), die "Stärkung" des EU-Energiemarktes und die Diversifizierung der Energiequellen einschließlich der Förderung erneuerbarer Energien im Namen des Klimaschutzes, aber auch die Förderung von Investitionen in Bereiche wie Automobilbau, Luftfahrttechnik, Raumfahrt, Maschinenbau, Chemie- und Pharmaindustrie. Durchgängiger Gesichtspunkt ist dabei aber die "Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit" der EU-Unternehmen im internationalen Konkurrenzkampf.

Zugleich verkündet Juncker aber auch deutlich, dass Wirtschaftswachstum "nicht auf der Grundlage ständig wachsender Schuldenberge" erreicht werden könne, also an den rigorosen Schuldenbremsen und Spardiktaten festgehalten werden müsse. Um mehr private Investitionen zu erreichen, müsse das "Investitionsumfeld" verbessert werden. Also Fortsetzung der "Reformen" zur Beseitigung aller Vorschriften, die von den Kapitalbesitzern als "Hindernisse" für ihre Gewinne bezeichnet werden (Kündigungsschutz, "starre" Tarifverträge, Sozialabgaben usw.). Wenn die Unternehmer auf diese Art bei Laune gehalten werden, werde das angeblich auch mehr Arbeitsplätze und Beschäftigung bringen, behauptet Juncker (obwohl das Gegenteil längst durch die Erfahrung der letzten Jahrzehnte bewiesen ist). Abbau der Arbeitslosigkeit und besonders der Jugendarbeitslosigkeit ist jedenfalls von Juncker nicht zu einem eigenen Schwerpunkt seiner "Leitlinien" gemacht worden.

Dafür gehört zu seinen Schwerpunkten aber ein "stärkeres Europa" mit "mehr Gewicht auf der internationalen Bühne" einschließlich mehr "gemeinsamen EU-Missionen in Krisengebieten". Anvisiert wird auch die "Vereinheitlichung der Migrationspolitik" mit verstärktem Kampf gegen "irreguläre" Zuwanderung und weiterer Abschottung Europas durch "Sicherung der EU-Außengrenzen" und Ausbau von "Frontex" bei Förderung "legaler Zuwanderung" der von den Unternehmern gewünschten gut ausgebildeten Fachkräfte. Bei der EU-Erweiterung soll es in den nächsten fünf Jahren allerdings eine Pause geben - statt dessen sollen die Ukraine, Moldawien und andere Staaten im EU-Umfeld durch "Assoziierungsabkommen" stärker an die EU gebunden werden.

Zur Durchsetzung der politischen Schwerpunkte hat Juncker auch eine Neuerung in der Struktur der EU-Kommission eingeführt. Unter seiner Leitung wird ein Team von sieben Vizepräsidenten geschaffen, die offenkundig mit mehr Rechten und Befugnissen als der Rest der Kommissionsmitglieder ausgestattet werden. Diese Vizepräsidenten sollen künftig jeweils eine "Projektgruppe" zu den benannten politischen Schwerpunkten leiten. Die restlichen EU-Kommissare werden je nach Geschäftsbereich diesen Projektgruppen "flexibel" zugeordnet. Den Vizepräsidenten wird eine "strategische Filterfunktion" übertragen: die einzelnen EU-Kommissare sollen künftig Projekte oder Gesetzesvorhaben nur noch auf die Tagesordnung der EU-Kommission bringen können, wenn sie dafür die Zustimmung eines Vizepräsidenten haben. Das ist eine deutliche Herabstufung der Rechte der einzelnen EU-Kommissare zugunsten einer Art von "Superkommission" innerhalb der EU-Kommission - ein weiterer Schritt zur Zentralisierung der Machtbefugnisse in der EU.


Die neue EU-Kommission: Kommissionspräsident und Vizepräsidenten

Kommissionspräsident: Jean-Claude Juncker (Luxemburg / Partei: EVP)

Erster Vizepräsident - Innenpolitik, Rechtsstaat: Frans Timmermans (Niederlande / Partei: SPE)

Vizepräsidentin - Außen- und Sicherheitspolitik: Federica Mogherini (Italien / Partei: SPE)

Vizepräsidentin - Haushalt und Personal: Kristalina Georgiewa (Bulgarien / Partei: EVP)

Vizepräsident - Digitaler Binnenmarkt: Andrus Ansip (Estland / Partei: ALDE)

Vizepräsidentin - Energiepolitik: Alenka Bratusek (Slowenien / Partei: ALDE)

Vizepräsident - Wachstum, Investitionen, Wettbewerbsfähigkeit, Arbeitsplätze: Jyrki Katainen (Finnland / Partei: EVP)

Vizepräsident - Währungsunion, Euro, sozialer Dialog: Valdis Domborvoskis (Lettland / Partei: EV)

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 38 vom 19. September 2014, Seite 7
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2014