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INNEN/519: EU-Türkei-Gipfel - Was zu tun wäre und was befürchtet werden muss (Pro Asyl)


Pro Asyl - Presseerklärung vom 6. März 2016

PRO ASYL zum EU-Türkei-Gipfel: Was zu tun wäre und was befürchtet werden muss


Anlässlich des am Montag beginnenden EU-Türkei-Gipfels fordert PRO ASYL, die Menschenrechtssituation in der Türkei, an der syrisch-türkischen Grenze und an den Grenzen Griechenlands und die Lage der Flüchtlinge in den Mittelpunkt zu stellen. Die Ereignisse der letzten Stunden zeigen: Es geht mit den Menschenrechten in der Türkei rapide bergab.

PRO ASYL-Geschäftsführer Günter Burkhardt warnt: "Das Erdogan-Regime ist kein vertrauenswürdiger Partner, wenn es um die Menschenrechte geht. Es darf keinen Rabatt auf Menschenrechte geben, weder für die Türkei noch für EU-Mitgliedsstaaten. Wenn die türkische Regierung eine Redaktion stürmen lässt und zugleich Vorwürfe laut werden, die türkischen Grenzschützer hätten neun syrische Flüchtlinge erschossen, muss die EU die Konsequenzen ziehen. Die EU muss die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei anprangern und die Verhandlungen mit der Türkei unterbrechen. Dies ist nur glaubwürdig, wenn sie selbst Menschenrechte respektiert."

In Bezug auf die Flüchtlingspolitik fordert PRO ASYL:

Öffnung der syrisch-türkischen Grenze für Flüchtlinge. Um die Türkei dazu zu bewegen, muss die EU ihre Bereitschaft erklären, vor der syrisch-türkischen Grenze festsitzende Flüchtlinge selbst aufzunehmen. Die systematische Praxis der Zurückschiebungen muss beendet werden, die schweren Menschenrechtsverletzungen gegenüber Flüchtlingen durch die Türkei müssen aufhören.

Resettlement aus der Türkei. In der Türkei befinden sich mehr als drei Millionen Flüchtlinge, in der um ein Vielfaches größeren und wirtschaftlich stärkeren EU nur rund ein Drittel davon. In großem Stil muss Resettlement, d.h., die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Türkei seitens der EU, aber auch von Staaten wie den USA organisiert werden. Das muss zusätzlich zur dringend nötigen Finanzhilfe vor Ort geschehen. Noch im vergangenen Herbst waren Zahlen von 500.000 Personen pro Jahr in der Diskussion. PRO ASYL kritisiert, dass vor dem Gipfel dazu keinerlei Signale aus EU-Kommission oder den Mitgliedsstaaten kommen.

Achtung der Menschenrechte an der EU-Außengrenze und keine Zurückweisungen in die Türkei. Das Zurückweisen von Flüchtlingen in einem koordinierten Vorgehen von NATO, Frontex und der griechische Küstenwache wäre glatt rechtswidrig. Die Türkei ist kein sicherer Drittstaat. Das ist das Ergebnis des am Freitag von PRO ASYL veröffentlichten Rechtsgutachtens.

Solidarische Flüchtlingsaufnahme in der EU. Griechenland ist nicht das Flüchtlingslager Europas. Dort ist weder ein Asylverfahren noch eine Versorgung für Zehntausende von Schutzsuchenden möglich. PRO ASYL kritisiert die Politik Österreichs und der Balkanstaaten als menschenverachtend. Die humanitäre Katastrophe muss abgewendet werden. PRO ASYL fordert das Ausstellen von Laissez-Passer-Papieren durch die EU-Staaten. Hier sind Deutschland, aber auch andere EU-Staaten wie Frankreich, Großbritannien und andere gefordert.

Was zu befürchten ist:

PRO ASYL befürchtet, dass nichts von dem humanitär und menschenrechtlich Gebotenen realisiert wird. Nationale Egoismen und die Angst vor rechtspopulistischen Wahlerfolgen verhindern in die Zukunft weisende Lösungsansätze. Stattdessen streiten die EU-Staaten nur noch darüber, wo die Grenzen mit wessen Zustimmung geschlossen werden sollen: zwischen der Türkei und Syrien oder zwischen der EU und der Türkei oder zwischen Mazedonien und Griechenland. Damit werden Flüchtlinge in eine ausweglose Lage gebracht. Die EU ist dabei, sich vom Flüchtlingsschutz zu verabschieden und dies während der größten Fluchtbewegung seit dem 2. Weltkrieg.

PRO ASYL fordert die Kanzlerin auf, zu einer Politik der Vernunft und der Menschenrechte zurückzukehren. PRO ASYL-Geschäftsführer Günter Burkhardt appelliert: "Es stehen Menschenleben auf dem Spiel. Das weltweite System des Flüchtlingsschutzes gerät ins Wanken. Wenn Europa aussteigt, schließen auch andere ihre Grenzen."

Eine Rückkehr zum Nationalismus im Bereich der Flüchtlingspolitik kann eine Ausstrahlung auf andere Politikbereiche haben. Die EU entwickelt sich zu Einzelstaaten, die mit Ellenbogenmentalität auf Kosten des Nachbarstaates versuchen, sich kurzfristige egoistische Vorteile zu erstreiten. Solch eine EU würde jegliche Glaubwürdigkeit verspielen, weltweit für die Menschenrechte als Grundlage des zivilisatorischen Zusammenlebens einzutreten. PRO ASYL erinnert die Bundeskanzlerin an ihre Regierungserklärung vom 27.06.2013: "Die Türkei ist ein wichtiger Partner. Doch unsere europäischen Werte der Demonstrationsfreiheit, der Meinungsfreiheit, der Rechtsstaatlichkeit, der Religionsfreiheit - die gelten immer! Sie sind nicht verhandelbar für uns!"

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Quelle:
Pro Asyl - Presseerklärung vom 6. März 2016
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2016

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