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SOZIALES/142: Ehegattennachzug - Mädchen, weißt du, was du da tust?" (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 129/Dezember 2010
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Mädchen, weißt du, was du da tust?"

Geschlechtsspezifischer Umgang mit dem Ehegattennachzug

Von Laura Block


Geschlechtsspezifische Diskurse sind für die Migrationspolitik von Bedeutung, insbesondere im Bereich des Ehegattennachzugs. Während in den letzten Jahren das politische und öffentliche Interesse an dieser Form des Zuzugs gewachsen ist, da es ein quantitativ wichtiger und zugleich schwer steuerbarer Einwanderungsweg ist, sind auch Rufe nach Initiativen zur Beschränkung laut geworden. Die Diskussionen rund um Zwangsehen und Scheinehen veranschaulichen, wie Gender eine Rolle bei der Formulierung und Umsetzung von restriktiver Migrationspolitik in Europa spielen kann.


In allen westlichen Staaten existieren Einwanderungsregelungen für Angehörige. In den meisten Fällen ermöglicht ein Land damit die Einreise der ausländischen Ehepartner und minderjährigen Kinder seiner Bürger und dauerhaft aufenthaltsberechtigter Ausländer. Viele wichtige internationale Menschenrechtsdokumente erkennen die Bedeutung von Ehe und Familie an. Auch viele nationale Verfassungen enthalten entsprechende Artikel, die die besondere Bedeutung der Familie und deren Schutzbedürftigkeit durch den Staat betonen. Darauf basiert auch die Politik der Familienzusammenführung: Der direkte Zugang zum Ehepartner und zur Familie wird als grundlegendes Menschenrecht und entscheidende Komponente des individuellen Wohlbefindens akzeptiert.

Seit einigen Jahren wächst jedoch die Besorgnis von Regierungen und Öffentlichkeit in Europa, wenn es um Familienmigration geht. Diese Sorge ist eng verbunden mit der Einschränkung legaler Migrationswege nach Westeuropa. Dies wiederum hängt sowohl mit wirtschaftlicher Stagnation und Arbeitslosigkeit in den 1970er Jahren als auch mit einer zunehmend fremdenfeindlichen Haltung der Öffentlichkeit zusammen.

Während die Gastarbeiter-Programme vieler europäischer Staaten in den 1970er Jahren endeten und die meisten anderen Möglichkeiten zur Arbeitsmigration ebenfalls eingeschränkt wurden, lief der Familiennachzug weiter und wurde zu einer der wichtigsten Einreisemöglichkeiten für Menschen aus Drittländern. Derzeit macht der Familiennachzug mehr als die Hälfte (53 Prozent) aller legalen Einwanderung in OECD-Länder aus, er ist damit die wichtigste Einreisekategorie - Tendenz steigend. Schon seit den 1990er Jahren war er der Hauptweg legaler Einreise nach Europa. Entsprechend heftig umstritten sind die Parameter des Familiennachzugs, die von den politischen Akteuren immer wieder neu verhandelt werden.

Angesichts seines Ausmaßes und der mutmaßlichen "Unproduktivität" dieser Einwandernden gilt der Ehegattennachzug zunehmend als ungewollte Form der Migration nach Europa. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy sprach sogar von einer immigration subie (etwa "erduldete Einwanderung"), die er in Kontrast setzte zu einer immigration choisie, der "erwünschten Zuwanderung" gut ausgebildeter und produktiver Menschen. Das alles führte in verschiedenen europäischen Ländern in den vergangenen Jahren zu einer eher restriktiven Politik beim Ehegattennachzug - eng verknüpft ist damit eine Dynamik, die für Männer und Frauen ganz unterschiedlich aussieht.

Da vor den 1970er Jahren die Ehegesetze vieler europäischer Länder nicht geschlechtsneutral waren, unterschieden sich auch die Zuwanderungs- und Staatsangehörigkeitsbestimmungen für ausländische Ehegatten je nach Geschlecht. Grundsätzlich ging man davon aus, dass Ehefrauen ihren Männern folgen, so dass die Einwanderung ausländischer Frauen ins Heimatland des Ehemannes vergleichsweise einfach war. Schwierig oder gar unmöglich war es, sich als binationales Ehepaar im Heimatland der Ehefrau niederzulassen.

Seit den 1970er Jahren machten Frauenrechtlerinnen auf nationaler und internationaler Ebene Druck, um der Geschlechterdiskriminierung ein Ende zu setzen; die Ungleichheiten im Umgang mit binationalen Ehen gehörten dazu. 1979 nahm die UN-Vollversammlung das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau an. Artikel 9 schreibt fest, dass die Unterzeichnerstaaten Frauen dieselben Rechte wie Männern gewähren müssen, was die Annahme, den Wechsel oder Erhalt der Staatsbürgerschaft und die Nationalität gemeinsamer Kinder angeht. Damit waren zumindest formell die meisten geschlechterdiskriminierenden Bestimmungen für binationale Eheleute ausgeräumt - auch wenn es in Großbritannien bis 1983 und in den Niederlanden sogar bis 1985 dauerte, bis Frauen mit ausländischen Ehepartnern das Recht hatten, die eigene Nationalität an die Kinder weiterzugeben.

Dennoch: Frauen und Männer in Europa sind heute zwar vor dem Gesetz gleich, was Heirat und Familie anbelangt, und haben das Recht, einen ausländischen Ehepartner ins Land zu bringen. Das Geschlecht spielt aber weiter eine wichtige Rolle, wenn es um den Ehegattennachzug geht. Die Debatten um Zwangsehen sind nur ein Beispiel dafür. Eine gesteigerte Sensibilität gegenüber Zwangsehen und daraus folgende Forderungen nach politischen Strategien zu ihrer Bekämpfung sind ein noch junges Phänomen. Die Diskussion um Zwangsehen kam erst Ende der 1990er Jahre richtig auf, verstärkt dann nach dem 11. September 2001, als die Debatten über die Gefahren von Zuwanderung, das vermeintliche Scheitern des Multikulturalismus und die notwendige Integration von Minderheiten immer lauter wurden.

Zwangsehen, die gern in Verbindung mit sogenannten Ehrenmorden diskutiert werden, gelten als zweifaches Problem: einerseits als extremer Ausdruck eines zutiefst archaischen Geschlechterverständnisses, welches überwiegend bei ethnischen (meist muslimischen) Minderheiten platziert wird. Andererseits gelten Zwangsehen - die dann in einem Atemzug mit "arrangierten Ehen" und "Kettenzuwanderung" genannt werden - als eine Praxis, die beständige Zuwanderung aus bestimmten Ländern mit sich bringt und angeblich zu sogenannten Parallelgesellschaften führt.


Binationale Ehen auf "Echtheit" getestet

Die meisten europäischen Länder bringen Zwangsehen in enge Verbindung mit dem Ehegattennachzug. Um Zwangsehen entgegenzuwirken und die weiblichen Opfer zu schützen, wird meist das Nachzugsrecht geändert. So haben viele europäische Länder ein Mindestalter für den Ehegattennachzug festgesetzt. In Belgien, den Niederlanden und Großbritannien sind das 21 Jahre, in Dänemark sogar 24 Jahre. Zudem führten einige Länder Mindestanforderungen für die Einreise von Ehegatten ein. Die Niederlande und Deutschland verlangen etwa einen Sprachtest, den die Nachzugskandidaten schon in ihrer Heimat absolvieren müssen; auch Österreich und Dänemark planen eine solche Regelung. Diese Anforderungen wurden explizit mit dem Ziel begründet, gegen Zwangsehen anzugehen. Denn es wird argumentiert, dass potenzielle Opfer sich mit verbesserten Sprachkenntnissen dem Druck ihrer Familien besser widersetzen können. Natürlich gelten die Alters- und Sprachanforderungen für Ehegattenmigranten beiderlei Geschlechts, gerechtfertigt wird diese Politik jedoch europaweit mit dem Schutz weiblicher Opfer vor dieser extremen Form geschlechtsspezifischer Gewalt.

Bei den sogenannten Scheinehen kommen auch geschlechtsspezifische Diskurse in Zusammenhang mit dem Ehegattennachzug ins Spiel. Scheinehen werden als "falsche" Ehen konzeptualisiert, deren einziges Ziel es ist, dem zuwandernden Ehegatten eine Aufenthaltsgenehmigung zu verschaffen. In ganz Europa existieren Kontrollmechanismen, um die "Echtheit" transnationaler Ehen zu überprüfen, sofern ein Anfangsverdacht auf Scheinehe besteht. Überprüft wird meist anhand von (Einzel-)Interviews mit den Eheleuten und durch Hausbesuche, um den Stand der Beziehung zu untersuchen. Die praktische Ausführung der Kontrollen kann dabei geschlechtsspezifisch ausfallen: Geschlechtsspezifische Stereotypen können nämlich bereits Einfluss darauf haben, welchen Paaren die Behörden gründlicher auf den Zahn fühlen und welche Rückschlüsse sie schließlich aus den gesammelten Informationen über das Paar ziehen. Es gibt die Tendenz, dass Behörden sich bevorzugt solche Paare näher anschauen, bei denen ein ausländischer Mann zu seiner Frau ziehen will - diese Form des Ehegattennachzugs gilt unausgesprochen oder auch explizit als "unnatürlich". Wenn ein Verständnis von "die Ehefrau folgt dem Ehemann nach" implizit als Norm gilt, dann sind Staatsbürgerinnen oder Ausländerinnen, die den Nachzug ihrer Männer aus Drittländern veranlassen, sofort stärker unter Verdacht als Ehemänner, die ihre Frauen nachkommen lassen wollen.

Abgesehen von tradierten Sichtweisen könnten auch politische Erwägungen bei dieser Form der Diskriminierung eine Rolle spielen: So zeigt die Rechtssoziologin Betty de Hart, wie die Scheinehe erstmals in den 1970er Jahren Debatten in Europa auslöste, nach Ende der Gastarbeiter-Programme also, und wie anfänglich ausschließlich einheimische Frauen mit ausländischen Männern im Zentrum des Interesses standen, weil diese männlichen Ausländer als Gefahr für den strapazierten heimischen Arbeitsmarkt wahrgenommen wurden. Dieser Mechanismus dürfte heute noch existieren, ungeachtet hoher Frauenerwerbsquoten.

Wie aber äußert sich diese latente Voreingenommenheit gegen den Nachzug ausländischer Ehemänner konkret? Aus de Harts Untersuchungen zu Paaren, die sich via Ehegattennachzug gemeinsam in den Niederlanden niederlassen wollen, geht hervor, dass ein Drittel aller Anträge von Niederländerinnen mit ausländischem Ehepartner in irgendeiner Form genauer untersucht wurde, weil die Behörden eine Scheinehe vermuteten. Bei Niederländern, die ihre ausländische Ehefrau nachholen wollten, waren es dagegen weniger als ein Fünftel.


Scheinehe-Verdacht ist rasch geweckt

Migrantenverbände berichten zudem, dass ein großer Altersunterschied bei einem Paar aus Behördensicht als "normaler" gelte, wenn der Mann älter ist als die Frau; im umgekehrten Fall sei rasch der Scheinehe-Verdacht geweckt. Weiter heißt es, Beamte hätten bei Einzelbefragungen einheimische Frauen wiederholt vor der Gefahr des Missbrauchs durch den ausländischen Ehepartner gewarnt. Besonders krasse Beispiele einer diskriminierenden sexistischen und rassistischen Haltung schließen folgende von de Hart und anderen dokumentierte Zitate von Behördenvertretern mit ein: "Mädchen, weißt du, was du da tust? Es sind fast alle Kriminelle, die bleiben drei Jahre bei dir wegen der Aufenthaltserlaubnis, und nach drei Jahren finde ich dich hier im Büro, weinend, weil er dich verlassen hat. Besser, du machst es nicht." - "Haben Sie es wirklich nötig, diesen Mann zu heiraten?" - "Selbst schuld, wenn Sie sich unbedingt einen Neger aussuchen mussten!" oder "So wie Sie aussehen, hätten Sie doch auch einen Deutschen kriegen können!"

Ein anderer Punkt, der die geschlechtsspezifische Wahrnehmung bei mutmaßlichen Scheinehen veranschaulicht, ist die Tatsache, dass sehr traditionelle Beziehungsmuster im Allgemeinen von den Behörden honoriert werden: Sie gelten nämlich als Zeichen einer "authentischen" Ehe. Dazu gehören ein rasches Zusammenziehen, baldige Familiengründung und die Bereitschaft der Frau, ihrem Ehemann in sein Heimatland zu folgen.

Zusammenfassend zeigt sich ein bizarres Muster: Im Diskurs um Zwangsehen werden liberale Ideale von der Gleichberechtigung der Geschlechter ins Feld geführt, die es angeblich durch restriktive Maßnahmen bei der Ehegattennachzugspolitik zu verteidigen gilt. Bei Scheinehen dagegen leben gewisse geschlechtsspezifische Vorurteile weiter. Diese nähren Argumente für ein restriktives Vorgehen gegen den Ehegattennachzug. Die Parallelen sind dennoch offenkundig: Der Prototyp des weiblichen Opfers, sei es das muslimische Mädchen, das von seiner Familie gegen seinen Willen zur Ehe gezwungen wird, sei es die Einheimische, die von einem jungen Ausländer in eine einseitige Scheinehe manövriert wird, weil dieser einen Job sucht oder vom Wohlfahrtssystem in Europa profitieren will, scheint eine exzellente Rechtfertigung für eine Beschränkung des Ehegattennachzugs zu liefern. Diese Restriktionen scheinen ein zunehmend wichtiges Ziel der Migrationspolitik in vielen europäischen Staaten zu werden.


Laura Block ist seit 2007 Doktorandin am European University Institute in Florenz, zuvor studierte und lehrte sie in Maastricht European Studies. Von September 2009 bis April 2010 forschte sie als Gast am WZB für ihre Dissertation zum Thema Ehegattennachzug.
laura.block@eui.eu


Literatur

Block, Laura: "Controlling Marriage to Control Migration - Revisiting the Notions of Marriages of Convenience and Forced Marriage". In: Jeroen Doomernik (Ed.): The Future of Migration Control. Amsterdam: Amsterdam University Press 2010 (im Erscheinen).

de Hart, Betty: "De Goede Lobbes en de Onbezonnen Vrouw. Gemengde relaties en het schijnhuwelijk". In: Migrantenstudies, Vol. 16, 2000, S. 246-259.

de Hart, Betty: "Der herzensgute Kerl und die unbesonnene Frau. Scheinehenhysterie und die Bilder von Männern und Frauen in binationalen Partnerschaften - das Beispiel Niederlande". In: Verband binationaler Familien und Partnerschaften (Ed.): Fabienne: Familles et Couples Binationaux en Europe. Abschlussbericht. Frankfurt a.M.: iaf e.V. 2001, S. 18-27.

Kofman, Eleonore: "Family-Related Migration: A Critical Review of European Studies". In: Journal of Ethnic and Migration Studies, Vol. 30, 2004, S. 243-262.

Schmidt-Fink, Ekkehard: "'So wie Sie aussehen, hätten Sie doch auch einen Deutschen kriegen können...'. Ergebnisse der Befragung binationaler Paare". In: Verband binationaler Familien und Partnerschaften (Ed.): Fabienne: Familles et Couples Binationaux en Europe. Abschlussbericht. Frankfurt a.M.: iaf e.V. 2001, S. 79-105.


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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 129, Dezember 2010, Seite 34-37
Herausgeber:
Der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
10785 Berlin, Reichpietschufer 50
Tel.: 030/25 49 10, Fax: 030/25 49 16 84
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2011