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SOZIALES/156: Slowakei - Mauer zur Ausgrenzung von Roma in der Europäischen Kulturstadt Kosice (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. August 2013

Slowakei: Mauer zur Ausgrenzung von Roma in der Europäischen Kulturstadt Kosice

von Pavol Stracansky


Bild: © Ingrid Hruba/IPS

Mauer in Michalovce im Osten der Slowakei
Bild: © Ingrid Hruba/IPS

Kosice, Slowakei, 26. August (IPS) - Die Europäische Kommission hat die Behörden von Kosice aufgefordert, eine Mauer niederzureißen, die als Bollwerk gegen die Roma erbaut wurde. In dem osteuropäischen Land gibt es bereits 14 solcher Absperrungen, von denen acht allein in den letzten vier Jahren hochgezogen wurden.

Das 30 Meter lange und zwei Meter hohe Konstrukt in Kosice, der derzeitigen Europäischen Kulturhauptstadt, existiert seit Juni. Errichtet wurde es nach Beschwerden von Einwohnern, die den in der Umgebung lebenden Roma Autodiebstähle und anti-soziales Verhalten vorwerfen.

Der Wall verstoße gegen das Menschenrechtsverständnis der EU-Länder, heißt es in einem Schreiben der Europäischen Kommission. Die Mauer diene allein dazu, Parkraum zu sichern, rechtfertigten sich die zuständigen Stellen. Für Aktivisten ist sie vor allem ein Symbol der Ausgrenzung und der Notwendigkeit, die Roma sozial zu integrieren.

"Mauern, wie sie in der Slowakei errichtet werden, sind nicht nur physische Barrieren, sondern auch psychologische Trennungslinien", warnt der Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für die Rechte der Roma (ERRC), Dezideriu Gergely. Sie machten jede Chance auf eine soziale Inklusion der Roma in die Gesellschaft zunichte.

"Es gibt noch weitere 13 Mauern, die ebenfalls weg müssen", betont Gergely. "Die Regierungen und Lokalbehörden müssen endlich Zeit und Energie in die Entwicklung funktionierender inklusiver Strategien investieren und jede Form der Segregation verhindern."


Politikern Untätigkeit vorgeworfen

Internationale Menschenrechtsorganisationen haben wiederholt gegen diese Sperranlagen protestiert, die entweder von Privatpersonen oder der öffentlichen Hand finanziert wurden. Den Politikern wird vorgeworfen, sich einerseits öffentlich gegen Rassismus und für die Rechte von Minderheiten zu äußern, ihren Worten aber keine Taten folgen zu lassen. Sie unternähmen nichts, um die Ausgrenzung der 400.000 slowakischen Roma und deren miserable Lebensbedingungen zu bekämpfen.

Wie in vielen anderen Teilen Osteuropas klagen auch die slowakischen Roma, die fast zehn Prozent der Bevölkerung stellen, über ihre systematische gesellschaftliche Diskriminierung. Aus einigen slowakischen Schulen sind Roma-Kinder de facto ausgesperrt. Sie werden in separaten Klassen unterrichtet.

Viele Roma fristen ein erbärmliches Leben. Das gilt auch für diejenigen, die jenseits der Mauer von Kosice zu Hause sind. Aus Medienberichten geht hervor, dass die Wälle wenig bewirkt haben. Angaben über die von Roma begangenen Delikte liegen nicht vor, da die Polizei kriminelle Handlungen nicht nach ethnischen Gesichtspunkten dokumentiert.

Sozial- und Menschenrechtsaktivisten zufolge sind die Bollwerke nicht nur wirkungslos, sondern schüren Vorurteile gegen die Roma und verstärken deren Ausgrenzung. Laco Oravec von der Anti-Rassismus-Organisation 'Milan Simecka Foundation' in Bratislava warnt vor der verheerenden und negativen Symbolkraft der Mauern, "die vor allem dort anzutreffen sind, wo inklusive Maßnahmen ausgeblieben sind und es Frust auf beiden Seiten gibt".

Die Roma-Politik zeichne sich vor allem durch Apathie und Ignoranz aus, sagen die Gegner. Es fehle an systematischen Integrationsbemühungen. Dass die Behörden von Kosice eine Roma-Siedlung auf der Grundlage von Umweltgesetzen geräumt haben, die die Häuser als kommunalen Müll klassifizieren, hat ihnen auch die Kritik des slowakischen Ombudsmannes eingebracht.


"Auch die Nicht-Roma haben es schwer"

Kosice ist berüchtigt dafür, dass sich in seinem Umfeld Roma-Siedlungen ballen. Häufig kommt es zu Konflikten zwischen den Behörden und den Bewohnern, deren Wasser-, Gas- und Stromversorgung oft mit der Begründung unbezahlter Rechnungen und Diebstähle gekappt wird. Die fortgesetzte Abwesenheit von Langzeit-Förderprogrammen hat die bestehenden Vorurteile der Nicht-Roma gegen die Roma in den Gebieten, in denen anti-soziale Verhaltensweisen ein Problem sind, verstärkt. Dazu meint Oravec vom ERRC: "Auch die Nicht-Roma haben es schwer. Sie sehen sich in solchen Situationen häufig als Zielscheibe krimineller Handlungen. Auch sie sind Opfer."

Bisher ist unklar, was mit der Mauer in Kosice geschehen wird. Der Stadtrat, der sie bauen ließ, beruft sich auf die jahrelangen Beschwerden der Einwohner. Da sie jedoch ohne Baugenehmigung errichtet wurde, könnte es durchaus passieren, dass sie entfernt werden muss.

Derweil hat Kosice die Europäische Kommission eingeladen, in die Stadt zu kommen und sich selbst ein Bild von den Problemen vor Ort zu machen, die durch die anti-sozialen Verhaltensweise von Teilen der Bevölkerung entstanden seien.

Gergeky wies darauf hin, dass Europa am 9. November den 24. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer feiern werde. Aus diesem Anlass sollten alle Mauern in Europa eingerissen werden, die die Roma vom Rest der Bevölkerung trennen. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.errc.org/
http://www.nadaciamilanasimecku.sk/
http://www.ipsnews.net/2013/08/roma-see-the-writing-on-the-wall/

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IPS-Tagesdienst vom 26. August 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2013