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AGRAR/089: Hunger - EU will bei Mangelkontrolle Führung einnehmen (SB)


Hunger, global

Frankreichs Agrarminister fordert Führungsrolle der EU bei der Sicherung der Nahrung


Eine "europäische Initiative zur Nahrungssicherheit" in der Welt, forderte der französische Landwirtschaftsminister Michel Barnier am Montag bei einem Treffen mit seinen EU-Amtskollegen in Luxemburg. Die Europäer sollten ihre Erfahrung und Kooperation mit den ärmsten Staaten verbinden, um ihnen zu helfen, ihre eigenen Produktionskapazitäten wiederherzustellen und eine Form von Nahrungsunabhängigkeit zu finden, meinte Barnier (AFP, 14.4.2008).

Solche und ähnliche Aussagen sind dieser Tage aus Brüssel und anderen westlichen Metropolen häufig zu vernehmen. Plötzlich scheint man zutiefst besorgt über den Hunger in der Welt, ganz so, als handele es sich um ein neuartiges Phänomen. Tatsache ist jedoch, daß die offizielle Zahl der Weltgetreidereserven seit Beginn dieses Jahrzehnts unaufhörlich geschrumpft ist, sich die Entwicklung also seit langem abgezeichnet hat.

Sowohl Barnier als auch EU-Handelskommissar Peter Mandelson als auch Weltbank-Präsident Robert Zoellick forderten in den letzten Tagen einen raschen Abschluß der Doha-Runde zur weiteren Liberalisierung des Welthandels. Bislang haben die Schwellen- und Entwicklungsländer verhindert, daß die Verhandlungen unter der Ägide der Welthandelsorganisation (WTO) zum Abschluß kommen, da die Industriestaaten auf ihrem Standpunkt beharren, daß die Märkte des Südens geöffnet werden müssen. In die gleiche Stoßrichtung führen auch die Verhandlungen der Europäischen Union mit den 77 AKP-Staaten über den baldigen Abschluß von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA).

In beiden Fällen wollen die Staaten des Nordens ihre geballte Kapitalmacht einsetzen, um die eigene geostrategisch vorteilhafte Position gegenüber der übrigen Welt für alle Zeiten festzuschreiben. Erst wenn eine Weltordnung geschaffen wurde, in der eindeutig bestimmt ist, wer für die Produktion zuständig ist und wer den Nutzen davon hat, kann das Projekt namens Liberalisierung als abgeschlossen gelten. Befreit werden sollen einige wenige Privilegierte von jeglicher Überlebensnot und sogar der Gefahr, daß ihre Vorteilsposition jemals in Gefahr gerät.

Aus diesem Grund ist Barniers Vorschlag für eine europäische Initiative zur Nahrungssicherheit in der Welt nicht so harmlos, wie er zunächst klingen mag. Er bedeutet nicht weniger, als daß der französische Landwirtschaftsminister damit einen Führungsanspruch der Europäischen Union bei einer weiter auszubauenden Weltadministration der Produktion und Verteilung von Nahrung reklamiert. Bereits heute existiert ein globales Gefüge aus Institutionen (u.a. Weltbank, IWF, WTO, Uno), das die gegenwärtige Ordnung - relativer Wohlstand im Norden, Armut im Süden - geschaffen hat.

Diese Ordnung soll auch in kommenden Zeiten der Not, gestürzter Regierungen und riesiger Migrationsströme der Hungerleidenden erhalten bleiben. Für diese Ära sollen schon jetzt die Weichen gestellt werden. Darum schicken Barnier, Mandelson und Zoellick ihren von Krokodilstränen begleiteten Hungerprognosen eilfertig die Forderung hinterher, daß die gegenwärtige Entwicklung mit Hungerrevolten in zahlreichen Staaten auf keinen Fall die Handelsgespräche beeinträchtigen dürfe. Mehr noch, perfiderweise wird ein erfolgreicher Abschluß sogar als Ausweg aus der Mangellage verheißen.

Mehr denn je ist die Kontrolle über Nahrung ein geostrategisches Machtinstrument. Aus dieser Erkenntnis heraus leitet sich die hohe Subventionierung der USA und EU ihrer jeweiligen Agrarsektoren ab. Mit Nahrungsmittelhilfe wird Geopolitik betrieben. Dazu paßt der Vorschlag Barniers, die gemeinsame Agrarpolitik der EU neu zu strukturieren und einen noch gar nicht so alten Trend zur Förderung eines nachhaltigen, möglichst umweltschonenden Wirtschaftens zu beenden und wieder zur früheren Subventionierung der Produktion überzugehen.

In den kommenden Wochen wird die EU-Kommission im Rahmen des "CAP health-check" (CAP = common agriculture policy; z. dt.: gemeinsame Agrarpolitik) über die französischen Vorschläge beraten. Ab der zweiten Jahreshälfte übernimmt Frankreich, das den größten Anteil an den Agrarsubventionen der Europäischen Union erhält, die EU-Ratspräsidentschaft für ein halbes Jahr und wird die Agrarpolitik zu einem Schwerpunkt machen.

Experten sind sich weitgehend einig darin, daß die Menschheit gegenwärtig den Beginn einer lang anhaltenden globalen Hungerkrise erlebt. Als US-Präsident George W. Bush vor einigen Jahren einen lang anhaltenden Krieg gegen Terrorismus ankündigte, hatten nur die wenigsten dies als Vorwand zur Durchsetzung des globalhegemonialen Projekts der USA und ihrer Verbündeten nach innen wie nach außen und als Vorbereitung auf die künftige globale Mangellage bei den meisten Überlebensressourcen erkannt. Der Zusammenhang liegt jedoch auf der Hand: Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird der Terrorismusbegriff auf Menschen angewendet, die nicht bereit sind, sich dem Hungertod zu überantworten, und die die bestehende Eigentumsordnung, welche bei den einen zu Hunger, bei den anderen zu Wohlstand führt, ignorieren. Diese Entwicklung müssen natürlich jene fürchten, die sich auf der Seite des Wohlstands befinden. Deshalb erlebt die Welt zur Zeit eine Welle an Warnungen über die Gefahr eines Zerfalls der vorherrschenden Ordnung.

16. April 2008