Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → REDAKTION

DILJA/003: Kein Ermittlungsinteresse an Mord und Organraub im Kosovo - Teil 3 (SB)


Erdrückende Hinweise im Marty-Bericht zu Mord und Organhandel im Kosovo bzw. in Albanien

Das Fehlen jeglichen Ermittlungsinteresses westlicher Institutionen wirft Fragen nach Mitwisserschaft und direkter Beteiligung auf

Teil 3: Die Forderung nach Beweisen entlarvt die EU


Im engen juristischen Verständnis kann die Recherche- und Aufklärungsarbeit des Marty-Teams nicht als Ermittlung bezeichnet werden, da ihm jegliche juristischen bzw. polizeilichen Kompetenzen fehlen. Diese "Ermittler" können weder Anklage erheben, sie können gegen den Willen Beschuldigter oder Verdächtiger keine Verhöre oder Durchsuchungen durchführen. Sie sind in ihrer Arbeit auf die Bereitschaft Betroffener und möglicher Informanten wie auch die Kooperation anderer Institutionen angewiesen, und so stellt die an Marty gerichtete Forderung, doch bitte "Beweise" für die in seinem Bericht erhobenen Beschuldigungen und Aussagen zu erbringen, weil die EU vorher nicht handeln könne, eine völlige und absichtliche Verdrehung der Tatsachen und Verhältnisse dar. An keiner Stelle wurde in dem Bericht aus der massiven Begrenztheit der durchgeführten Ermittlungsarbeit ein Hehl zu machen versucht. Er ist explizit von seinen Initiatoren und dem mit der Durchführung befaßten Team mit der Zielsetzung erstellt worden, offizielle Ermittlungen der zuständigen nationalen und internationalen Institutionen herbeizuführen, um nicht zu sagen einzufordern, weil nur diese Institutionen überhaupt in der Lage sind, die dem Marty-Team auferlegten rechtlichen Hindernisse zu überwinden.

Ausführlich werden in dem Bericht die nach wie vor von Clanstrukturen bestimmten Sozialverhältnisse im Kosovo beschrieben, um nachvollziehbar zu machen, wie extrem schwierig, um nicht zu sagen völlig unmöglich es ist, ohne einen umfassenden, verläßlichen und effizienten Zeugenschutz gerichtsverwertbare Zeugenaussagen gegen führende Persönlichkeiten des Kosovo zu bekommen. In dieser Hinsicht "Beweise" etwa in Gestalt belastbarer Zeugenaussagen von Sonderermittler Marty zu verlangen, stellt eine Verhöhnung dessen dar, was er in seinem Bericht dargelegt und womit er die mit großer Dringlichkeit erhobene Forderung nach einem effizienten und vertrauenswürdigen Zeugenschutzprogramm begründet hat. So sollen dem vorläufigem Resolutionsentwurf an den Europarat zufolge denn auch die Mitgliedstaaten der EU aufgefordert werden, alle erforderlichen Mittel für ein effektives Zeugenschutzprogramm bereitzustellen [7].

Da neben Zeugenaussagen jedoch auch Sachbeweise in Frage kommen könnten, um der seitens der EU an Marty gerichteten Beweis-Forderung nachzukommen, damit diese "handeln" könne, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, was mit den Proben, die von den Haager Ermittlern bei einer Vor-Ort-Untersuchung im Februar 2004 an einem der möglichen Tatorte, dem sogenannten "Yellow House" in Rripe in der Nähe des Ortes Burrel in Zentral-Albanien, sichergestellt wurden, geschehen ist. Laut Marty-Bericht [8] wurde diese Untersuchung gemeinsam vom Den Haager Tribunal (ICTY) und der UN-Verwaltung im Kosovo (UNMIK) in Begleitung eines Journalisten durchgeführt. Dem Bericht zufolge kann diese Untersuchung in forensischer Hinsicht nicht als professionell bezeichnet werden. Anwesende hätten berichtet, daß technische Regeln beim Probennehmen und bei den wissenschaftlichen Untersuchungen nicht im erforderlichen Maße berücksichtigt worden seien. Mitglieder der Familie K., die heute in dem Haus wohnen, in dem vermutlich Menschen getötet und ihrer Organe beraubt wurden, gaben zur Herkunft eines großen Blutflecks, der mit Luminol sichtbar gemacht werden konnte, einander widersprechende Erklärungsversuche ab.

Doch weder der Den Haager Gerichtshof noch die UN-Verwaltung im Kosovo (UNMIK) führten nach diesem Besuch weitere Untersuchungen durch. Auch die eigentlich zuständige albanische Staatsanwaltschaft blieb untätig. Der zuständige albanische Staatsanwalt versicherte der (albanischen) Öffentlichkeit ungeachtet der keineswegs alltäglichen kriminologischen Befunde und offensichlichen Widersprüche, daß der Besuch des ICTY-Teams keinerlei nennenswerte Ergebnisse zu Tage befördert hätte. Besonders erstaunlich bzw. aufschlußreich ist allerdings die Tatsache, daß die im Februar 2004 im "Yellow House" an einem möglichen Tatort genommenen Proben vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag (ICTY) selbst vernichtet wurden. Dieser Satz ist in forensischer und kriminologischer Hinsicht so ungeheuerlich, daß er hier, um etwaigen Zweifeln entgegenzutreten, noch einmal bestätigt werden soll.

Bestätigt haben ihn der gegenwärtige ICTY-Chefermittler, Serge Brammertz, wie auch dessen Amtsvorgängerin Carla del Ponte. Brammertz hatte in einem an den Europaratssonderermittler Dick Marty gerichteten Schreiben vom 17. Dezember 2009 bestätigt, daß die vom Tatort genommenen Proben, nachdem sie fotographiert worden waren, vom Gerichtshof vernichtet wurden. Warum? Carla del Ponte wußte darauf wohl auch keine Antwort, als sie gegenüber Marty im selben Jahr versicherte, daß die fraglichen Proben, die in den Archiven des ICTY hätten aufbewahrt werden müssen, zerstört wurden. Sie nannte dies, dem Marty-Bericht zufolge, "simply inconceivable" [9], was in deutscher Übersetzung einfach unbegreiflich, unfaßbar, undenkbar oder unvorstellbar bedeuten würde.

Tatsächlich unbegreiflich ist diese Beweisvernichtung natürlich nicht. Sie legt die Mutmaßung nahe, daß hier Seilschaften zwischen den möglichen Tätern und Verantwortlichen auf der einen Seite und der angeblich mit der Aufklärung dieser Verbrechen und der strafrechtlichen Verfolgung der Täter beauftragten internationalen Institution bestehen könnten. Wurden die furchtbaren Verbrechen im Kosovo bzw. im Norden Albaniens tatsächlich in Ausnutzung der damaligen Verhältnisse, sprich der Kriegs- und Nachkriegswirren, allein von Tätern verübt, die dem Klischee finsterster und brutalisiertester Balkan-Schlächter entsprechen, wäre eine so wundersame Fügung wie die Vernichtung belastender Beweise im fernen Den Haag sehr schwer zu erklären.

Der Begriff "Seilschaften" legt jedoch seinerseits die Annahme nahe, daß es im Den Haager Tribunal zwischen all seinen Amts- und Funktionsträgern ein oder mehrere "schwarze Schafe" gegeben haben könnte. Da dieser Gerichtshof jedoch in seiner ganzen Arbeit dem Interesse der westlichen Staaten, den NATO-Krieg gegen Jugoslawien begleitend bzw. nachträglich durch eine Dämonisierung der serbischen bzw. jugoslawischen Seite, einhergehend mit der Zuordnung eines Opferstatus' an die übrigen Kriegsparteien, zu rechtfertigen, kann nicht ausgeschlossen werden, daß auch in diesem Fall die Opportunität gegenüber den eigentlichen Herren und Damen des Tribunals oder auch schlichte Dienstanweisungen an die jeweiligen Chefermittler zu dieser für Carla del Ponte so "unbegreiflichen" Beweisvernichtung geführt haben könnten.

Del Pontes Nachfolger im Amt, Serge Brammertz, "löste" das Problem vor zwei Jahren auf seine Weise. Nachdem die Hinweise und Vorwürfe infolge der Buchveröffentlichung del Pontes publik geworden waren und der Gerichtshof sich mit der Frage konfrontiert sah, in diesem Fall selbst tätig zu werden, erklärte eine Sprecherin des Chefermittlers am 16. April 2008, daß dessen Ermittlungen keine Hinweise auf einen Organhandel-Ring unter Beteiligung führender Kosovo-Politiker ergeben hätten und daß es "nach intensiven Ermittlungen" keine "substantiellen" Hinweise gäbe, die eine Einschaltung des Den Haager Tribunals erlaubten [10]. Nicht erst heute, sondern bereits im Frühjahr 2008 stand der Gerichtshof angesichts dieser Haltung in einem denkbar schlechten Licht. Zum Zeitpunkt dieser Stellungnahme der Sprecherin Brammertz' war nämlich die Parlamentarische Versammlung des Europarats (PACE) in Strasbourg bereits aktiv geworden und hatte sich dem hochbrisanten Thema auf ihrer Frühjahrstagung gewidmet. Der nun veröffentlichte Marty-Bericht beruht schließlich auf der damals beschlossenen Europarats-Resolution zur Untersuchung dieser schwerwiegenden Vorwürfe.

Das russische Außenministerium hatte den Den Haager Gerichtshof bereits am 9. April 2008 aufgefordert, zu den in del Pontes Buch beschriebenen Verbrechen Informationen zu geben. Verschiedene Medien, neben der jungen Welt auch am 14. April 2008 die französische Zeitung Le Monde, hatten ihrerseits die Vorwürfe aufgegriffen. So schrieb Le Monde beispielsweise, daß "die Führer der Kosovo-Albaner, darunter auch der derzeitige Premierminister Hashim Thaci, bis über die Ohren in den Handel mit Organen verwickelt sind, die serbischen Gefangenen entnommen wurden" und daß sowohl Thaci als auch Agim Ceku, "Premierminister" des Kosovo bis Januar 2008, als die eigentlichen UÇK-Anführer "nicht nur auf dem Laufenden gewesen, sondern aktiv in den Schmuggel der Organe verwickelt" [11] gewesen seien. Le Monde berichtete vor über zwei Jahren auch über den Verdacht vielfachen Mordes und schrieb: "Diese Organe wurden über den Flughafen in Tirana an Kliniken im Ausland geschickt, wo sie zahlungskräftigen Patienten eingepflanzt wurden. Die Opfer, denen man bereits eine Niere entfernt hatte, wurden erneut in einer Baracke eingesperrt, bis sie wegen der Entnahme anderer Organe getötet wurden." [11]

(Fortsetzung folgt)


Anmerkungen

[1] Inhuman treatment of people and illicit trafficking in human organs in Kosovo, Berichtsentwurf an den Rechtsausschuß der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, von Dick Marty, 12. Dezember 2010,
http://assembly.coe.int/ASP/APFeaturesManager/defaultArtSiteView.asp?ID=964

[7] Marty-Bericht siehe [1], hier: "Preliminary draft resolution", Punkt 19.1.3

[8] Marty-Bericht siehe [1], hier: "Introductory remarks - an overview", Punkte 16. und 17.

[9] Marty-Bericht siehe [1], hier: Fußnote [11]

[10] Brammertz weiß nichts von Organhandel, junge Welt, 17.04.2008, S. 2

[11] UCK-Führer als Organschmuggler? Rußland fordert Ermittlungen zur Verschleppung von 300 Serben und Roma aus Kosovo, von Rainer Rupp, junge Welt, 15.04.2008, S. 2

2. Januar 2011