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JUSTIZ/179: Besitz einer CD - 16 Monate in den Knast (SB)


US-Regierung verbreitete "gefährliche" Informationen

Wer Informationen von einer offiziellen Website des US-Justizministeriums besitzt, muß mit einer Gefängnisstrafe rechnen


In den Mitgliedsländern der Europäischen Union häufen sich Verurteilungen von Personen, die im Besitz von Büchern, CDs oder Videofilmen sind. Nicht selten werden die Angeklagten zu langen Haftstrafen verurteilt. Die Terrorismusgesetzgebung macht es möglich.

Am Dienstag hat ein britisches Gericht den alleinerziehenden, dreifachen Vater Khalid Khaliq aus Beeston bei Leeds auf der Grundlage des "2000 Terrorism Act" zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt. Das Vergehen: Der 34jährige Helfer eines örtlichen islamischen Buchladens befand sich im Besitz einer CD, die unter anderem ein Interview mit Osama bin Laden sowie Handlungsanweisungen bei Verhören durch die Polizei und Tips der Al-Qaida für terroristische Aktivitäten enthalten haben soll. Khalid Khaliq hat die CD lediglich besessen, er hat sie sich eigenen Angaben zufolge nicht angeschaut, geschweige denn daß er mit der sogenannten Terrororganisation Al-Qaida sympathisieren würde oder geplant hätte, irgendwelche Anschläge zu begehen.

Es hat den Anschein, als habe Richter James Stewart vom Queens Court in Leeds den Mann für seine Religion, seinen Bekanntenkreis und womöglich auch seine Weigerung, andere Muslime zu belasten, bestraft. Denn der in Großbritannien geborene und aufgewachsene Khalid Khaliq kannte zwei der mutmaßlichen Selbstmordattentäter, denen die Anschläge am 7.7.2005 in der Londoner U-Bahn und in einem Bus angelastet wird. Rund einen Monat davor hatte er mit den beiden eine Wildwassertour in Nordwales durchgeführt. Khalid Khaliq hatte sich nach den Anschlägen freiwillig bei der Polizei gemeldet und zu Protokoll gegeben, er sei über die Handlungen der 7/7-Attentäter "schockiert" gewesen. Sie müssen außerhalb der muslimischen Gemeinde von Beeston radikalisiert worden sein, vermutete er.

In der Anklageschrift war dem Buchladenmitarbeiter auch der Besitz zweier Bücher zur Last gelegt worden: "The Absent Obligation", das von der Vertreibung aller Nichtmuslime von der Arabischen Halbinsel handelt, und "Zaad-e-Mujahid". Die Anklage wegen des ersten Buchs wurde fallengelassen, die wegen des zweiten zu den Akten gelegt. Die Bitte der Verteidigung, die Strafe auf Bewährung auszusetzen, weil sich der Vater um seine Kinder - elf, acht und fünf Jahre alt - kümmern müsse, lehnte der Richter ab.

Jene CD, die das einzige ist, weswegen der Mann verurteilt werden konnte, war keineswegs auf klandestinen Wegen in Umlauf gebracht worden. Man konnte sich die Inhalte von einer Website des US-Justizministerium herunterladen! Dort war sie im Rahmen der Abschrift eines Anti-Terror-Verfahrens ins Netz gestellt worden. Der Angeklagte hatte angegeben, er habe den Download nicht selbst durchgeführt, andere hätten die CD mitgebracht. Deren Namen wolle er nicht preisgeben.

Ebenfalls in dieser Woche wurden in Österreich ein 22jähriger und seine ein Jahr jüngere Lebensgefährtin wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, konkret wegen des Besitzes eines "Drohvideos" zu vier Jahren bzw. 22 Monaten Haft verurteilt. In diesem Fall muß sich die Staatsanwaltschaft so sehr in die Angeklagten Mohamed Mahmoud und Mona Salem Ahmed hineinversetzt haben, daß er ihre Gedanken und Absichten ausloten konnte. Der Mann habe sich "detaillierte Gedanken über mögliche Anschlagziele in Österreich gemacht" und diese mit anderen übers Internet ausgetauscht, wird berichtet (Reuters, 13.3.2008). Unter anderem soll der Angeklagte zu Anschlägen während der Fußball-Europameisterschaft im Juni dieses Jahres sowie gegen Einrichtungen der Vereinten Nationen und der OPEC in Wien angeregt haben. Die junge Frau, die sich geweigert hatte, ihren Tschador vor Gericht abzulegen, wurde in Abwesenheit für schuldig befunden, Texte übersetzt zu haben. In der übers Internet verbreiten Videobotschaft war mit Anschlägen in Deutschland und Österreich gedroht worden, sollten diese Länder nicht ihre Soldaten aus Afghanistan abziehen.

Der Angeklagte hatte freimütig bekannt, daß er die Amerikaner mit ihrem Krieg gegen die Muslime verabscheue und er Sympathien mit dem Widerstand der islamischen Kämpfer im Irak hege. Er sei aber gegen die Tötung von Unschuldigen, vor allem von Frauen und Kindern, und habe die Texte der Globalen Islamischen Medienfront lediglich zu dem Zweck übersetzt und ins Internet gestellt, damit die Öffentlichkeit auch mal den Standpunkt der anderen Seite kennenlerne.

Sowohl Khalid Kahliq als auch den beiden österreichischen Staatsbürgern wurden Vergehen zur Last gelegt, die Erinnerungen an eine Zeit wachrufen, als in Deutschland das Abhören von Feindsendern unter Strafe stand. Keinem von ihnen wurde die Absicht, Anschläge geplant zu haben, unterstellt, geschweige denn Anschläge ausgeführt zu haben. Es handelt sich nicht um die ersten Fälle von Haftstrafen aufgrund des Besitzes oder der Verbreitung von Informationen, und es ist anzunehmen, daß es auch nicht die letzten sein werden.

Mit diesen Urteilen in zwei Mitgliedsländern der Europäischen Union werden weitere Präzedenzfälle geschaffen, die selbstverständlich auch auf andere "Vergehen", wie beispielsweise das Verbreiten unliebsamer politischer Meinungen, das Aufzeigen von Widersprüchen in den offiziellen Erklärungen zu den Anschlägen von London oder die kritische Stellungnahme gegenüber dem Kriegseinsatz der NATO in Afghanistan, angewendet werden könnten. Der britische Richter hatte erklärt: "Meiner Beurteilung nach spricht die Tatsache, daß sie dieses Ausbildungshandbuch besaßen, und was es repräsentiert, Bände. Sie haben offensichtlich ein reges Interesse an terroristischen Aktivitäten und Organisationen." Könnte man das gleiche nicht auch von jedem investigativen Journalisten sagen, der sich Informationen beschafft?

13. März 2008